Ein Buch von Bernhard Pörksen
Zuhören ist schwieriger als man denkt. Meistens hören wir das, was wir hören wollen oder können. Medienwissenschaftler Pörksen hat sich auf eine längere Zuhör-Expedition begeben und zeigt an Beispielen zu wichtigen Themen unserer Zeit, wie katastrophal es sein kann, wenn nicht zugehört, sondern weggehört wird. Ein Buch, aus dem man viel lernen kann.
Will man wirklich noch ein Buch mit dem Titel „Zuhören“ lesen? Noch einen Ratgeber, wie alles besser wird, wenn Menschen sich nur gegenseitig verstehen? Nein, aber diese Heransgehensweise ist von Bernhard Pörksen zum Glück nicht zu erwarten; dies ist explizit kein Ratgeberbuch.
Der Medienwissenschaftler mit philosophischer Ader – er ist Autor eines älteren Buches mit dem Physiker Heinz von Foerster „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“ – nähert sich dem komplexen Thema der Kommunikation differenziert, tiefschürfend, gleichzeitig alltagsnah und politisch – mit Bezügen zu aktuellen Themen und Debatten.
Gleich zu Beginn weist er darauf hin, dass es kein objektives Zuhören gibt. Das, was wir hören, ist geprägt von unseren Erfahrungen, Emotionen, Vorannahmen. Es gebe immer eine „Tiefengeschichte“ hinter den Wahrnehmungen, Resultat früherer Erfahrungen. Wir hören, was wir hören wollen, hören können.
Daraus leitet Pörksen zwei Arten des Wahrnehmens ab: Das Hören mit dem „Ich-Ohr“ und mit dem „Du-Ohr“. Im ersten Fall hören wir eigentlich nur uns selbst, egal, was die andere Person sagt. Im zweiten Fall wenden wir uns dem anderen mit einer offenen Haltung zu, nehmen uns selbst zurück und lassen das Gesagte auf uns wirken: In welcher Welt ist das, was der andere sagt, wahr oder stimmig?
Auf Zuhör-Expedition
Wie das geht, zeigt der Medienwissenschaftler im Hauptteil des Buches anhand verschiedener Beispiele. Rund zehn Jahre hat er sich auf eine Art Zuhör-Expedition begeben und erzählt Geschichten des Zuhörens, aber auch, wie katastrophal es sein kann, wenn nicht zugehört, sondern weggehört wird.
So zeichnet er ausführlich den sexuellen Missbrauchsskandal in der Odenwaldschule in Hessen nach, der symptomatisch für das Nicht-Hören und Negieren von Opfern ist, die echte Aufmerksamkeit gebraucht hätten.
In der Ukraine führt der Autor Gespräche mit dem Unternehmer Misha Katsurin. Dessen Vater lebt in Russland und behauptet, dass es den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht gebe. Er glaubt der Propadanga, nicht seinem eigenen Sohn.
Auch die Klimakrise ist eine Geschichte des Nicht-Hörenwollens. Pörksen besucht den Klimaforscher James Hansen, der bereits Ende der 1980er Jahre in der Öffentlichkeit über den vom Menschen gemachten Klimawandel sprach – ohne Resonanz. Und er redet mit dem Wissenschaftsjournalisten Andrew Revkin, der die Klimakrise als eine „Wahrnehmungskrise“ bezeichnete.
Weitere Beispiele findet er im Silicon Valley. Die digitale Revolution habe die Kommunikation drastisch verändert – bis heute. War die Idee in den Anfängen, Menschen zu vernetzen und allen Gehör zu verschaffen, so hat es sich heute total gedreht: Wenige Tech-Giganten kontrollieren über die Algorithmen das, was Menschen sehen und hören, maßen sich Macht an und untergraben die Demokratie.
Die blinden Flecken sichtbar machen
An der Vielfalt der Beispiele wird deutlich: Rezepte für eine gelingende Kommunikation kann es nicht geben. Zu viele Faktoren spielen eine Rolle.
Das Zuhören findet immer in einem größeren Kontext statt – da spielen äußere Geschehnisse hinein, aber vor allem auch innere Bedingungen: unsere Wahrnehmungsmuster und insbesondere die blinden Flecken. Diese beeinflussen, was wir hören und was nicht.
Es ist ein großes Verdienst von Bernhard Pörksen, dass er den Leserinnen und Lesern ermöglicht, über die eigene Fähigkeit des Zuhörens zu reflektieren und eingefahrene Muster wahrzunehmen. Denn nur dadurch kann man sich ein Stück weit davon lösen, um sich, wie es etwas kitschig im Untertitel heißt, „der Welt zu öffnen“.
Bernhard Pörksen. Zuhören: Die Kunst, sich der Welt zu öffnen. Carl Hanser Verlag 2025