Kolumne Beziehungsdynamiken
Autorin und Familientherapeutin Mona Kino beantwortet in ihrer Kolumne “Beziehungsdynamiken verstehen” eine Frage zum Thema Freundschaften aufgeben und Ghosten: „Dürfen wir eine Freundschaft aufkündigen, ohne es dem anderen mitzuteilen?“
Frage: Ich hatte 15 Jahre lang eine Freundin. Für mich war sie Teil der Familie. Das einzige, was mir von Anfang an auffiel, war: Meldete ich mich nicht bei ihr, rief sie nicht an. Ergriff ich dann die Initiative nach einer längeren Pause, sagte sie: “Dass Du Dich mal wieder meldest!” Bis ich vor fünf Jahren Kinder bekam, ließ ich ihr das durchgehen. Dann bat ich sie, sich auch mal bei mir zu melden. Seitdem höre ich gar nichts mehr von ihr. Wie kann ich damit umgehen? Sind wir nicht verpflichtet, das Gespräch zu suchen, wenn wir eine Freundschaft beenden?
Mona Kino: Ja und nein. Ja, wenn ihr die gleichen Werte teilt und eure Beziehung in der gleichen Weise betrachtet. Nein, wenn es hier Differenzen gibt. Ich kenne Personen, auch im Geschäftlichen, die es selbst ganz schrecklich finden, wenn sie „geghostet“ werden, also erleben, dass jemand den Kontakt zu ihnen abbricht, es selbst aber auch tun. Warum? Weil sie das, was andere tun, besser bewerten können als mit sich selbst in Beziehung zu gehen. Und da beginnt Beziehung: bei mir selbst.
Daher möchte ich einige Fragen an Dich richten. Ich leihe sie mir von der amerikanischen Achtsamkeitslehrerin Byron Katie. Du entscheidest, ob du sie beantwortst oder nicht.
Ist es wirklich wahr, dass deine Freundin sich nicht mehr meldet? Und wenn ja, stimmt das mit absoluter Sicherheit?
Selbst wenn dann immer noch ein Ja herauskommt, frage dich: Wer bin ich mit diesem Gedanken? Was fühle und denke ich dabei? Und was denke und fühle ich, wenn ich diese Gedanken nicht mehr hätte?
Drei Arten von Beziehungen
Eine andere gute Richtlinie um mich zu sortieren ist für mich die Definition von Beziehungen in Michael Bordts Buch, “Die Kunst, sich selbst zu verstehen”. Er unterscheidet Beziehungen nicht nach Labeln, sondern nach deren Inhalt. Für ihn gibt es demnach drei Arten:
Beziehungen, die einen Nutzen haben; Beziehungen, bei denen man einfach nur Spaß miteinander hat, woraus sich noch eine Mischform aus beiden geben kann.
Dann gibt es noch die Beziehungen, die persönlich und tief sind. Dazu verpflichten sich beide Seiten aber meist bewusst, weil sie die gleichen Werte teilen wie: Ich spreche an, wenn mich etwas stört, und vertraue darauf, dass wir eine gemeinsame Lösung finden. Selbst wenn das bedeutet, dass man am Ende gemeinsam einen Schlussstrich zieht. Was mich zum Anfang dieser Antwort zurück bringt.
Habe ich mehr in die Beziehung hineininterpretiert?
Welche Art der Beziehung hattet ihr? Mir hilft das zu entscheiden, wie ich weiter vorgehe. Will ich eher Spaß, dann überlege ich, wie ich ihn wieder einbringen kann. Haben wir tatsächlich noch einen gemeinsamen Nutzen von unserer Beziehung? Oder ist da etwas ins Ungleichgewicht geraten? Kann das ins Lot gebracht werden?
Ist es so dramatisch, wenn sich jemand, mit dem ich Spaß habe oder mit dem mich ein Nutzen verbindet, nicht mehr bei mir meldet? Spaß habe ich, wenn ich ehrlich bin, sicherlich auch mit anderen. Und die Gartenschere kann ich auch mit Nachbar Y gegen den Akkuschrauber tauschen, wenn sich Nachbar X nicht mehr meldet.
Das Unangenehme anzusprechen kann entlastend sein
Schwieriger ist es mit denen, mit denen ich mir eine persönliche und tiefe Beziehung wünsche oder sogar eine Zeit lang führe, wie du mit deiner Freundin. Das fühlt sich genauso an wie Liebeskummer. Und das ist alles andere als schön. Trotzdem hier einige Anregungen zum selbst Erforschen:
War es vielleicht mein Trugschluss, dass ich mehr in die Beziehung interpretiert habe, für die andere es aber eher einen Spaß-Nutzen Charakter hatte? Nimm dir ein Herz und frage nach.
Es ist verdammt riskant, verletzt zu werden, wenn man seinen Wunsch nach Klärung auf den Tisch legt und sie nicht bekommt. Wann hört man auf, nachzufragen, lässt los, hat kein Verständnis mehr? Das sind alles Dinge, die die meisten von uns nicht lernen, was die Sache nicht weniger schwierig macht. Doch man kann es lernen, zu hören, wenn die innere Stimme einem zuruft: Genug ist genug. Und sie dann auch ernst zu nehmen.
Genauso kann man lernen zu sagen, wann man mal eine Pause braucht und dem anderen dabei versichert, dass man wiederkommt und ihr den Grund für den Rückzug erklären. Denn das ist etwas, was wir in persönlichen und tiefen Beziehungen benötigen: Eine Melange aus Sicherheit, Verbundenheit, Freude und Selbstwertsteigerung. Nimmt man nur einen Anteil davon weg, gerät das Ganze in die Schieflage.
Geht dir, der Wartenden, die Puste nach einer Weile aus, frage nach, auch wenn es in den Knien und im Herzen wackelig ist. In meiner Welt, würde ich antworten: “Okay, ich bin zwar noch nicht soweit, dir das in Gänze zu erklären, aber mir ist unsere Freundschaft so viel Wert, dass ich nicht länger kneifen werde, das Unangenehme anzusprechen.”
Mona Kino ist Drehbuchautorin, Familientherapeutin und Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Sie lebt in Berlin und begleitet deutschlandweit Eltern in ihren pädagogischen Fragen sowie Teams beim Teambuilding. 2020 ist ihr Buch „Zeit für Empathie – Fünf Wege Fünf Wege zu innerer Balance“ im Beltz-Verlag erschienen.
In ihrer Kolumne auf Ethik heute beleuchtet sie auch aus ethischer Perspektive eine Reihe von Beziehungshemen, wie Affären, Bindungsängste, Liebe, Egoismus, Neuanfänge, Trennungen, in verschiedenen Beziehungsfeldern wie Partnerschaft, Freundschaften, Familie, Arbeitsplatz und last but not least die Beziehung mit sich selbst.
Sie haben eine Frage zu ethischen Aspekten in Ihren Beziehungen? Schreiben Sie eine E-Mail an: info@ethik-heute.org