Zur Situation nach der Wahl von Papst Leo XIV.
Die katholische Kirche ist die größte Organisation der Welt. Doch was wie ein einheitlicher Block erscheint, ist ein Gebilde aus vielen Teilen. Religionswissenschaftlerin Ursula Baatz über die Kirche nach der Papstwahl und den Kampf zwischen Traditionalisten und Progressiven.
Text: Ursula Baatz
Der große Rummel um den neuen Papst, den US-Amerikaner und peruanischen Staatsbürger Robert Francis Prevost, nun Leo XIV., ist mittlerweile vorbei. Dass die tagesaktuellen Medien der Wahl des Oberhauptes der römisch-katholischen Kirche so viel Aufmerksamkeit schenkten, mag verwundern.
Wenn Donald Trump sich mit Hilfe von KI als „Papst“ in den sozialen Medien präsentierte – was Ärger und Spott erzeugte – so zeigt das, wie bedeutend diese Position ist. Es gibt auch ein paar gute Gründe dafür. Die römisch-katholische Kirche ist mit 1,4 Milliarden Mitgliedern die weltweit größte religiöse Organisation.
Insgesamt gibt es etwa zwei Milliarden Christinnen und Christen, doch sind die anderen christlichen Kirchen – evangelische, orthodoxe, orientalische Kirchen – deutlich kleiner. Zum Vergleich:
Der Islam hat zahlenmäßig mit 1,8 Milliarden mehr Anhänger als die römisch-katholische Kirche, doch zerfallen diese in verschiedenste Gruppen, die sich nach Sunniten und Schiiten, aber vor allem nach Sprache und Kultur organisieren.
Auch ist die römisch-katholische Kirche eine der ältesten bestehenden Institutionen mit rechtliche Strukturen, die für alle ihr Angehörenden gilt – im Unterschied zum Buddhismus, wo das Ordensrecht zwar deutlich älter, aber nur für Mönche und Nonnen bindend ist.
Von “Opus Dei” bis Befreiungstheologie
„Katholisch“ heißt wörtlich „allumfassend“, ein Wort, unter dem sich die meisten christlichen Kirchen finden können. Erst seit der Reformation, zur Unterscheidung von den „Protestanten“ oder „Evangelischen“ gibt es die „Römisch-Katholischen“.
Man könnte meinen, die Kirche sei ein Monolith – Stichwort „päpstliche Unfehlbarkeit“ oder „Dogmen“. Doch „römisch-katholisch“ ist sehr vielfältig. Das superkonservative „Opus Dei“ ist genauso wie die Befreiungstheologie aus Lateinamerika „römisch-katholisch“.
Die Positionen könnten unterschiedlicher nicht sein. Das „Opus Dei“ – gegründet während der Franco-Diktatur in Spanien – orientiert sich an einer traditionalistischen Theologie und an feudalen Konzepten. Die Theologie der Befreiung, entstanden in der Zeit der Militärdiktaturen in Lateinamerika, will zur Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung beitragen. Sie versteht sich basisdemokratisch und bezieht sich auf die Menschenrechte.
Die Menschenrechtserklärung hat der Vatikan-Staat, dessen Oberhaupt der Papst ist, übrigens bis heute nicht ratifiziert. Um die beiden Pole – „Traditionalisten“ und „Progressive“ – organisieren sich die unterschiedlichsten Gruppierungen.
Im deutschen Sprachraum hören traditionalistisch Fromme etwa gerne „Radio Maria“. Leserinnen und Leser von „Publik Forum“, einer überkonfessionellen christlichen Zeitschrift, setzen sich für ein sozial engagiertes, aufgeklärtes Christentum ein.
Manche „neue geistliche Gemeinschaften“ versuchen, mit neuen Medien und Methoden Jugendliche in alte religiöse Klischees zu sozialisieren. Die Bewegung Sant´Egidio wiederum engagiert sich weltweit für die Unterstützung der Armen und Ausgegrenzten und in Friedensinitiativen.
Charismatische Gruppen, die eine an persönlicher Erfahrung orientierte emotionale Frömmigkeit pflegen, sind meist eher konservativ; sie gibt es sowohl im römisch-katholischen als auch im evangelischen Milieu.
Kampf zwischen Traditionalisten und Progressiven
Für Außenstehende ist es nicht immer leicht, herauszufinden, wer in welche Richtung tendiert. Zur „Unterscheidung der Geister“ kann man sich im Allgemeinen an den Themenbereichen „Sexualität und Gender“, aber auch „Demokratie“ orientieren.
Progressive Katholiken treten oft für Frauenpriestertum, für die Anerkennung von Homosexualität und für synodale bzw. demokratische Verfahren innerhalb der Kirche ein. Konservative Katholiken lehnen demokratische Prozesse für die Kirche ab, gehen von einem „Naturrecht“ aus, das Sexualität binär und Frauen als „gleich, aber mit anderen Aufgaben als Männer“ bestimmt.
Progressive und Konservative haben ganz unterschiedliche Vorstellungen von Christentum, Kirche und Tradition. Konservative beziehen sich implizit auf jene Jahrhunderte, in der „Kirche“ ein politischer Ordnungsfaktor war und in der Gesellschaft gemeinsam mit dem Monarchen Kontroll- und Normierungsfunktionen ausübte.
Sogenannte Integralisten gehen noch weiter und streben eine Unterordnung des Staates unter die Kirche an – etwa neigt US-Vizepräsident Vance zu dieser Position, die ihren Ausdruck unter anderem im Austrofaschismus (1934-1938) und der Franco-Diktatur in Spanien (1936-1975) gefunden hat.
Progressive beziehen sich meist auf die Anfänge des Christentums – als Frauen wichtige Ämter in den christlichen Gemeinden hatten und die Strukturen noch nicht fixiert waren. Als eine umstrittene und teils auch verfolgte Randerscheinung im Imperium Romanum bezog das Christentum seine Stärke nicht zuletzt aus der Sorge für die Armen und Ausgestoßenen, um die sich sonst niemand kümmerte.
Progressive suchen nach einer heutigen Form des „Römisch-Katholischen“, wie es die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils 1962-1965 nahelegen. Diese Dokumente gelten auch für die Konservativen, die sie jedoch in ihrem Sinne auslegen oder auch ignorieren wollen.
Was ist „richtig“ katholisch?
Selbst unter den höchsten Würdenträgern, den Kardinälen, also jenen, die den Papst wählen dürfen, sind die Meinungen über was „richtig katholisch“ ist, sehr heterogen. Eine relativ kleine, konservative Gruppe – deren Wortführer u.a. der deutsche Kardinal Müller ist – bestand unter Papst Benedikt XVI. auf absolutem Gehorsam dem Papst gegenüber.
Nach Meinung dieser Kardinäle sollten Katholiken, die nach einer Scheidung wieder geheiratet hatten, unter allen Umständen als in Todsünde lebend von der Kommunion ausgeschlossen werden. Auch sollte die alte Messe in lateinischer Sprache – abgeschafft vom Zweiten Vatikanum – wiederbelebt werden, bei der der Priester mit dem Rücken zu den Gläubigen steht.
Jorge Bergoglio, Papst Franziskus, unterband diese Versuche und gab 2017 eine Erklärung des Lehramts heraus, unter welchen Umständen wiederverheiratete Geschiedene als Teil der Gemeinde zur Kommunion gehen können.
Die Reaktion der traditionalistischen Kardinäle auf diese und andere kontroverse Punkte: sie bezeichneten Papst Franziskus öffentlich als Häretiker, als einen vom Glauben abgefallenen.
Der Neue im Vatikan muss diese divergenten und verfeindeten Positionen überbrücken und befrieden. Dass Robert Francis Prevost im Konklave mit 90 von 133 Stimmen zum neuen Papst gewählt wurde, deutet darauf hin, dass ihm das viele zutrauen.
Vermutlich, so heißt es, werde er in kirchenrechtlichen Fragen vorsichtiger sein als Papst Franziskus, aber das Engagement für Arme und Unterdrückte und für eine Kultur der Synodalität und Demokratisierung weiterführen.
Insofern ist der erste Amerikaner auf dem Papstthron ein deutliches Gegenbild zu dem gegenwärtigen Präsidenten der USA, der mit Allmachtsgehabe Konflikte schürt, die Demokratie zerstört und durch seine Politik Menschen in Armut stürzt.