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Herbstblues oder Depression?

Ricardo Gomez/ Unsplash
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Erste Hilfe durch digitale Angebote

Wer unter einer Depression leidet, muss oft lange auf einen Therapieplatz warten. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Online-Programmen für die schnelle Hilfe, zur Überbrückung der Zeit bis zur Therapie und zur Prävention. Marika Muster gibt einen Überblick und sprach mit der Psychologin Dr. Allenhof darüber, was für wen geeignet ist.

Text: Marika Muster

Der Herbst ist da und mit ihm manchmal Müdigkeit, Niedergeschlagenheit, keine Freude an den Tätigkeiten. Das kann der alljährliche Herbst-Blues sein. Dann helfen stimmungsstabilisierende Maßnahmen wie regelmäßige Bewegung, Tageslicht und Selbstfürsorge.

„Eine vorübergehende Verstimmung und das Krankheitsbild Depression kann man jedoch klar abgrenzen“, betont Dr. Caroline Allenhof von der Deutschen Depressionshilfe. Eine zuverlässige Diagnose stellen Psychotherapeuten. Aber auch Hausärzte können Anzeichen deuten. Ein Gespräch ist in jedem Fall gut.

Bei einer ersten Selbsteinschätzung hilft ein anonymer Selbsttest: https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/selbsttest-offline

Wer leichte Anzeichen einer Depression hat oder lange auf einen Therapieplatz warten muss, kann sich digitale Hilfe holen, sozusagen als Erste Hilfe. Wer unter einer schweren Depression leidet, sollte besser zuerst einen Arzt oder Therapeuten kontaktieren.

Im Jahr 2019 hatte die Stiftung Warentest Depressionsapps getestet. Als empfehlenswert wurden deprexis, get on und moodgym ausgezeichnet. Inzwischen gibt es viele weitere Anbieter und Weiterentwicklungen – unter strengerer Berücksichtigung des Datenschutzes.

Eine aktuelle Liste mit Depressionsapps, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte getestet wurden, gibt es hier https://diga.bfarm.de (Stichwort „Depression). Dort findet man auch Anwendungen für angrenzende Diagnosen wie Ängste, Burnout oder Rückenschmerzen.

In der Regel werden die Kosten von der Krankenkasse übernommen, wenn man ein ärztlich verordnetes Rezept vorlegt. Der Selbstzahlerpreis liegt (Stand September 2024) meist um 200 Euro.

Digital und interaktiv sein Verhalten ändern

Einige Programme funktionieren webbasiert, andere als App auf dem Handy oder beides. Die meisten Anwendungen basieren auf verhaltenstherapeutischen Ansätzen. Oft werden interaktive Textmodule verwendet, teilweise finden zusätzlich Online-Gespräche mit einem Psychotherapeuten statt. Wir haben uns einige Programme angeschaut.

Die Web-Anwendung deprexis kann mit bestehender Diagnose zur Überbrückung einer Wartezeit verwendet werden, wird aber auch oft therapiebegleitend genutzt. Das Kernstück ist der „simulierte Dialog“, in dem man zu jeder Frage eine Auswahl an Antworten bekommt.

Je nachdem, was man wählt, wird man auf vielen möglichen Pfaden durchs Programm geleitet und über kleine Texte und Zeichnungen informiert, zum Nachdenken und zu Übungen angeregt. Alle Textbausteine wurden von Ärzten bzw. Therapeuten verfasst, nicht von einer KI.

Schwerpunktthemen sind unter anderem Entspannung, Akzeptanz, gute Beziehungen, Glückspsychologie oder Probleme lösen. Zusätzlich gibt es Audios, Arbeitsblätter, Übungen und eine Erinnerungsfunktion sowie praktische Tipps. Einiges lässt sich auch ausdrucken, zum Beispiel der Verlauf des Stimmungschecks.

Apps können auch zur Vorsorge genutzt werden

Niedrigschwelliger ist das Angebot von moodgym, das von Wissenschaftlern der Australian National University ursprünglich für Studierende konzipiert wurde. Es ist anonym, kostenfrei und unbegrenzt nutzbar.

Dabei werden Themen wie Gefühle, Gedanken, Stress und Beziehungen Schritt für Schritt angeleitet. In einfachen Sätzen gibt es kurze Übersichten. Darauf folgen Beispiele anhand fiktiver Personen, Ankreuzaufgaben, Erklärungen, Selbstreflexionen und Übungen. Alles ist anschaulich und einfach gehalten.

Aus einzelnen, freien Antworten wird ein Teil des weiteren Verlaufs bestimmt. Das Besondere: Das Selbsthilfeprogramm ist auch präventiv nutzbar, also um Depressionen vorzubeugen. Wer häufiger gedrückter Stimmung ist, kann hier Anregungen finden, konstruktiv damit umzugehen.

Ebenfalls kostenlos ist das iFightDepression Tool. Das Programm, dass in vielen Sprachen erhältlich ist (unter anderem Ukrainisch, Arabisch), kann allerdings nur genutzt werden, wenn ein bestehender Kontakt (z.B. Hausarzt mit Zusatz psychosomatische Grundversorgung) dort angemeldet ist und eine Depression nachgewiesen wurde.

Auf der Internetseite findet man aber auch einige Tipps, etwa zu Ressourcen, Ernährung, Bewegung und Schlafverhalten.

Am besten sind Apps mit ärztlicher Begleitung

Dr. Allenhof sieht grundsätzlich einen größeren Nutzen, wenn digitale Programme von Psychotherapeuten und Ärzten begleitet werden, auch um mögliche körperliche Krankheiten als Ursache auszuschließen wie etwa Schilddrüsenerkrankungen, hormonelle Dysbalancen, Wechselwirkungen von Medikamenten oder Borreliose.

„Bei schweren Formen von Depression halte ich es für gefährlich, Betroffene nur mit einer App alleine zu lassen.“

Sie empfiehlt, sich zumindest Einzeltermine bei einem Psychotherapeuten geben zu lassen, wenn noch kein Therapieplatz zur Verfügung steht, und parallel das digitale Angebot zu nutzen.

Aus ihrer Sicht kann man solche Apps ruhig ausprobieren, sollte aber nicht alle Hoffnungen darauf legen. „Digitale Interventionen können ein hilfreicher Baustein in der Behandlung sein, sind aber leider auch kein Allheilmittel für Depression“.

Für junge Menschen von 12 bis 17 Jahren gibt es kein vergleichbares Angebot. Sie können auf https://fideo.de/ einen Selbsttest machen, erste Informationen erhalten und sich mit anderen austauschen.

Auch kostenloses Schulmaterial für Lehrkräfte und erste Informationen für Eltern sind vorhanden. Bisher gibt es noch keine zugelassene DIGA für Kinder und Jugendliche (digitale Gesundheitsanwendungen, die vom BfArM gemäß § 139e SGB V bewertet wurden).

Wichtig ist ein kritischer Blick auf die Angebote

Neben den vom BfAM geprüften Programmen gibt es ein riesiges, fast unüberschaubares Angebot an Apps, die Achtsamkeits- oder Entspannungsübungen oder auch Hilfe bei Depression anbieten.

Oft verwischen die Grenzen zwischen Wellness und Wohlbefinden auf der einen Seite und der Erkrankung Depression auf der anderen Seite. Da sollte man kritisch sein: Wer ist der Anbieter? Wo hat der Anbieter seinen Sitz? Welche Bewertungen gibt es?

Wichtig ist auch zu schauen, ob der Verkauf von Produkten dahintersteckt oder ob es sich um eine Abo-Falle handelt. Gibt es Studien, die wirklich auffindbar sind (und nicht von einer KI erfunden wurden)? Gibt es einen guten Datenschutz?

Wer in solchen Apps stöbern möchte, sollte sich eine Extra-E-Mail-Adresse zulegen, in der der eigene Name nicht vorkommt und keine Adresse oder ähnliche Daten angeben.

Im Zuge der KI-Entwicklung gibt es mittlerweile auch Chat-Bots, in denen man mit einem Roboter sprechen kann. Dr. Allenhof meint, bisher seien nur einige englische, kommerzielle Sprachprogramme empfehlenswert. „In Zukunft wird es aber auch noch ganz andere Möglichkeiten geben“, prognostiziert die Wissenschaftlerin.

„So wird es zum Beispiel möglich sein, per App Aktivitätsprofile zu erstellen, um Depressionen frühzeitig zu erkennen. Wenn ich etwa nachts mehrmals aufs Handy gucke, weil ich nicht schlafen kann, registriert die App dies als erstes Warnzeichen.“

Bei solchen Modellen wird der Datenschutz noch wichtiger sein als bisher. Es soll schließlich darum gehen, die eigenen Daten nutzbar zu machen, nicht von anderen kommerziell genutzt zu werden.

 

Caroline Allenhof ist Psychologin und seit 2015 Mitglied des Forschungszentrums der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention. Ihr Forschungsschwerpunkt sind digitale Interventionen zur Unterstützung der Depressionsbehandlung und sie ist aktiv als Dozentin sowohl zu Ihren Forschungsthemen und zu Depression am Arbeitsplatz.

 

 

 

Bei akuten Anzeichen

Wer akute Probleme hat, kann die Telefonseelsorge anrufen 0800 111 0 111 oder 0800 / 111 0 222 (kostenlos, anonym, rund um die Uhr). Wer lieber chattet oder mailt, findet unter www.telefonseelsorge.de Hilfe. Bei akuter Suizidgefahr unbedingt den Notruf 112 wählen.
Informationen rund um das Thema Depression bietet das Info-Telefon Depression der Stiftung Deutsche Depressionshilfe unter 0800 / 3344533 (kostenlos, Mo, Di, Do: 13-17 Uhr
Mi und Fr: 08:30-12:30 Uhr).
Kinder und Jugendliche können sich an die „Nummer gegen Kummer“ wenden unter 0800 / 111 0 333 (Montag bis Samstag 14-20 Uhr) oder www.nummergegenkummer.de.
Alternativ gibt es Angebote wie den Krisenchat (https://krisenchat.de/), eine Art Online-Seelsorge für Jugendliche.

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