Facetten der Freundschaft

Ulrike Adam I Photocase
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Warum Zugehörigkeit so wichtig ist

Der Mensch ist ein geselliges Wesen. Freundschaft gehört zu einem gelingenden Leben dazu. Die Philosophin Ina Schmidt über verschiedene Formen der Freundschaft und warum es wichtig ist, Beziehungen zu pflegen.

„Der nimmt doch wohl die Sonne aus der Welt,
der die Freundschaft aus dem Leben nimmt.“ Cicero

Hannah Arendt und Mary Mc Carthy waren es, Helmut Schmidt und Henry Kissinger auch, Harry Potter, Hermine und Ron sowieso und Ernie und Bert wahrscheinlich auch – Freunde.

Freundschaften sind so vielfältig, wie die Menschen, die sie eingehen. Jede von ihnen ist einzigartig und doch sind die meisten von uns einig: Ohne Freunde ist es schwer, sich ein gutes Leben vorzustellen – gerade dann, wenn die Vorzeichen nicht so ideal sind. In Zeiten der Unsicherheit, der Krise oder einfach in Momenten, in denen wir mal eine warme Suppe brauchen, oder einen guten Rat.

Was aber ist es eigentlich, was Freunde auszeichnet? Wo beginnt eine Freundschaft, wie erkennen wir Menschen, die unsere Freunde werden könnten, und was lässt Freundschaften enden? Diese Fragen waren schon in der griechischen Antike ein Thema.

Der Mensch ist ein geselliges Wesen

Der griechische Philosoph Aristoteles hat sich bereits im 4. Jahrhundert v.u.Z. in seiner Nikomachischen Ethik mit genau diesen Überlegungen beschäftigt: Was macht Freundschaft aus?

Aristoteles war überzeugt, dass der Mensch ein soziales, ein geselliges Wesen sei, so dass jedes menschliche Leben nur in Gemeinschaft gelingen könne. Aber offenbar reicht nicht irgendeine Gemeinschaft dafür aus, sondern es braucht besondere Menschen, mit denen wir unser Leben teilen können bzw. wollen:

Menschen, mit denen wir einen Zweck, ein Ziel verfolgen, nennen wir hin und wieder Freunde und auch diejenigen, mit denen wir gern bestimmte Themen oder Interessen teilen.

Es gibt Freunde, mit denen wir in den Urlaub fahren, aber mit denen wir nie ins Kino gehen würden, andere, mit denen wir die tollsten Menüs zaubern, aber keinerlei gemeinsames Interesse für den neuesten Roman teilen. Hier spricht Aristoteles von sogenannten Nutzen- oder Lustfreundschaften, die es offenbar auch in der griechischen Polis schon zu pflegen galt.

Darüber hinaus gibt es eine besondere Form der menschlichen Freundschaft, von der Aristoteles überzeugt ist, dass sie wahre Freunde verbindet – die „Freundschaft der Trefflichen“, die einen gemeinsamen Blick auf die Welt teilen.

Wir versuchen, gemeinsam herauszufinden, was gut und richtig ist und halten darin auch Unterschiede aus: In solchen Freundschaften geht es um den anderen als Menschen, der mich und mein Leben bereichert.

Können Freunde die Familie ersetzen?

Der Renaissancedenker Michel de Montaigne hat viele Jahrhunderte nach Aristoteles über das Geheimnis der Freundschaft zu seinem engsten Freund geschrieben, sie sei nur deshalb etwas so Kostbares, weil „er er war und ich ich war“.

Diese Kostbarkeit, so Montaigne, sei eine sehr seltene Sache und wenn es hoch käme, vielleicht einmal in 300 Jahren zu finden. Aber möglicherweise hat Montaigne an diesem Punkt auch etwas zu vorschnell geurteilt.

Das Ideal einer Beziehung, die eine Art Seelenverwandtschaft ist, in der der andere mir ein wahrhaftes „Alter ego“ ist, können wir heute durchaus kritisch hinterfragen. Heute wird die Freundschaft häufig als ein mögliches Beziehungskonzept diskutiert, das die traditionellen Familienbande ersetzen oder zumindest ergänzen könnte.

Freunde schließen so etwas wie „Verantwortungsverträge“, um sich gegenseitig im Alter zur Seite zu stehen, sie planen gemeinsame Wohn- und Lebensformen, knüpfen Netzwerke und gründen Firmen.

Darin scheint vieles vorzukommen, was Aristoteles auf den drei Ebenen möglicher Freundschaftsvorstellungen bereits beschrieben hat – die Frage ist nur, ob all das auch in diesen Freundschaften zur Sprache kommt.

Soll und kann eine Freundschaft etwas leisten? Darf ich aus gutem Grund etwas von einem Freund oder einer Freundin erwarten und was sind echte No-Go´s in einer Freundschaft?

Freundschaft stiftet Sinn und Zugehörigkeit

In einer Welt, die sehr viel komplexer, vielschichtiger und schnelllebiger ist, als es sich Aristoteles wahrscheinlich jemals hätte vorstellen können, gilt es sich zu fragen, ob wir nicht auch das Konzept von Freundschaft modernisieren sollten?

Der Kulturphilosoph Georg Simmel kritisierte schon Ende des 19. Jahrhunderts, dass der universale Anspruch an eine Person, die uns als Seelenverwandter zur Verfügung stehen sollte, eigentlich nur scheitern könne.

Wir sollten eher dankbar für das sein, was uns in Momenten der Freundschaft zur Verfügung stehe: in einem guten Gespräch, einem gemeinsamen Interesse, einer Zuneigung, die möglicherweise nicht bis in alle Ewigkeit anhält und doch eine große Bereicherung sein kann.

Wenn es eine Qualität gibt, die all diese Formen gelebter Freundschaft verbindet, dann ist es die Freiwilligkeit. Es ist das gute Gefühl, dass ich mit einem besonderen Menschen verbunden bin, weil er oder sie es will – nicht weil sie es muss, einen Vertrag unterschrieben hat, mir Geld schuldet oder Mitleid mit mir hat. In dieser Freiwilligkeit entsteht so etwas wie ein Band, eine geistige Verbindung, die wir immer wieder suchen und auch hegen und pflegen müssen.

Selbst ein Freund, eine Freudin sein

Freundschaft braucht Aufmerksamkeit, Interesse und gemeinsam geteilte Zeit. Die geteilten Erfahrungen bilden so etwas wie den Nährboden dafür, dass Freundschaft wachsen kann.

Diese Verbindung ist ein besonderes Beziehungsgefüge, das wir nicht einfordern oder herstellen können, sondern nur dankbar annehmen und für das wir sorgen können – wenn wir es wollen.

Eine solche Freundschaft – und hier kommen wir doch wieder zu Aristoteles zurück – beschreibt aber mehr als Zweck- und Lustgewinn, sie stiftet das Empfinden von Sinn und Zugehörigkeit.

So manche Freundschaft muss sich in schwierigen Zeite bewähren und kann daran wachsen; andere Freundschaften zerbrechen an bisher ungekannten Grenzen. Jede Freiwilligkeit bedeutet, das wir uns auch gegen eine Freundschaft entscheiden können.

Es geht also darum, Freundschaft nicht nur zu suchen, sich nach ihr zu sehnen oder ihren Verlust in einer gespaltenen Gesellschaft zu beklagen, sondern selbst ein Freund, eine Freundin zu sein.

Das bedeutet, so zu handeln, wie wir es uns von anderen wünschen, sich aufmerksam um das Bemühen, was wir vermissen, und das Ereignis der Freundschaft, wie Hannah Arendt es nannte, dankbar annehmen – um es von dort zu etwas werden zu lassen, was unser Leben bereichert.

Ina Schmidt

 

Tipps zum Lesen:

Aristoteles: Nikomachische Ethik, Buch 8/9

Freundschaft heute: Eine Einführung in die Freundschaftssoziologie, mit Beiträgen von Andrea Knecht, Christian Kühner und Kai Marquardsen. transkript Verlag 2016

Ina Schmidt: Auf die Freundschaft. Ludwig Buchverlag 2014, nur noch antiquarisch

Björn Vedder: Neue Freunde. Über die Freundschaft in Zeiten von Facebook.

 

Foto: privat

Dr. Ina Schmidt ist Philosophin, Autorin und Gründerin der denkraeume, einer Initiative zur Vermittlung philosophischer Praxis. Autorin philosophischer Sachbücher für Erwachsene und Kinder, zuletzt erschienen „Die Kraft der Verantwortung. Über eine Haltung mit Zukunft“ in der Edition Körber (2021) und „Wo bitte geht´s zum guten Leben?“ im Carlsen Verlag (2022).

 

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