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Cybermobbing

Photographee.eu/ shutterstock.com
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Schikane im Internet und wie man Jugendliche schützen kann

Cybermobbing ist das Beschimpfen und Ausgrenzen über das Internet. Philipp Behar-Kremer hat einen Verein zur Prävention mitgegründet. Er spricht im Interview über Hasskommentare, die psychischen Narben von Cybermobbing bei Jugendlichen und wie mehr Empathie und Fürsorge Einzug halten kann.

 

Das Interview führte Birgit Stratmann

Sie beschäftigen sich mit der Prävention von Cybermobbing. Was ist das und welches Ausmaß hat das?

Behar-Kremer: Cybermobbing ist das Beleidigen, Ausgrenzen, Beschimpfen über das Internet. Es ist eine neue Form des „normalen“ Mobbings. Mobbing heißt, dass man jemanden wiederholt, über einen längeren Zeitraum (z.B. drei Monate) ausgrenzt. Das Muster ist, dass mehrere gegen einen agieren, zum Beispiel in der Schule.

Der Unterschied: Beim Mobbing in der Schule hast du Ruhe, wenn du zu Hause bist. Beim Cybermobbing geht es ununterbrochen weiter. 95 Prozent der Jugendlichen haben heute ein Handy und alle einen Internetzugang. Ich bin also in meiner Privatsphäre nicht vor den Schikanen gefeit. Cybermobbing ist orts- und zeitunabhängig.

Können Sie zwei konkrete Fälle nennen? Was bewirkt Cybermobbing?

PhilippBehar-Kremer CybermobbingBehar-Kremer: Ein Beispiel ist, dass es in der Schulklasse eine Whats App-Gruppe gibt und eine Schülerin als einzige davon ausgeschlossen wird. In Abwesenheit wird über sie hergezogen. Die Betroffene ist nicht nur isoliert, sie ist auch verunsichert: Was wir über sie gepostet und geschrieben? Was denken die anderen über sie? Mobbing greift das Selbstbild an.

Es gibt eine neurowissenschaftliche Studie zum Thema Ausgrenzung. Man hat herausgefunden, dass dabei das Schmerzzentrum betroffen ist. Dieses wird normalerweise aktiviert, wenn wir uns körperlich verletzen. Der gleiche Mechanismus greift, wenn ein Mensch sozial ausgegrenzt wird.

Die schulischen Leistungen gemobbter Schüler lassen nach. Viele haben Konzentrationsstörungen und Angstzustände, sie können nicht mehr, leiden unter Übelkeit, Appetitlosigkeit. Das Gehirn empfindet die Situation als bedrohlich und ist permanent im Alarmzustand. Es gibt aber keine Regenerationsphasen.

Die Betroffenen reagieren manchmal mit Aggression, sie wollen sich wehren. Ich kenne einen Achtklässler, der gemobbt wurde. Eines Tages kam ein Schüler zur Tür herein, der am Mobbing gegen ihn beteiligt gewesen war. Der Achtklässler trat gegen die Tür, die der andere dann gegen die Nase bekam. Wer wurde bestraft? Der Mobbingbetroffene. Der Lehrer hat, ohne es zu wollen, das Handeln der Betreiber noch legitimiert: “Es stimmt ja, der Junge ist schlecht, er muss ausgegrenzt werden!”

Ein heftiger Fall von Cybermobbing ist, wenn Nacktbilder gepostet werden das sog. sexting. Das kommt vor, wenn Beziehungen zerbrechen und einer der Partner solche Bilder des anderen z.B. bei Facebook postet – ohne Zustimmung und um den anderen zu kompromittieren. Das ist fatal.

Es wirft ein schlechtes Licht auf mich, wenn diese Bilder im Netz kursieren. Die Leute verachten mich dafür, ziehen über mich her, grenzen mich aus. Hier geht das Cybermobbing also bis in die Intimssphäre. Und wenn ich das Haus verlasse, weiß ich nicht, wer dieses Foto gesehen hat. Zu meinen Eltern kann ich auch nicht gehen, weil es so peinlich ist.

Die Betroffenen leiden unter Angst und Scham. Im Fall der Nacktbilder ist die Scham das größte Problem, einfach weil die Betroffenen keine Hilfe annehmen können. Sie ziehen sich immer mehr zurück und machen alles mit sich aus. Irgendwann glauben die Menschen: „Ich bin so, wie die Leute es von mir sagen“, „ich bin ein komischer Typ“.

Cybermobbing ist schwer aufzudecken

Kinder erzählen nicht alles. Woran erkennt man, dass sie betroffen sind?

Behar-Kremer: Mobbing ist insgesamt schwer aufzudecken, das gilt auch für Cybermobbing. Da das Internet aber ein öffentlicher Raum ist, sind die Schikanen hier fast noch eher sichtbar, als wenn es auf dem Schulhof geschieht. Manchmal denke ich, dass durch das Cybermobbing erst deutlich wird, wie häufig Mobbing an unseren Schulen vorkommt.

Wir sollten wachsam sein. Beim leisesten Verdacht muss der Lehrer oder die Lehrerin schauen: Ist der Schüler zurückgezogen und z.B. auf dem Schulhof oft allein? Oder geht er ins andere Extrem und mach sich zum Klassenclown? Weigern sich andere Schüler, mit ihm zusammenzuarbeiten? Lachen sie ihn oft aus?

Die Rolle der Eltern ist schwierig, denn ihr Einfluss verringert sich. Gerade Jungen und Mädchen in der Pubertät zeigen bestimmte Verhaltensweisen, auch wenn sie kein Mobbing erlebt haben; beispielsweise ziehen sich von den Eltern zurück.

Trotzdem bleibt uns nichts andere übrig, als genau zu schauen: Lassen sich Wesensveränderungen am Kind feststellen? Oder Lustlosigkeit, in die Schule zu gehen, zusammen mit anderen Dingen, etwa, dass mein Sohn mit kaputten Sachen nach Hause kommt? Natürlich kann jedes Symptom andere Ursachen haben, aber das Gesamtbild könnte auf Mobbing hindeuten.

Es ist eine Gratwanderung: Kinder sollen sich ja einerseits frei entfalten können, andererseits müssen wir wissen, was sie erleben und womit sie sich beschäftigen.

Behar-Kremer: Wir wollen unsere Kinder nicht überwachen und auch nicht vom Internet fernhalten, das würde ohnehin nicht gehen. Wir können aber z.B. Einstellungen am Handy vornehmen, bestimmte Seiten sperren und Regeln aushandeln, immer mit der Intention, im Gespräch, im Kontakt zu bleiben.

Wir müssen auch mehr für das Thema Cybermobbing sensibilisieren. Denn die Betreiber kennen oft nicht die gravierenden Folgen ihres Tuns. Rund die Hälfte sagen, dass sie sich nur einen Spaß machen wollten, sich gelangweilt hätten, die andere Person als nervig empfanden. Sie sind sich über die Folgen nicht im Klaren, die psychische Narben. Wir müssen klarmachen, dass Worte weh tun können, insbesondere geschriebene Worte.

Die Betroffenen können wenig unternehmen. Wenn sie sich wehren und zurückschlagen, gelten sie als aggressiv und werden wieder gemobbt. Ignorieren sie es, so ist dies eine Einladung an die anderen weiterzumachen. Wir brauchen mehr Empathie, Fürsorge, soziales Miteinander und müssen dies auch in die Internet-Kommunikation einbringen.

Wo setzen Sie mit „Cybermobbing Prävention e.V.“ an?

Behar-Kremer: Wir regen die jungen Menschen dazu an, ihre Denk- und Handlungsmuster zu überdenken. Beispiele: Muss ich bei jedem Scherz mitmachen? Ist es lustig, zu einem peinlichen Foto im Internet noch einen Kommentar zu schreiben? Wie ist es eigentlich, wenn ein Schüler schreibt „Ich habe meine Mathe-Arbeit versiebt“ und ein anderer antwortet „Dann geh dich umbringen“ und diese Antwort von 50 Leuten „geliked“ wird. Soll ich das wirklich auch „liken“ und was heißt das? Möchte ich, dass der andere sich umbringt?

Wir versuchen, über Rollenspiele und Videos Perspektivwechsel zu ermöglichen. Ein Mobbing-Betroffener kommt von allein nicht aus der Situation raus, es braucht Hilfe von außen. Den Betreibern zu sagen, sie sollen damit aufhören, ist nicht wirklich Erfolg versprechend. Besser ist, den Betroffenen zu schützen, z.B. indem man denjenigen wieder in die Klasse integriert, zu etwas einlädt etc..

Eine Übung geht so: Alle stehen im Kreis und halten sich an den Händen. In der Mitte befinden sich zwei Leute: einer steht für den Mobbing-Betroffenen und ein anderer für den Betreiber. Die Gruppe versucht, den Betroffenen zu schützen; um den Betreiber kümmern sie sich gar nicht. Wann immer dieser versucht, sich dem anderen zu nähern, schirmt ihn die Gruppe ab.

Dies ist eine Übung für Solidarität und schafft Bilder, auf die die Jugendlichen zurückgreifen können. Wir machen klar, dass die Schüler Verantwortung für das Woh der Klasse haben. Das heißt nicht, dass jeder mit jedem befreundet sein muss. Ich kann auch Menschen schützen, die ich nicht so gern mag – einfach weil ich sie vor Leiden bewahren möchte.

Ich sehe das als eine Art des Empathie-Trainings. Wir wollen miteinander klar kommen, auch wenn wir total verschieden sind. Das geht nur, wenn wir das Anderssein wertschätzen und Qualitäten in Menschen sehen, die wir nicht mögen.

Daher schulen wir seit neustem zusammen mit dem Mimikresonanz e.V. die Kinder und Jugendlichen darin, anhand der Mimik Emotionen zu erkennen und angemessen darauf einzugehen. Das fördert nachgewiesen die Empathie und die jungen Menschen suchen häufiger den Blickkontakt, was die Verbindung untereinander stärkt.

“Wir desensibilisieren uns durch die Internet-Kommunikation”

Wie sehen Sie überhaupt den starken Medienkonsum – ist da nicht eine große Gefahr von Abhängigkeit? Wie kann man dieser begegnen?

Behar-Kremer: Eine Studie fand heraus, dass die Empathie mit zunehmendem Medienkonsum abnimmt. Wer viel im Internet unterwegs ist, gewöhnt sich an diese merkwürdige Art der Kommunikation. Beispiel: Wir stehen an der Bushaltestelle und sehen auf Facebook das Bild eines toten Flüchtlingsbabys am Strand. Aber wir haben keine Zeit, das auf uns wirken zu lassen und uns dazu irgendwie zu verhalten. Der Bus kommt, und wir schieben die Eindrücke erst mal weg. Aber natürlich wirkt das in unserem Bewusstsein weiter. Wir desensibilisieren uns selbst, unsere Empathie, und untergraben unsere Solidarität.

Wie aber sieht es mit der Vorbildfunktion von Erwachsenen aus? Viele von uns finden selbst kein Maß, und das leben wir den jungen Menschen vor.

Behar-Kremer: Ja, wir haben selbst zu wenig Kompetenz im Umgang mit den Kommunikationsmitteln. Ständig greifen wir zum Smartphone. Sobald eine Meldung, ein Anruf reinkommt, reagieren wir und sind permanent in Alarmbereitschaft. Ich versuche gerade, mir das abzutrainieren. Dafür habe ich z.B. einen Handy-freien Tag pro Woche eingeführt: einen Tag, an dem ich das Handy ausschalte und nicht benutze.

Ähnlich möchte ich es bei meiner Tochter machen. Sie ist jetzt drei und natürlich verbiete ich ihr gewisse Dinge. Das Handy darf sie nur selten in die Hand nehmen, höchstens mal für ein paar Minuten. Was ich ihr beibringen möchte: das Handy zu nutzen, es wegzulegen und etwas anderes zu machen.

Hilfreich sind auch Familien- und Schulregeln. Eine Schule in Nordrhein-Westfalen machte eine Woche Handyfasten. Alle fanden es so gut, dass sie sagten: Nächstes Jahr machen wir es wieder, dann sollen auch die Lehrerinnen und Lehrer mitmachen. Daraus wurde leider nichts, denn die Lehrer meinten, dass sie immer erreichbar sein müssten.

Wenn wir also Vorbilder sein wollen, dann müssen wir unseren eigenen Medienkonsum reflektieren und anders gestalten. Erst dann können wir das unseren Kindern überzeugend vermitteln.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Job am besten?

Behar-Kremer: Ich mag es, Kinder und Jugendliche zu inspirieren, gut mit anderen Menschen zu kommunizieren und umzugehen. Wir hatten mal einen Workshop in einer Schulklasse, den ich richtig gelungen fand. Aber die Schüler sind genervt rausgegangen, fühlten sich gelangweilt. Zwei Wochen später gab es einen Elternabend und wir fragten noch einmal nach, was die Kinder erzählt hatten.

Die Eltern berichteten, dass ihre Kids den Workshop total gut fanden. Sie haben daraufhin ihre Whats-App-Gruppe gelöscht, für den Außenseiter der Klasse eine Unterstützungsgruppe gegründet. Und sie haben beschlossen, mehr den direkten Kontakt zueinander zu suchen. Das ist für mich das Größte, wenn meine Arbeit solche schönen Früchte trägt!

Philipp Behar-Kremer ist Sozialpädagoge, Informatiker und Mediator. Zusammen mit seinem Kollegen Oliver Gende hat er den Verein Cybermobbing Prävention e.V. gegründet, über welchen sie Workshops und Fortbildungen zum Thema Cybermobbing und Förderung des sozialen Miteinanders für Kinder, Jugendliche und Erwachsene anbieten.

 

 

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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