Ein Buch über Gaza und seine Bewohner
Das Buch „Kein Land in Sicht“ des Nahostexperten Johannes Zang beleuchtet weniger bekannte Seiten des Gaza-Krieges und schildert anhand vieler Beispiele die Situation der Palästinenser. Anhand von ca. hundert Fragen skizziert der Autor Geschichte und Gegenwart des Konflikts.
Dieses Buch zur Gazaregion ist eine wertvolle Ergänzung zu den gängigen Positionen in deutschen Medien zum Nahostkonflikt, die stets eurozentristisch auf die Situation schauen. Den proisraelischen Einschätzungen fügt Johannes Zangs Band eine andere Sicht hinzu.
Der Autor beleuchtet in seinem Buch die Geschichte und Gegenwart des Nahostkonflikts, die Rolle Israels am Erstarken verhärteter Fronten in Gaza ebenso wie die Rolle der Hamas. Diese nutzt die täglichen Repressalien gegen Palästinenser, um weiter Angst und Schrecken zu schüren und Gewalt auf der Gegenseite auszuüben.
Der Autor, ein studierte Musiktherapeut und langjähriger Journalist, lebte – mit Unterbrechungen – fast 40 Jahre in Israel. Einige Monate davon arbeitete er im israelischen Kibbutz „Be’eri“, der am 7. Oktober 2023 von der Hamas überfallen wurde und 108 Tote beklagen musste. Zudem war Zang rund vier Jahre im palästinensischen Betlehem (Westjordangebiet) als Musiktherapeut und -pädagoge für palästinensische Kinder tätig. Er kennt also beide Seiten aus langjähriger Erfahrung.
Im Nachwort seines Buches schreibt er nun über sein Schwanken zwischen Entsetzen und Wut seit dem 7. Oktober 2023: „Mein Entsetzen über das Massaker, das die Hamas an diesem Tag verübte … , mündete nach wenigen Tagen in Wut: Warum haben Politiker, außer dass sie gelegentlich Bedenken äußerten oder vorsichtig zur Einstellung der Gewalt aufriefen, nichts, aber auch gar nichts unternommen, um Israel und Palästina in Richtung Zwei-Staaten-Lösung zu drängen? Und nachdrücklich von Israel ein Ende der Besatzung zu fordern?“
Rechtsfreier Raum in Gaza
In seinen skizzenartigen Beschreibungen, in denen er sich an ca. 100 Fragen entlanghangelt, kritisiert der Autor die Abriegelungspolitik in Gaza aus palästinensischer Sicht. Die vielen Jahre, die er engagiert über Friedenskonferenzen und Friedensaktivisten für deutsche Medien berichtete, prägten offenbar seinen Blick.
Dafür zitiert er eine eindrucksvolle Zahl an israelischen Menschenrechtsaktivisten, internationalen Hilfsorganisationen und nicht-israelischen Nahostexperten, welche die Abriegelung und Anarchie im Gebiet Gaza ebenfalls anmahnen.
Zang drängt in seinem Buch darauf anzuerkennen, dass Israel den Gaza keineswegs verlassen habe. Sowohl wirtschaftlich, politisch, infrastrukturell als auch sozial werde das Gebiet ähnlich der damaligen DDR tagtäglich weiter überwacht. Nach Ansicht des Autors aber fordere dieses Recht, dass sich der Staat Israel auf palästinensischen Gebieten gewähre, im Gegenzug auch mehr Verantwortung für die palästinensischen Bürger.
Faktisch lebten die Palästinenser noch immer auf rechtsfreiem Raum. Im Alltag zeige sich dies anhand zahlreicher Beispiele. Mustafa Muhammad Khalil a-Najar etwa, der viele Devisen in sein modernes Fischerboot investierte, musste erleben, wie sein Boot eine Stunde lang beschossen wurde. Ihm wurde gesagt, er habe die 9-Meilen-Grenze überschritten, deshalb hätten sie auf ihn geschossen und sein Boot beschlagnahmt.
Häufige Rechtsbrüche des Staates Israel würden jedoch über wirtschaftliche Repressalien hinausgehen. Die staatliche Willkür zeige sich zum Beispiel daran, dass medizinische Grundversorgung von Palästinensern in Gaza teils monatelang verschleppt würde, die eine Behandlung auf israelischem Boden beantragt haben.
Auch liefen langjährige Inhaftierungen oft intransparent ab, das Besuchsrecht von palästinensischen Häftlingen aus dem Gazagebiet in israelischen Gefängnissen werde übergangen. Hierzu erwähnt Zang beispielsweise diesen Fall: „Sechseinhalb beziehungsweise siebeneinhalb Jahre saßen die Cousins Riad ’Ayad und Hassan ’Ayad in Israel in „Administrativhaft“. Mehr als 300 Wochen wurden die Palästinenser aus dem Gazastreifen festgehalten, ohne Anklage oder Prozess, ehe sie am 18. August 2009 unvermittelt freigelassen wurden.“
Wenig bekannte Analysen und Informationen
Johannes Zangs Quellen dieser und weiterer Vorfälle erscheinen aus journalistischer Sicht „wasserdicht“. So zitiert er beispielsweise häufig die israelische Nicht-Regierungsorganisation B’Tselem mit Sitz in Jerusalem und Washington D.C.. Sie wurde 1989 von israelischen Anwältinnen und Akademikern gegründet, um Rechtsbrüche in Gaza und im Westjordanland zu dokumentieren.
Das Buch gewährt beides: Einblicke in internationale Analysen, die in Deutschland wenig bekannt sind, sowie Einschätzungen seitens israelischer Friedens- und Menschenrechtsgruppen. Aber auch Schlaglichter auf Einzelschicksale palästinensischer Familien, die an den Repressalien seitens der israelischen Politik der vergangenen 24 Jahre zu zerbrechen scheinen.
Wünschenswert wäre an manchen Stellen mehr Augenmerk auf die Gegenseite gewesen. So geraten die zahlreichen Terroranschläge auf zivile Israelinnen und Israelis, die zum Aufschaukeln von Vergeltungsschlägen, Repressalien und Siedlungsmachtspielchen führten, zuweilen in den Hintergrund. Denn hinter den Verhärtungen und Verwundungen beider Fronten scheint vor allem ein Wunsch sichtbar: endlich sicher zu sein vor ethnisch motivierten Angriffen.
Und doch gelingt es dem Autor dieses wertvollen Buches immer wieder, Raum zu schaffen für den Blick auf Friedensaktivisten wie die israelische Anwältin Felicia Langer oder israelische Menschenrechtsunterstützer von der Organisation „HaMoked“.
Maria Köpf
Johannes Zang. Kein Land in Sicht? Gaza zwischen Besatzung, Blockade und Krieg. 279 Seiten. PapyRossa Verlag 2024