Darf man am Arbeitsplatz Gefühle zeigen?

Foto: Emma Dau, Unsplash
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Interview über Toxic Positivity am Arbeitsplatz

Immer gut gelaunt, immer optimistisch? Toxic Positivity am Arbeitsplatz heißt der Trend. Danach muss man negative Gefühle verbergen – eine Folge des Drangs zur Selbstoptimierung, sagt Prof. Astrid Schütz. Sie rät, Gefühlen Raum zu geben und Optimismus gut zu dosieren.

Das Interview führte Janna Degener-Storr.

Frage: Medien berichten zunehmend über eine Arbeitskultur, die keinen Platz für Emotionen wie Traurigkeit, Wut oder Langeweile lässt. Machen Sie oder die Menschen, mit denen Sie beruflich zu tun haben, diese Erfahrung auch?

Schütz: Ja, in unserem Kompetenzzentrum bieten wir Trainings und Coachings unter anderem für Unternehmen an. Da berichten Unternehmensmitarbeitende gelegentlich von diesem Problem und dass sie darunter leiden.

In den Treppenhäusern hängen zum Beispiel Aufmunterungssprüche und auch generell werde vielerorts die Stimmung verbreitet: „Hey, wir sind gut drauf!“ „High Five!“ „Alles ist gut!“. Wenn diese Einstellung keinen Platz lässt, um mal schlecht drauf zu sein oder ein Problem zu haben, sehe ich das kritisch.

Astrid Schütz, Foto: Bücher/ Uni Bamberg

Betrifft das vor allem Startups, in denen junge Leute in flachen Hierarchien arbeiten?

Schütz: Häufig, aber nicht immer. Junge Leute haben ja häufig noch keine kranken Kinder und sind auch selbst weniger von körperlichen Leiden betroffen als ältere Personen. Allerdings gibt es auch in großen internationalen Unternehmen, oft mit US-amerikanischer Leitung, einen Trend zur Toxic Positivity. Bei deutschen Familienunternehmen dagegen gibt es eher andere Probleme wie mangelnde Freiräume.

„Manche Unternehmen wollen Menschen widerstandsfähiger machen, statt schlechte Arbeitsbedingungen zu ändern.“

Denken Sie, Toxic Positivy ist ein Ausdruck von Perfektionismus?

Schütz: Ich würde es eher mit einem Trend zur Selbstoptimierung in Zusammenhang bringen, der natürlich dem Perfektionismus verwandt ist. Das geht von Influencer*innen, an denen man sich orientiert, bis zu Gesichtschirurgie und Pillen zur Leistungssteigerung. Und wenn wir nicht funktionieren, versuchen wir uns passend dazu, mit Medikamenten, Trainings, Coachings oder einer Psychotherapie wieder leistungsstark zu machen.

Wir erleben zum Beispiel bei uns manchmal, dass Unternehmen sich von uns ein Resilienz-Training wünschen. Bei genauerer Auftragsklärung zeigt sich, dass die Menschen robuster und widerstandsfähiger gemacht werden sollen, um schlechte Arbeitsbedingungen besser zu ertragen. Solche Aufträge nehmen wir nicht an.

Unternehmen versuchen also, ihre Mitarbeitenden zu formen, um sie besser ausbeuten zu können?

Schütz: Ja. Aber ich beobachte derzeit auch einen Gegentrend: Unternehmen versuchen aufgrund des Fachkräftemangels, ihre Mitarbeitenden mithilfe guter Arbeitsbedingungen zu halten und an sich zu binden.

Extrem optimistische Personen zeigen ein höheres Burnout-Risiko.

Dazu reicht nicht der Obstkorb im Foyer, die Anreize müssen individuell passen, etwa die Arbeitszeiten an die individuelle Lebenssituation anzupassen, im Home-Office zu arbeiten oder ein Sabbatical einzulegen.

Auf Social Media sprechen einige Influencer*innen darüber, dass sie den Druck nicht mehr ausgehalten haben, immer perfekt gestylt und gut drauf zu sein. Manche von ihnen, aber auch Politiker*innen und Fußballstars, legen psychische Erkrankungen offen. Auch Wissenschaftler*innen berichten im so genannten „CV of Failure“ zum Beispiel, welche Bewerbungen um Stellen oder Fördermittel erfolglos waren. Oder sie erzählen in „Fuckup Nights“, was sie an die Wand gefahren haben.

Ist übertriebener Optimismus genauso schädlich wie übertriebener Pessimismus?

Schütz: Optimismus hat viele gute Seiten. Wenn wir optimistisch sind, gehen wir die Dinge an, zögern weniger, sind tatkräftiger, kommen bei anderen Menschen gut an. Aber es gibt auch eine Grenze, die der Psychologe Roy Baumeister als „margin of illusion“ bezeichnet.

Extrem optimistisch zu sein, bedeutet, die Bodenhaftung zu verlieren und zum Beispiel Zeit und Energie in ein nicht mehr zu erreichendes Ziel zu investieren.

Welche Folgen kann übertriebener Optimismus auf die Gesundheit der Menschen haben?

Schütz: Er kann zum Beispiel dazu führen, dass wir Vorsorgeuntersuchungen vernachlässigen, ohne Helm Motorrad fahren oder uns am Arbeitsplatz überlasten nach dem Motto: „Das muss doch zu schaffen sein!“

Das ist auf Dauer problematisch, weil wir nach Zeiträumen der Überlastung immer auch Phasen der Erholung brauchen. Studien zeigen, dass sehr optimistische Personen ein erhöhtes Burnout-Risiko haben, wenn sie über ein Jahr durchgehend Belastungen ausgesetzt sind.

Ist es auch schädlich für die Psyche, wenn man sich genötigt sieht, am Arbeitsplatz unehrlich zu anderen und zu sich selbst zu sein?

Schütz: Ja. Wenn wir uns nicht zeigen können, wie wir sind, wenn wir glauben, eine Maske tragen zu müssen, kann das Druck und Spannung erzeugen. Hilfreich sind dann offene Gespräche, das zeigen unsere Studien zu Mitgefühl am Arbeitsplatz. Zum Beispiel können Personen im Gespräch mit einzelnen Vertrauten in der Pause sagen, was gerade schiefgelaufen ist, in einem Projekt oder zu Hause.

„Sinnvoll ist es das, was beeinflussbar ist, aktiv anzugehen, und das Unvermeidliche zu akzeptieren.“

Welchen gesellschaftlichen Effekt hat es, wenn die Einzelnen krampfhaft optimistisch sind?

Schütz: Natürlich ist es sinnvoll, den Einzelnen Verantwortung zu übergeben. Problematisch ist es, wenn wir Probleme kleinreden und die Belastung des Gegenübers ignorieren. Floskeln wie „das ist doch halb so wild, anderen geht es noch viel schlechter“ werten das emotionale Erleben ab.

Stattdessen können wir Emotionen validieren und unserem Gegenüber kommunizieren, dass Gefühle – auch im Arbeitskontext – normal und in Ordnung sind.

In der öffentlichen Debatte werden die großen Krisen heute viel thematisiert. Gleichzeitig beobachten wir in den Unternehmen einen Trend dazu, alles positiv sehen zu wollen. Wie passt das zusammen?

Schütz: Wir beobachten immer unterschiedliche Tendenzen in der Gesellschaft. So gibt es aktuell natürlich Leute, die Krisen herunterspielen, und andere, die zum Schwarzsehen tendieren. Beide Extreme sind problematisch.

Sinnvoll ist es, Probleme zu erkennen und zu analysieren und das, was beeinflussbar ist, aktiv anzugehen, das Unvermeidliche aber möglichst entspannt zu akzeptieren. Der Psychologe Ralf Schwarzer unterschied in diesem Sinne defensiven Optimismus, der Probleme ignoriert, und funktionalen Optimismus, der Probleme sieht und darauf zielt, sie in den Griff zu bekommen.

Wie können Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen konstruktiv mit negativen Gefühlen und Erfahrungen umgehen?

Schütz: Evolutionär gesehen haben Gefühle eine wichtige Funktion. Das Konzept der emodiversity beschreibt etwa: Verschiedenes zu fühlen, scheint gesund zu sein. Wenn wir uns zum Beispiel ärgern, ist das ein Signal dafür, dass unsere Grenzen überschritten wurden, dass etwas nicht in Ordnung ist.

Wenn wir traurig sind, ist das ein Signal dafür, dass wir etwas verloren haben, das uns wichtig war. Wir sollten diese Gefühle akzeptieren und ihnen einen Raum geben. Die Vielfalt emotionalen Erlebens gehört eben auch zum menschlichen Leben.

Und das Gespräch über solche Gefühle stärkt die Beziehungen der Betroffenen untereinander. Mitgefühl zu erleben ist hilfreich und gute Beziehungen und Zufriedenheit am Arbeitsplatz geht insgesamt mit Produktivität einher. Für Führungskräfte zahlt sich Menschlichkeit also auch aus unternehmerischer Sicht aus.

Astrid Schütz ist als Professorin für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik an der Universität Bamberg tätig und leitet dort das Kompetenzzentrum für Angewandte Personalpsychologie. Gemeinsam mit dem Psychotherapeuten Lasse Hoge hat sie das Buch „Positives Denken. Vorteile – Risiken – Alternativen“ geschrieben.

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