Und was man dagegen tun kann
Wenn sich quälende Gedanken aneinandereihen, spricht man in der psychologischen Forschung von „Overthinking“. Ein negativer Gedanke triggert den nächsten. Wie wir aus negativen Denkweisen aussteigen – und uns unser Leben zurückholen.
Text: Maria Köpf
Exzessives Nachdenken, permanentes Überanalysieren – wer kennt es nicht, wenn quälende Gedanken die Kontrolle im Kopf übernehmen? Die Professorin für Psychologie Susan Nolen-Hoeksema (1959-2013) erkannte schon in den 1980er Jahren, dass viele Menschen dazu neigen, zu viel zu denken – und sich damit selbst zu schaden. Das Phänomen nannten Experten schließlich „Overthinking“.
Das Thema ist heute aktueller denn je, denn wir sind so vielen Informationen ausgesetzt, dass wir permanent Nahrung für´s Gehirn bekommen.Die Frage ist: Sind wir den eigenen Gedanken hilflos ausgeliefert oder können wir uns davon befreien?
Nolen-Hoecksema beobachtete in Studien das „Overthinking“ und beschrieb es mit dem Beispiel einer Schülerin:
„Nichts in meinem Leben geht gerade in die Richtung, die ich mir wünsche. Ich bin sehr erschöpft durch die Schule und fühle mich gerade einsam. Ich bekomme diverse Ratschläge von Freunden, was zu tun ist. Aber keiner von ihnen versteht mich wirklich.“
Gesünder wäre es aber bei einer schlechten Phase in der Schule zu denken:
„Ich bin gerade wirklich frustriert mit einigen Dingen im Leben. Meine Noten sind schlechter als sie sein könnten – ich bin klüger als das. Meine Mutter schlug vor, dass ich mir einen Tutor nehme. (…) Ich bin mir sicher, ich werde meine Noten mit etwas Hilfe verbessern.“
Overthinking ist etwas anderes als normales Grübeln. Dieses ist eher inaktives Denken mit einem ängstlichen Beigeschmack – jedoch fehlt der Wunsch, die Gedanken weiterzudenken. Beim Overthinking geht es dagegen um aktives, obzessives Denken, Dramatisieren und Hinterfragen.
Der denkenden Person geht es also dringend darum, ein Problem zu lösen. Doch das Überanalysieren von Situationen, Personen oder dem Selbstbild führt nicht zu einer positiven Lösung, sondern nur zum Drehen und Wenden der Gedanken. Der intensive Denkprozess bringt so eine destruktive Gedankenkette mit sich, eine negative Abwärtsspirale, weil man nicht zu positiven Gedanken herausfindet.
Negative Gedanken triggern andere schlechte Gedanken
Die vielen Verbindungsstränge in unserem Gehirn können dazu führen, dass Gedanken zum Job gleichzeitig Gedanken über die Erziehung triggern. Oder Gedanken über einen Fehler, den man gemacht hat, die eigenen Unzulänglichkeiten im Aussehen wachrufen.
Insofern springen wir ständig unbewusst von einem Thema zum anderen, von einem schlechten Gedanken zum nächsten. Die Gedanken sind nur scheinbar logisch verbunden. Wer keine Distanz zu dem inneren Geschehen hat, ist den ständigen Wiederholungen ausgesetzt wie in einer Endlosschleife.
Das wäre an sich kein Problem, gäbe es einen simplen Pausenknopf. Diesen gibt es jedoch nicht in unserem Kopf, sagt Susan Nolen-Hoeksema. Es sei wohl eher auf Dauerschleife programmiert. Doch drücken wir bei negativen Gedanken nicht die Stopptaste, haben wir bald mit unpassenden Gefühlsreaktionen und sogar mit Schwarzmalerei und Depressionen zu kämpfen.
Wie durchbricht man Overthinking?
Nicht selten verfallen Betroffene nämlich ins Fokussieren auf problematische Gedanken und ziehen sich von der Welt zurück. Entscheidend ist, das negative Denken zu durchbrechen, um lösungsorientiert und selbstbestimmt zu bleiben.
Es gibt laut Nolen-Hoeksema rund zehn Strategien, um sich aus dem akuten Griff einer ineffektive Gedankenkaskade zu lösen. Dazu zählt zuallererst die lehrreiche Erkenntnis, dass Overthinking nicht der vermeintliche Freund ist, der einem wichtige Einsichten über das Leben oder andere Menschen oder sich selbst lehrt.
Eher das Gegenteil: Overthinking trübt den Blick, die hoffnungsvolle Sicht auf das Leben und die positive Perspektive auf Dinge. Ein erster wichtiger Gedanke ist also, den Gedanken zu antworten: „Du bist nicht mein Freund, du schadest mir!“
Der nächste Schritt kann eine kurze positive Ablenkung sein: etwas lesen, etwas für andere Menschen tun, dem Lieblingshobby nachgehen.
In der Nacht soll man nach spätestens 15 Minuten unproduktiven Denkens aufzustehen, sich in einen anderen Raum begeben und positiv ablenken.
Eine andere, sehr effektive Methode ist, die Gedanken innerlich an enge Vertraute abzugeben. Zumindest, wenn diese Menschen zu hoffnungsvollen Perspektiven oder Pragmatismus neigen.
Strategien für eine langfristige Verbesserung
Einmal dem akuten Griff entkommen, gilt es, schnell auf eine höhere Ebene zu kommen, etwa mit einer inneren Entscheidung: „Ich habe das Recht, selbst zu entscheiden, wie ich auf die Situation blicke.“
Dann wählt man eine positive Sicht darauf. Zum Beispiel wurde man gerade vom Chef zerpflückt? Hier ließe sich der Fokus wechseln. Vielleicht ist die harsche Kritik eher ein Resultat der kürzlichen Scheidung des Chefs?
Auch kann man sich darin üben, den eigenen Schmerz anzuerkennen: zu akzeptieren, dass man gerade deprimiert ist, weil man den Job verloren hat. Und dann zu entscheiden, nach einem neuen Job zu suchen.
Sehr hilfreich seien auch Ideenlisten. Einmal alle Auswege aufzulisten und dann eine Entscheidung zu treffen. Oder aber zu denken: Wie würde eine vorbildhafte Person, etwa meine Großmutter, das Problem lösen?
Grundsätzlich sei gut, regelmäßig gute Impulse zu setzen. Sich eigens eine Zeit im Kalender für Positives zu schaffen. Während dieser Erholungszeit könne man bewusst neue Bücher lesen, um kluge Antworten und Perspektiven zu finden – oder um ein besseres Gegenbild zu schaffen, wenn einen das negative Selbstbild verfolge.
Letztlich geht es bei allen Tipps der Psychologin und Forscherin Nolen-Hoeksema immer um eins: Die eigenen Perspektiven zu erweitern, seinen Blick auf das Leben zu weiten. Seine Gedanken nicht für die ultimative Wahrheit zu halten. Und neue Wahrheiten einzuladen.