Die Transformation ist unaufhaltsam

Dorota Szymczyk/ Shutterstock
Hundertwasserhaus in Wien, Transformation |
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Über die verschiedenen Ebenen des Wandels

Wir befinden uns am Endes einer Phase ökologischer Zerstörung und am Anfang hin zu einer nachhaltigen Welt, ist Geseko von Lüpke überzeugt. Wandel geschieht auf drei Ebenen: über Protestaktionen für das Leben auf der Erde, den modellhaften Aufbau von Alternativen sowie die Bewussteinsarbeit hin zu einer Ethik des Mitgefühls.

Vom Umbruch ist die Rede. Und wem das nicht reicht, redet vom ‚Neuen Zeitalter’, vom ‚’Großen Wandel’. Die Wissenschaft schwadroniert vom Paradigmenwechsel, von der Verschiebung der Weltbilder, Wahrnehmungen und Kulturen.

Und sogar in Politik und Wirtschaft rüstet man seit ein paar Jahren zur ‚Großen Transformation’. Was da wabert, ist die Ahnung, dass sich was ändert, ändern will, ändern muss. Alle warten! Aber passiert etwas, außer dem Falschen?

Fraglos geschieht Wandel, aber anders. Nicht als großer Knall, als Revolution, als plötzlicher Umbruch. Vielmehr zeigt sich der Wandel als Prozess, als ein ständiges Kollabieren und Geborenwerden.

„Wir sind Sterbebegleiter einer alten Kultur“, hat die Ökologin und Systemtheoretikerin Joanna Macy gesagt, „und zugleich Hebammen oder Geburtshelfer eine neuen Lebensweise“.

Es scheint darauf anzukommen, wo wir uns gerade selber sehen: im Klagen und Abschiednehmen, in der Angst vor dem Verlust von Sicherheit oder aber im staunenden Beobachten zahlloser neuer Ansätze, Initiativen und Projekte, die überall aufpoppen und die Welt täglich neu erfinden.

Wir befinden uns im Aufbruch

Der deutsch-amerikanische Kulturwissenschaftler Ralph Metzner sieht zwei parallele Entwicklungen: „Die einen sind die destruktiven, die zerstörerischen, die die Welt verwüsten und veröden. Und das andere sind diese praktischen ökologischen nachhaltigen Systeme, die erfunden, entwickelt und ausprobiert werden.“

Von letzteren ist nicht viel zu hören, weil Krieg, Blut und Katastrophen sich in den Medien besser verkaufen. Ein fallender Baum macht mehr Krach als ein wachsender Wald. Doch der stille Wald wächst behutsam aber stetig. Wir sind mittendrin im Wandel.

Und wären dann vielleicht sogar selber diejenigen, auf die wir immer gewartet haben. Dann bräuchte die frustrierende Warterei nur einen gewissen Perspektivwechsel, um uns ganz woanders wiederzufinden.

Tatsächlich könnte man annehmen, dass künftige Generationen einmal auf unsere Zeit zum Anfang des 21. Jahrhunderts zurückblicken und sie historisch als die entscheidende Phase des Endes ökologischer Zerstörung und dem Aufbruch in eine nachhaltige Welt definieren.

Schaut man im Jahr 2224 aus der Perspektive unserer Nachfahren in sieben Generationen auf die Gegenwart zurück, dann wäre sie wahrscheinlich gar keine Schussfahrt in die Katastrophe, sondern der Beginn eines ‘Großen Wandels’.

Prototypen für neue Zukünfte entwickeln

Tatsächlich lassen sich aus einer solchen Perspektive schon heute drei Ebenen des Wandels erkennen: Da ist zunächst die Ebene des aktiven Widerstandes gegen Kriege, Hochrüstung, Ressourcenplünderung, Klimakrise, giftige Nahrung, Risikotechnologien, Menschenrechtsverletzungen, Fake-News, Hass und Verdummung.

Mit diesem aktiven demokratischen, friedlichen Widerstand wird zwar kein unmittelbarer Wandel eingeläutet, aber Zerstörung gebremst und Zeit für Veränderung gewonnen. Es ist ein kraftzehrender Widerstand engagierter Aktivisten voller frustrierender Rückschläge, staatlicher Sanktionierung und gesellschaftlicher Ausgrenzung – nehmen wir nur die Aktionen der „Letzten Generation“. Der Protest ist extrem wichtig für die Zukunft, aber lange nicht genug für den Umschwung.

Die zweite Ebene des längst geschehenden Wandels ist die nüchterne Analyse der aktuellen Fehlentwicklung und der modellhafte Aufbau von Alternativen durch engagierte Pioniere: Seien es kooperative Wirtschaftsmodelle, komplementäre Regionalwährungen, regenerative Energiegewinnung, alternative Schulen oder ökologische Gemeinschaften, die als Pioniere längst an einem ‚neuen Wir’ basteln.

Auch das wirkt noch nicht wie der ‚Große Wandel’, zugegeben. Aber da werden mit Fantasie und Hoffnung überall Flösse gebastelt für den Moment, wenn die Titanic sinkt.

Man kann sie auch sehen als Prototypen für andere Zukünfte, die heute schon passieren. Doch das reicht nicht für die globale Transformation der zerstörerischen Wachstumsgesellschaft.

Ein neues Weltbild und eine Neubestimmung des Menschen

Drittens aber – und das ist wohl entscheidend – vollzieht sich schon seit über 50 Jahren in aller Welt ein Wandel im Denken, im Wahrnehmen und Fühlen: Ein Paradigmenwechsel in unserer Art uns selbst, die Welt und das Größere, was uns umgibt, zu sehen.

Es ist ein Wechsel von einer mechanischen Zahnrad-Welt zu einer Sicht des organischen lebendigen Ganzen, ein Sprung aus der Opferhaltung in den Mut, jenseits der alten Muster das eigene Potential so zu entfalten, dass es mir und der Welt dient: Ein Wandel des Weltbilds, eine Neubestimmung der Rolle des Menschen im Netz des Lebens.

Ein Weltbild der Verbundenheit und Ethik für das Leben. Langsam, aber unaufhaltsam vollzieht sich dieser kulturelle Wandel bei jedem Einzelnen, in jedem Dorf, jeder Region, jeder Kultur.

Hier – auf dieser dritten Ebene des kulturellen Wandels – liegen die Wurzeln der mittlerweile schätzungsweise rund zehn Millionen Initiativen der globalen Zivilgesellschaft, die jede Krise nutzen, um daraus eine Chance für Neues zu machen.

In der Flut der täglichen schlechten Nachrichten haben wir vergessen, dass seit 1980 fast siebzig Diktaturen in aller Welt von einer engagierten lokalen Zivilbewegung gestürzt wurden. Fraglos sind die Millionen von Zukunfts-Initiativen für Frieden und Umwelt, für andere Ökonomie und soziale Gleichberechtigung aber heute schon die größte soziale Bewegung in der Geschichte der Menschheit.

Mehr Teilhabe der Zivilgesellschaft

Wohin also gilt es zu blicken, wenn wir heute dringend nach neuen Ansätzen eines nachhaltigen Lebens, eines solidarischen Wirtschaftens suchen? Kann es tatsächlich darum gehen, weiterhin auf bessere Gesetze oder ganzheitlichere Politik zu warten? Wohl kaum.

Es gilt vielmehr, jene Inseln zu lokalisieren, die heute schon kreativ auf wahrgenommene Krisen reagiert haben und Zukünfte als Modelle aufgebaut haben. Und das sind fast immer Initiativen der Zivilgesellschaft. Sie gilt es in Teilhabe zu erforschen, mitzumachen oder ihren Einsichten zu nutzen, um eigene Ideen vorwärtszubringen.

Denn wir können nicht länger auf ‚bessere Zeiten’ warten, während real die Chancen für ‘Besseres’ sinken. ‚Wir sind der Wandel‘ lautete dementsprechend ein Buch von dem Amerikaner Paul Hawken mit dem Untertitel: ‚Warum die Rettung der Erde bereits voll im Gang ist – und kaum einer es bemerkt‘.

Wo stehen wir also? Am Rand der Apokalypse? Mitten im Kollaps? Mit einem Fuß schon in der Post-Wachstums-Gesellschaft? In der besten aller Welten? Die Antwort lautet: Überall zugleich!

Und wann kommt er, der ‚Große Wandel‘? Die Antwort ist paradox: Wir brauchen die Unsicherheit, wann er kommt, um alles dafür zu tun, dass er kommt. Also lautet der einfache Ratschlag, aktiv in die Antworten hineinzuleben. Braucht es dazu eine Hoffnung? Nein, denn Hoffnung entsteht im Handeln.

Porträtfoto Geseko von Lüpke

Dr. Geseko von Lüpke

ist freier Journalist und Autor von  Publikationen über Naturwissenschaft, nachhaltige  Zukunftsgestaltung und ökologische Ethik. Er studierte  Politikwissenschaft und Ethnologie und leitet seit über 20 Jahren tiefenökologische Fortbildungen.

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