Fakten zu einer heiß diskutierten Frage
Aktionen der „Letzten Generation“ an Flughäfen wollen Menschen aufrütteln, das Klima zu schützen, doch stoßen sie oft auf Ablehnung. Ines Eckermann stellt wichtige Informationen zusammen: über die CO2-Belastung von Flugzeugen im Vergleich mit anderen Verkehrsmitteln, billige Flugtickets und wie wirksam die CO2-Kompensation ist.
Die Pandemie und mit ihr die Zeit ohne Kondensstreifen am Himmel und langen Schlangen vorm Sicherheitscheck ist längst vorbei. Mittlerweile hat sich der Flugverkehr in Deutschland wieder so berappet, dass er fast auf vor-pandemischen Niveau angekommen ist. Doch während sich die Reisebranche freut, werden Klimaschützer zunehmend nervös. Sollten wir unser Reiseverhalten überdenken?
Das Luftfahrt-Tracking-Unternehmen Flightradar24 verzeichnete am 6. Juli 2023 die höchste Zahl an kommerziellen Flügen an nur einem Tag seit Start des Dienstes im Jahr 2006: Insgesamt waren an diesem Tag weltweit 134.386 Flieger in der Luft, exklusive Privatjets und Frachtflüge.
Der Frankfurter Flughafen fertigte 2023 knapp 59 Millionen Passagiere ab. Die Entwicklung setzt sich fort: Allein im Mai 2024 starteten und landeten dort rund 39.400 Flugzeuge – und mit ihnen über 200.000 Passagiere pro Tag. Und das trotz der im europäischen Vergleich hohen Luftverkehrssteueren und Luftsicherheitskosten und entsprechend hoher Ticketpreise.
Laut dem Statistischen Bundesamt sind die Preise für Flugtickets als auch für Pauschalreisen schon seit Ende der corona-bedingten Reisebeschränkungen stark gestiegen: So lagen die Preise für Flugtickets im 1. Halbjahr 2023 sogar um 52,6 Prozent höher als im ersten Halbjahr 2021, das schon von der Pandemie geprägt war. Trotz allem ist die Reiselust ungebrochen.
Flugverkehr erhitzt das Klima und die Gemüter
Doch während es die einen in die Ferne zieht, lassen die anderen Kartoffelbrei auf Gemälde fliegen: Klimaaktivisten wie Scientist Rebellion und Debt for Climate kleben sich an die Forte des Wirtschaftkonzerns Blackrock in München, und Mitglieder der Gruppe Just Stop Oil bewerfen die Wachsfigur von König Charles III. im Londoner Madame Tussauds mit Torten.
Die Klima-Aktivisten der Letzte Generation machen immer wieder darauf aufmerksam, wie stark unsere alltäglichen Entscheidungen das Klima beeinflussen. Auch Flughäfen sind immer wieder Angriffsziel der Aktivisten, gerade auch in der Urlaubszeit.
Schließlich ist der Luftverkehr für etwa zwei bis drei Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Daneben setzen Flugzeuge auch noch andere Gase frei, die negative Auswirkungen auf die Wärmeverteilung in der Atmosphäre haben können: Wasserdampf, Stickoxid, Kohlenmonoxid, Schwefeldioxid und unverbrannte Kohlenwasserstoffe. Diese Gase tragen indirekt zur Klimaerwärmung bei. Sie führen zur Bildung von Ozon und Kondensstreifen in der Atmosphäre, uns das wiederum verstärkt die Erwärmung und den natürlichen Treibhauseffekt.
Private Flugreisen, insbesondere mit Privatjets, sind dabei besonders schädlich fürs Klima, da sie pro Passagierkilometer deutlich mehr Emissionen verursachen als kommerzielle Flüge. Das Argument, dass ein Verbot von Billig-Fliegern das Fliegen nur für Reiche Leute zugänglich mache, hinkt also: Denn global betrachtet ist Fliegen grundsätzlich den Reichen vorbehalten.
Berichte deuten darauf hin, dass etwa ein Prozent der Weltbevölkerung die Hälfte der CO2-Emissionen des Luftverkehrs verursacht. Ist Flugscham also auch aus sozialen Gründen angebracht?
CO2-Ausstoß: die harten Zahlen
Wer aus ethischen Gründen auf Flugreisen verzichtet, könnte mit Blick auf die Zahlen moralisch bald abheben: Auf einer Fahrt von München nach Kopenhagen pustet ein Auto etwas rund 190 Kilogramm CO2 in die Luft, bei einem Diesel sind es 136 Kilogramm. Für eine Fahrt im Fernbus sind es etwa 28 Kilogramm, und im Zug nur 14 Kilogramm.
Dieselbe Strecke belastet das Klima mit fast 240 Kilogramm CO2, wenn sie im Flugzeug zurückgelegt werden. Dies scheint auf den ersten Blick gering, jedoch haben sich seit 1990 die CO2-Emissionen des Flugverkehrs nahezu verdoppelt. Ein einzelner Langstreckenflug von Europa nach New York und zurück verursacht pro Passagier etwa zwei Tonnen CO2.
Zum Vergleich: Die durchschnittliche jährliche CO2-Emission pro Kopf in Deutschland beträgt etwa 9,6 Tonnen. Ein einzelner Langstreckenflug entspricht somit ungefähr einem Fünftel des jährlichen Pro-Kopf-Ausstoßes eines Deutschen.
Und das Problem mit Flugzeugen ist, dass meist in Höhen von 9.000 bis 13.000 Metern unterwegs sind, wo die Atmosphäre besonders sensibel ist. Berechnungen zufolge erwärmt das CO2 in dieser Höhe das Klima dreimal mehr als das am Erdboden ausgestoßene CO2
Klimaschutz ist unbequem
Wer reisen möchte, ist also immer im Zwiespalt und muss sich entscheiden zwischen 30 Stunden im Bus, vielen Stunden im Zug bei einer teils desolaten Bahn-Infrastruktur oder endlosen Autokilometern, oder der bequemen, aber deutlich schädlicheren Variante Fliegen.
Hinzukommt, dass es einen Flug von Düsseldorf nach Madrid bereits ab 30 Euro gibt, ein entsprechendes Zugticket allerdings in der Regel das Zehnfache kostet. Solange die Politik nicht regulierend eingreift, wird die Wahl des Verkehrsmittels also auch weiterhin eine Frage des persönlichen Zeitbudgets, der Bequemlichkeit und des Geldes bleiben.
Können wir unser Gewissen und den Planeten denn vielleicht mit einer kleinen Spende entlasten? Wer einen Flug bucht oder ein Päckchen beim Versandhändler bestellt, kann für einen gewissen Aufpreis die CO2-Kompensation hinzubuchen und so sein Gewissen entlasten.
In der Regel fließt dieses Geld an Anbieter von Aufforstungsprojekte. Die mit diesem Geld gepflanzten Bäume sollen mittelfristig die ausgestoßenen Treibhausgase kompensieren. Kein Wunder, dass kritische Stimmen diese Form der CO2-Kompensation als modernen Ablasshandel bezeichneten. Das scheint nicht allzu weit hergeholt, schließlich ist der Effekt kaum überprüfbar.
Greenwashing für ein reines Gewissen
Die überwiegende Mehrheit der Anbieter wollen die Treibhaus-Emission mit Waldschutzprojekten ausgleichen. Entweder wollen sie bestehende Wälder vor der Abholzung schützen, oder sie unterstützen die aktive Wiederaufforstung. Oft sind solche Projekte zur C02-Kompensation einer Untersuchung zufolge jedoch wenig mehr als Greenwashing.
Einer im Wissenschaftsmagazin Science erschienen Studie zufolge halten nur etwa sechs Prozent der CO2-Zertifikate der untersuchten Projekte tatsächlich, was sie versprechen. Die meisten anderen Projekte kompensieren viel weniger CO2 als angegeben – oder haben sogar keinen nachweisbaren Effekt.
Eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob wir besser alle am Boden bleiben sollten, gibt es nicht. Klar ist: Gut fürs Klima ist fliegen sicher nicht. Allerdings sind die Maßnahmen, die unser grünes Gewissen beschwichtigen sollen, meist kaum etwas wert.
Wir stehen nun also vor einer weiteren Entscheidung: Wollen wir die Welt nochmal sehen, bevor wir sie endgültig ruiniert haben – und das Klima dabei noch etwas mehr herunterwirtschaften? Oder wollen wir auf Flugreisen verzichten und einen anderen, vielleicht etwas unbequemeren Weg zu Reisen finden?
Klar ist: Solange wir für 15 Euro nach Mallorca fliegen können, werden sich auch Menschen finden, die dieses Angebot annehmen – Flugscham hin oder her.
Hier können Sie den CO2-Ausstoß Ihres Autos berechnen und mit anderen Verkehrsmitteln vergleichen
Ines Maria Eckermann machte einen Doktor in Philosophie. Nebenbei heuerte sie als freie Mitarbeiterin bei verschiedenen Medien an und engagiert sich im Umweltschutz.
“Eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob wir besser alle am Boden bleiben sollten, gibt es nicht.” — Nein? Wirklich nicht? Dabei listet die Autorin im Artikel doch alle Gründe auf, die GEGEN das Fliegen sprechen. Und keinen einzigen dafür, außer unserer Bequemlichkeit. — Das ist wie wenn es im Fussball nach 90 Minuten 5:0 steht, aber der Schiedsrichter das Spiel als unentschieden werten will. “Einen eindeutigen Sieger gibt es nicht”. — Schon erstaunlich, wie viel kognitive Dissonanz wir aushalten, nur um im Leben nix ändern zu müssen