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Digitalisierung: So ein komisches Bauchgefühl

RicoBest/ shutterstock.com
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Ein Standpunkt von Sabine Breit

Droht die Digitalisierung fast aller Lebensbereiche uns „Nutzer“ zu kleinen Robotern zu machen? Wir vereinheitlichen unser Verhalten – und Sprache und Denken gleich mit. Die Linguistin Sabine Breit macht Mut: Die Konzerne geben den Ton an. Aber noch sei Zeit zu gestalten, welche Technik wir wollen und welche nicht.

 

Wir mögen unsere kleinen digitalen Helferlein – das Schlauphon, das Navi, die Apps für den Fahrkartenkauf und die Musikerkennung. Trotzdem machen wolkige Begriffe wie Digitalisierung und künstliche Intelligenz vielen Menschen irgendwie Angst. Da ist so ein komisches Bauchgefühl.

Das ist nicht verwunderlich. Zum einen sind diese Begriffe nicht zu greifen. Sie fallen allesamt durch das, was ich den „Paulchen, mal mal-Test“ nenne – keines unserer Kindergartenkinder könnte sie malen. Und von was man sich kein Bild machen kann, hat man auch keine klare Vorstellung.

Außerdem wird uns alles rund um die Digitalisierung gerne als höhere Gewalt oder Naturgesetz verkauft. Etwas, das uns passiert. Ein Phänomen, das plötzlich da war und gegen das wir nichts, aber auch gar nichts tun können. Wir sind sowas von ohnmächtig.

Das ist natürlich Unsinn. Wäre die Digitalisierung tatsächlich höhere Gewalt, dann wäre es die Industrialisierung auch gewesen. Tatsächlich wird die Digitalisierung ebenso wie die Industrialisierung aber von Menschen nach ihren Vorstellungen und Interessen gestaltet. Und natürlich geht es bei Digitalisierung à la Facebook & Co. heute vor allem um Produktivitäts- und Unternehmensgewinne und um den Shareholder Value. Digitalisierung in ihrer gegenwärtigen Form ist schlichtweg die neueste Inkarnation des kompetitiven Prinzips.

Immer die gleichen Routinen

Als solche setzt sie einen neuen Bezugsrahmen, in den wir uns mit dem, was wir können und wissen, mit unserer Sprache und unserem Denken (ich nenne das „Zeichenfundus“) einfügen sollen. Wann immer wir uns in einen Bezugsrahmen freiwillig oder anderweitig einfügen, macht das etwas mit uns.

Lernt man etwa eine Sprache, um sich in einem Land zurechtzufinden, öffnet sich eine Tür zu neuen Gedanken und Einsichten. Man reichert seinen Zeichenfundus an. Wie ist das nun mit der Digitalisierung und unserer Anpassung daran? Werden die Maschinen immer intelligenter und mächtiger und wir mit ihnen oder werden wir immer blöder und ohnmächtiger?

Seit geraumer Zeit diskutieren verschiedene Experten, wie sich die Nutzung digitaler Medien auf die kognitiven Fähigkeiten der Nutzer auswirkt. Insbesondere in Zusammenhang mit pädagogischen Angeboten in Schulen. Bis die Experten sich einig sind, können wir kurz selbst überlegen, was die Nutzung unserer digitalen Helfer im Alltag so mit uns macht. Etwa mit unserem Gedächtnis. Haben Sie seit der Anschaffung Ihres Smartphones noch irgendeine Telefonnummer im Kopf? Ich auch nicht. Früher kannte ich X Telefonnummern auswendig und habe diese viel schneller gewählt, als ich sie heute aus meinen Kontakten raussuchen kann.

Oder nehmen wir die Spracherkennung: Wenngleich Spracherkennungssysteme heute für den Standardgebrauch wohl ganz passabel sind, zwingen sie uns immer noch, so zu reden, dass das System uns versteht: langsam, simplistisch und standardisiert. Das heißt, wir müssen unsere Zeichen an das System anpassen. Überhaupt verlangen viele der uns umgebenden Systeme nach standardisiertem Nutzerverhalten: immer die gleichen Routinen, immer die gleichen Drop-Down-Optionen, immer die gleichen Antwortvorgaben, immer die gleichen Kästchen. Das ist folgerichtig, denn nur Standardisierung schafft Masse und damit Gewinn.

Je mehr wir Menschen uns an diese standardisierten Systeme anpassen, umso mehr akzeptieren wir auch eine Standardisierung unserer Sprache. Und je mehr wir unsere Sprache normieren, umso mehr wird im Wechselspiel zwischen Worten und Denken auf Dauer auch unser Denken normiert. Uns gehen irgendwann die Begrifflichkeiten für Alternativen verloren. Das ist mit der Wörtervielfalt wie mit der Artenvielfalt.

Wir können gestalten

Unlängst kündigte Facebook an, es wolle ein System entwickeln, mit dem man über einen Chip Gedanken direkt aus dem Sprachzentrum lesen und dann zum Beispiel in einem Chat-Fenster anzeigen kann. Damit wir nicht mehr tippen müssen. Nur rein theoretisch gefragt: Nehmen wir an, dieses System wäre mit den gleichen Einschränkungen behaftet wie die heutigen Spracherkennungssysteme.

Hieße das dann, dass wir für die Nutzung dieses Systems immer schön sortiert und standardisiert denken müssen? Und immer in Wörtern und bitte nicht in Bildern, weil die Bilderkennung noch nicht soweit ist? Das wäre praktisch das Gegenteil vom kreativen Chaos im Kopf. Wäre das auf Sicht wirklich hilfreich für Innovation und Evolution im Großen wie im Kleinen? Nur mal so ins Unreine gedacht.

So fragt es sich, ob Unternehmen, denen an Wachstum und schlauen Mitarbeitern gelegen ist, und Gesellschaften, die mündige Bürger wollen, tatsächlich gut daran tun, auf Systeme zu setzen, die diese einseitige Anpassung im Dienste des Wettbewerbs befördern. Denn am Ende ist nichts gewonnen, wenn die Systeme immer fähiger und die Mitarbeiter immer unfähiger werden. Insbesondere angesichts der ganz eigenen Risiken, die mit der digitalen Welt einhergehen.

Wer schon einmal einen mehrstündigen Stromausfall erlebt hat, weiß, wie dunkel es dann ohne menschliche Findigkeit wird. Wem Hacker schon mal ein System zerschossen haben, weiß, wie blöd es ist, wenn entscheidendes Unternehmenswissen in irgendwelche Datenbanken ausgelagert wurde und keiner mehr irgendwas im Kopf abgespeichert hat.

So ist es wichtig, wie der Bezugsrahmen für die Digitalisierung weiter ausgestaltet wird. Soll es weiter vor allem um Wettbewerb gehen, oder möchten wir Technik, die uns tatsächlich dabei unterstützt zu kooperieren? Welche Personen sollen diesen Bezugsrahmen bestimmen und wer ihn gestalten? Welche Aufgaben wollen wir diesen Systemen anvertrauen, welche nicht? Auf welche Werte und Regeln wollen wir uns als Gemeinschaft einigen, nach denen die Technik für uns zu funktionieren hat? Und wer setzt diese Regeln letztlich durch?

Der Diskurs über diese Fragen hat bereits begonnen. In der Zwischenzeit können wir alle mit unseren Kaufentscheidungen und unserem Verhalten dazu beitragen. Wir können selbst darüber entscheiden, wie weit dieser Anpassungsprozess für uns gehen soll und wie weit wir die kompetitive Lesart der Digitalisierung füttern wollen. Ob wir all unser Wissen „outsourcen“ und zum „Nachschlager“ werden wollen, oder nicht doch für schlechte Zeiten noch was im Kopf behalten.

Also, wenn der Strom ausfällt oder das Nachschlagen vielleicht nicht mehr kostenlos ist. Ob wir alles bei Amazon und Co. kaufen oder auch noch in bunten Innenstädten mit kleinen Einzelhändlern analog beim Kaffee sitzen wollen. Ob wir Menschen um Rat fragen, die ihren Beruf erlernt haben, oder Systeme, die von einer anonymen „Schwarmintelligenz“ angelernt wurden. Oder welche Systeme wir mit unseren wertvollen Daten tatsächlich kostenlos „füttern“ wollen. Sieht aus, als seien wir gar nicht mal so ohnmächtig.

 

Sabine Breit

Sabine Breit hat angewandte Sprachwissenschaft studiert und ist seit über 20 Jahren als Linguistin in die Unternehmenskommunikation sowohl mittelständischer Unternehmen als auch internationaler Großkonzerne eingebunden. Sabine hat eine bezaubernde Tochter, eine sehr kommunikative Katze und findet Ausgleich vom Kommunizieren im Reisen, beim Lesen, beim Sport und in der Meditation.

 

 

 

 

 

 

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“Digitalisierung in ihrer gegenwärtigen Form ist schlichtweg die neueste Inkarnation des kompetitiven Prinzips.” Auf den Punkt gebracht!

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