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Emotionale Intelligenz reicht nicht

ArtFamily/ shutterstock.com
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Ein Gastbeitrag von Vivian Dittmar

Emotionale Intelligenz hat Konjunktur, Gefühle werden immer wichtiger, sogar im Berufsleben. Doch ist ein emotional kompetenter Mensch auch ein guter Mensch? Oder muss nicht die ethische Integrität hinzukommen? Gedanken dazu von Vivian Dittmar, Trainerin für soziale Kompetenz.

Die Nutzung psychologischer Erkenntnisse für die Manipulation der Menschen ist fast so alt wie die moderne Psychologie. Besonders beeindruckend und erschreckend ist in diesem Zusammenhang die Arbeit von Edward Barnays, dem Neffen von Sigmund Freud. Er wusste auf der unbewussten Bedürfnisklaviatur der Massen zu spielen und begründete die moderne PR. Er sorgte beispielsweise dafür, dass das Rauchen bei Frauen lange als Zeichen der Emanzipation galt. Im Auftrag der Zigarettenindustrie initiierte er einen fingierten Protestmarsch mit Frauen, die Zigaretten rauchten.

Dies ist ein harmloses Beispiel. Wir kennen emotionale Manipulation auch aus politischen Zusammenhängen. Extrem betrieben es die Nationalsozialisten: Sie nutzten die Erkenntnisse des Juden Sigmund Freud, um Juden in den Augen der Restbevölkerung zu diffamieren. Es ist daher naheliegend, auch jüngere Errungenschaften der Psychologie wie die Emotionsforschung und die Erkenntnisse über emotionale Intelligenz auf ihr Missbrauchspotenzial abzuklopfen.

Lässt sich emotionale Intelligenz manipulativ einsetzen? Diese Frage lässt sich nur beantworten, wenn wir eine klare Definition emotionaler Intelligenz zugrundelegen können. Interessanterweise hat sich jedoch um genau diesen Begriff in den letzten zwanzig Jahren eine heiße akademische Debatte entfacht.

Peter Salovey von der University of Massachusetts und John Mayer, Präsident der Yale University schöpften den Begriff im Jahr 1987. Ihnen ging es hier vor allem um das Zusammenspiel von Ratio und Gefühl, also um die Erkenntnis, dass diese beide Instanzen nicht, wie oft angenommen, Gegensätze sind, sondern einander bedingen.

Bekannt wurde der Begriff jedoch erst durch das gleichnamige Buch von Daniel Goldmann Mitte der neunziger Jahre, das zu einem internationalen Bestseller wurde.

Hat soziale Intelligenz mit sozialen Fertigkeiten zu tun?

Das Problem an der Sache war Folgendes: Goleman hatte sich zwar an dem von Salovey und Mayer vorgestellten Modell orientiert, den Begriff jedoch entscheidend ausgeweitet. So ging es bei Salovey und Mayer noch um vier Grundfertigkeiten: Identifikation, Einsatz, Verständnis und Steuerung von Emotionen. Bei Goleman kamen Faktoren wie Selbstbewusstsein, Motivation und soziale Fertigkeiten hinzu, weshalb ihm vorgeworfen wurde, den Begriff verwässert zu haben.

Interessant ist jedoch, dass Goleman emotionale Intelligenz mit ethischem Handeln in Verbindung brachte. Salovey und Mayer lehnten dies ab. Sie vertreten die Meinung, dass emotionale Intelligenz unabhängig von der Ethik und den Werten eines Menschen ausgebildet und somit auch missbraucht werden könnte. Golemans Buch hingegen erweckte den Eindruck, dass ein emotional intelligenter Mensch auch ein guter Mensch sei.

Wenn wir emotionale Intelligenz wie Salovey und Mayer als das Zusammenspiel von Ratio und Emotionen betrachten, ist sie wie auch die rationale Intelligenz als amoralisch zu betrachten. Die Geschichte hat gezeigt, dass ein hoher IQ nicht immer einem besseren Menschen gehört, ebenso wenig die Fähigkeit, die Emotionen der Menschen zu lesen und diese zu steuern. Eines der bekanntesten Beispiele ist die NS-Propaganda, die mit den Emotionen der Massen spielte und diese instrumentalisierte.

Dennoch ist der Gedanke, dass Adolf Hitler über eine gewisse emotionale Intelligenz verfügt haben könnte, zugegebenermaßen gruselig. Gefühle sind so eng mit unserer Menschlichkeit verknüpft, und nur zu gerne grenzen wir uns von Verbrechern ab, indem wir sie als „herzlos” oder „gefühlskalt” abstempeln. Doch emotionale Intelligenz ist eben mehr, als Gefühle haben. Sie bedeutet auch, dass wir Gefühle erkennen und steuern können.

Ist ein emotional intelligenter Mensch ein guter Mensch?

Heute trainieren Manager und Mitarbeiter in Trainings ihre emotionale Kompetenz, denn längst ist bekannt, dass diese ausschlaggebend für den Erfolg eines Menschen ist. Diese Investitionen rechnen sich für Unternehmen. Emotional kompetente Mitarbeiter kooperieren besser, emotional kompetente Führungskräfte führen besser, emotional kompetenten Teams gelingt es besser, ihre Fähigkeiten zusammenzufügen.

Insgesamt sind es Unternehmen mit einer emotional kompetenten Kultur, in denen Menschen gerne arbeiten. Soweit so gut. Doch emotional kompetente Manager und Unternehmer können eben auch besser manipulieren. Sie bringen Mitarbeiter dazu, über ihre Grenzen zu gehen, sich selbst noch effektiver auszubeuten und unter Umständen sogar Dinge zu tun, die eigentlich mit ihren Werten nicht vereinbar sind.

Die Entwicklung von emotionaler Kompetenz alleine reicht nicht aus, wenn es unser Anliegen ist, einen positiven Beitrag zur Kulturentwicklung eines Unternehmens oder einer Gesellschaft zu leisten. Nur wenn diese Entwicklung von einer Auseinandersetzung mit ethischen Werten begleitet wird, wenn auch die Integrität jedes Einzelnen Thema ist, ist die Entwicklung dieser Kompetenz wirklich eine Bereicherung.

Um die ethische Dimension zu integrieren, müssen wir uns fragen, warum wir die Dinge tun, was unsere Motivation ist, und nicht nur betrachten, wie wir sie tun. Ohne die Auseinandersetzung mit diesen ethischen Kernfragen, ist die Entwicklung emotionaler Kompetenz, etwa in einem Unternehmen mit anderen Effizienz steigernden Maßnahmen vergleichbar: Sie befähigen uns, das, was wir tun, immer schneller und besser, mit sinkenden Reibungsverlusten zu tun. Doch wenn wir, so wie die moderne Wirtschaft, mit Höchstgeschwindigkeit auf ein Problem zu rasen, wird es diese Reise lediglich beschleunigen, statt einen entscheidenden Richtungswechsel vorzunehmen.

Das gleiche gilt für die Schulung emotionaler und sozialer Kompetenzen in unseren Bildungssystemen. Tatsächlich gibt es hier gravierende Defizite, die einer dringenden Kurskorrektur bedürften. Doch wenn entsprechende Maßnahmen nur getroffen werden, um junge Menschen zu noch reibungsloser funktionierenden Rädchen im System zu machen, verpassen wir die Chance.

Gefühle sind eng mit unserer Menschlichkeit verknüpft – vielleicht sind sogar sie es, die unsere Menschlichkeit ausmachen. Menschengerechte Systeme sind Beziehungssysteme, in denen auch die Gefühle einen Platz haben. Doch nicht nur, damit die Kooperation besser gelingt und Konflikte fruchtbarer ausgetragen werden, sondern auch, um Unternehmen, Organisationen und Gesellschaftsformen entstehen zu lassen, die dem Leben dienen, statt Leben zu zerstören.

Hierfür braucht es Menschen, die nicht nur emotional kompetent sind, sondern die auch mit ihrem ganz eigenen Gefühl für Stimmigkeit in Kontakt sind, mit ihrer Integrität. Diese Fähigkeit lässt sich jedoch schwerlich in Trainings ausbilden, nachdem sie über viele Jahre systematisch zerstört wurde. Die Förderung emotionaler und sozialer Intelligenz kann also nur ein Baustein zeitgemäßer Bildung sein und zwar in einem Kontext, in dem auch die eigenen Werte und damit das ureigene Gefühl für Wahrhaftigkeit, Stimmigkeit und Integrität entwickelt wird.

Vivian Dittmar

Axel Hebenstreit

Axel Hebenstreit

Vivian Dittmar ist Autorin des Bestsellers „Gefühle & Emotionen – Eine Gebrauchsanweisung” und anderer Bucherfolge zu den Themen emotionale und soziale Kompetenz.

Als Trainerin und Beraterin begleitet sie Unternehmer und Führungskräfte auf dem Weg in eine emotional und sozial kompetente Kultur. Durch die von ihr gegründete gemeinnützige Be the Change Stiftung für kulturellen Wandel setzt sie Impulse für gesellschaftliche Innovation.

Buchtipp: Gefühle & Emotionen – Eine Gebrauchsanweisung, edition est, 2014, ISBN 978-3-940773-01-2, € 17,50.

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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Liebe Frau Dittmar, ich finde Ihre Arbeit hervorragend, aber die permanente Wiederholung der Reizworte “Nationalsozialismus” und “Hitler” in diesem Artikel und in unseren Medien ist das beste Beispiel für “emotionale Manipulation”. Heute sind es ganz andere Kreise, die uns emotional manipulieren. Schade, dass Sie DIESE nicht als Beispiel heranziehen.

“Gefühle sind eng mit unserer Menschlichkeit verknüpft – vielleicht sind sogar sie es, die unsere Menschlichkeit ausmachen.” Ja, genau. Unmenschlichkeit entsteht offensichtlich durch langjährige Unterdrückung von Gefühlen.
Es kommt also darauf an, was mit dem Begriff “Emotionale Kompetenz” gemeint ist. Geht es dabei nur um ein “Lesen und Steuern von Gefühlen” braucht es tatsächlich die ethische Ebene als Orientierung. Verstehen wir “Emotionale Kompetenz” aber als Fähigkeit, mit unseren Gefühlen und deren innewohnenden Intelligenz in Kontakt zu kommen, dann führt Emotionale Kompetenz zu einem in sich integrierten Menschen und eine zusätzliche ethische Ebene erübrigt sich.

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