Der Dalai Lama in der Kritik

Foto: Jens Nagels
Foto: Jens Nagels

Aufregung um einen Video-Clip

Anfang April 2023 kursierte in den sozialen Medien ein Videoclip, der eine Interaktion zwischen dem Dalai Lama und einem indischen Jungen zeigt. Er löste eine Welle der Empörung in westlichen Medien aus. Eine Einordnung von Mechthild Klein, die einige Stimmen dazu eingefangen hat.

Wir veröffentlichen die kurze Print-Fassung eines Beitrags, der im Deutschlandfunk zu hören ist. Mit freundlicher Genehmigung.

Am 28. Februar spricht der Dalai Lama vor indischen Schulkindern, die ihn in Dharsamsala besuchen, dem Sitz der tibetischen Exilregierung. Ein etwa 10-jähriger Junge kommt spontan aufs Podium und möchte vom Dalai Lama umarmt werden, seine Mutter sitzt auf der Bühne und lacht.

Der Junge erhält nicht nur die gewünschte Umarmung, sondern wird auch zum Kuss auf die Wange aufgefordert. Der Dalai Lama fordert zum Kuss auf den Mund auf und hilft nach, indem er das Kinn des Jungen führt. Schließlich sagt der Dalai Lama diesen Satz – auf englisch, der klingt wie „Suck my Tongue“, auf deutsch: „Lutsch meine Zunge“.

Der Dalai Lama streckt dem Jungen seine Zunge entgegen. Der Junge weicht erst zurück, lehnt dann seine Stirn an die des Dalai Lama und streckt seine Zunge kurz dem Dalai Lama entgegen. Kurze Zeit später entschuldigt sich der Dalai Lama öffentlich.

Der Religionswissenschaftler und Tibetologe Prof. Jens Schlieter aus Bern sieht eine Grenze überschritten. Aber er bezweifelt, dass der Dalai Lama wirklich den in Pornos geläufigen Satz sagt „Suck my tongue” sagt.

Schlieter: „Das kommt natürlich in der europäischen westlichen Kultur vor allem als Aufforderung zu intimen Handlungen vor. Und dann würde auch nicht die Zunge genannt werden, sondern etwas anderes. Und genau da, finde ich, beginnt das Problem. Denn dies sagt der Dalai Lama nicht und es ist sehr unwahrscheinlich, dass er in dem Moment daran denkt. Aber dadurch kommt es sofort in ein sexuell konotiertes Feld.“

Unangemessenes Verhalten

Jens Schlieter verweist auch auf einen Charakterzug des Dalai Lama, der ständig grenzüberschreitend gegenüber Besuchern auftrete. Auf Fotos hält der den langen Bart eines Besuchers in der Faust, rückt auch Ehrengästen auf die Pelle.

„Aber man kann natürlich auf jeden Fall sagen, dass diese Geste dem Jungen gegenüber unangemessen bleibt. Es ist erstaunlich, dass der Dalai Lama, der so gewandt mit allen möglichen Kulturen der Welt zusammengetroffen ist, dass ihm nicht klar war, was das für Folgen haben kann.“

Der Dalai Lama ist 87 Jahre alt, kann kaum mehr gehen. Mehr als 40 Jahre stand der Friedensnobelpreisträger im Licht der Öffentlichkeit, auch nachdem er seine Ämter 2011 niedergelegt hatte. Immer noch übernimmt er öffentliche Termine. Doch es mehren sich Zweifel, dass er solchen Situation auf der Bühne gewachsen ist.

Der buddhistische Mönch Tenzin Peljor, der seit Jahren daran arbeitet, Missbrauch im tibetischen Buddhismus öffentlichzu machen, sagt: „Die Sache schadet auf vielen Ebenen.

Ich finde, der ganze Vorfall ist langfristig schädlich für das Brückenbauen, was man braucht, um den Missbrauch innerhalb des indo-tibetischen Buddhismus zu adressieren – und zwar im Westen, aber dann langfristig auch innerhalb ihrer eigenen Kultur. Da bräuchte man Dialog. Ich halte es einfach auf vielen Ebenen für überhaupt nicht hilfreich, sondern einfach schädigend, aber eher im Sinne der Aufklärung und des Adressierens von Missbrauch.“

Der vollständige Beitrag erschien in der DLF-Sendung “Tag für Tag” vom 17.04.2023, Sie können ihn hier nachhören

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