Kolumne von Mona Kino
Autorin und Familientherapeutin Mona Kino beantwortet in ihrer Kolumne “Beziehungsdynamiken verstehen” eine Frage zum Thema Erholung und Urlaub: „Darf ich mal allein, ohne die Familie Urlaub machen, wenn ich mich erholen muss, oder ist das egoistisch?“
Frage: Ich bin so überarbeitet vom Schichtdienst und mein Mann auch. In den zwei Wochen Ferien wollen wir uns so erholen, dass wir den Alltag bis zu den Herbstferien gut wuppen. Allerdings öden wir uns schon beim Koffer packen an und streiten uns auf der ganzen Reise, wer sich um die Kinder kümmert. Darf ich als Mutter auch mal eine Woche allein Urlaub machen, um mich zu erholen, oder ist immer Familienurlaub angesagt? In meiner Umgebung sagen alle, das sei egoistisch.
Mona Kino: Spontane Antwort: Erlaubt ist, was gut tut und anderen nicht schadet. Wie ich dazu komme? Ich habe selbst oft genug an dieser Frage in verschiedensten Varianten herum geknabbert, denn sie lässt sich beliebig varieren. Darf ich sonntags mal ausschlafen, oder ist immer ein Familienfrühstück angesagt? Darf ich zum Sport gehen, oder ist ein Familienausflug wichtiger? Darf ich das Abendbrot mal ausfallen lassen und früher ins Bett gehen, oder müssen wir immer zusammen am Tisch sitzen?
Interessant wird es, wenn ich dann frage: “Was sagt das über Dich aus, dass Du gerne einmal eine Woche lang alleine vereisen möchtest, um dich zu erholen?” Bei vielen Müttern kommt als Antwort: “Dass ich egoistisch bin”.
Wenn ich nachhake: “Was sagt das über dich aus?” kommt oft als Antwort: “Dass ich undankbar bin.” Letzteres löst bei vielen sogar mehr Stress aus, wenn ich sie nach ihrem Stresslevel auf einer Skala von 1-10 dazu befrage. Bei beidem höre ich niemals den Wert 0. Aber: Wäre eine Beziehung mit Stresslevel 0 nicht toll?
Ich hätte das gut gefunden. Denn dann hätte ich meinen Partner entspannt und ganz nebenbei beim Spülen gefragt, was er dazu denkt; wir hätten dann gemeinsam eine Lösung gefunden. Hätte mir angehört, ob er sich als Mann und Vater diese Frage auch stellt und sich egoistisch und undankbar damit fühlt?
Wir pendeln zwischen Autonomie und Verbundenheit
Hier drei Hauptfaktoren, warum die Frage uns Probleme macht:
Erstens, der Mensch ist ein soziales Wesen und ein Individum. Daraus speist sich (s)ein Beziehungs-Grundkonflikt. Wir möchten wertvoll für andere sein und wir brauchen Zeit für uns allein, um das sein zu können.
Da wir allerdings ohne andere nicht überleben würden, gewinnt in diesem Ringen unbewusst das, was im Stammhirn angelegt ist: das Soziale. Und dann gibt es da noch das sogenannte Gruppendenken, das schon manche Familie Ausflüge hat machen lassen, die, im Nachgang reflektiert, keiner von ihnen machen wollte.
Zweitens: In der patriachal ausgerichteten Gesellschaft ist auch die Beziehung zwischen Mann und Frau in bestimmter Weise definiert. Und das nicht erst seit gestern, sondern je nach Sichtweise, seit einem Zeitraum von 5000 bis 20.000 Jahren.
Das heißt, egal wie emanzipiert Frau und auch Mann in dieser Kultur zu sein scheinen, diese Muster werden genauso transgenerational weitergegeben wie Trauma. Und damit auch ein gewisses Selbstverständnis davon, für was sich die Geschlechter egoistisch und undankbar fühlen oder eben nicht.
Drittens: Wenn wir nicht in Beziehung zu unseren Denkmustern und damit verknüpften Gefühle gehen, uns über sie bewusst werden, fahren sie mit uns durchs Leben, anstatt wir mit ihnen.
Am Ende scheitern wir an den Erwartungen
“Kinder brauchen glückliche Eltern.”, habe ich neulich in einer Gruppe auf deine Frage geantwortet. ”Nein, das bin ich nicht! Glücklich nicht und egoistisch auch nicht.”, sagte eine Mutter. Sie sei erschöpft. Daraufhin schlug sie ihrem Mann Folgendes vor:
Er solle vier Tage mit den Kids vorfahren, dann würden sie acht Tage gemeinsam verbringen; hier würde sie die ersten Tage ausschlafen; sie wollte dann drei Tage früher abreisen, so dass sie zu Hause noch etwas Zeit für sich alleine hat. “Deal”, kam als Antwort und: “Für mich ist es auch viel einfacher, mit den Kids alleine zu reisen, als wenn wir zu viert sind.”
Und weiter: „Die Idee, alleine zu verreisen hat mich beispielsweise auch nicht glücklicher gemacht. Ich habe dann aber überlegt, was wir alles von der Liste streichen können, was uns im Urlaub unglücklich macht, einschließlich dem, was die Kids angeht. Die hassten nämlich, wenn wir uns ständig Kirchen angesehen haben.
Und ja, als das am Ende hieß, 14 Tage in Apulien im Bett zu verbringen, war das seit langem für uns alle die schönste Vorstellung von einem Urlaub und so wunderbar stressfrei, dass es mich jetzt im Nachgang nochmal doppelt glücklich macht!”
Mona Kino ist Drehbuchautorin, Familientherapeutin und Mutter von zwei erwachsenen Kindern (21 und 19). Sie lebt in Berlin und begleitet deutschlandweit Eltern in ihren pädagogischen Fragen sowie Teams beim Teambuilding. 2020 ist ihr Buch „Zeit für Empathie- Fünf Wege Fünf Wege zu innerer Balance“ im Beltz-Verlag erschienen.
In ihrer Kolumne beleuchtet sie auch aus ethischer Perspektive eine Reihe von Beziehungshemen, wie Affären, Bindungsängste, Liebe, Egoismus, Neuanfänge, Trennungen, in verschiedenen Beziehungsfeldern wie Partnerschaft, Freundschaften, Familie, Arbeitsplatz und last but not least die Beziehung mit sich selbst.
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