Interview mit Van Bo Le-Mentzel
Van Bo Le-Mentzel ist Architekt mit einem Faible für Tiny-Häuser und einem bescheidenen Lebensstil. Im Interview spricht er über die Kunst des Möglichen, Regie im eigenen Leben zu führen und einfach glücklich zu sein.
Das Gespräch führte Marika Muster
Frage: Du bist Architekt, entwirfst Tiny-Häuser und wohnst selbst mit Frau und drei Kindern in einer 56 Quadratmeter-Wohnung. Wie kommt das?
Le-Mentzel: Wir suchen seit einigen Jahren was Größeres. Aber hier in Berlin etwas zu finden, ist schwer. Das ist auch ein Grund, warum bezahlbarer Wohnraum so ein zentrales Thema in meiner Arbeit ist. Was kann ich als Architekt tun, damit Menschen, die wenig Einkommen haben, Wohnraum bekommen? Aktuell sammeln wir zum Beispiel Geld für Grundstücke, um bezahlbare Wohnungen darauf zu schaffen.
Hat es auch Vorteile, wenn man nur das Nötigste haben kann?
Le-Mentzel: Das ist eine Frage der Perspektive. Wenn du nur das brauchst, was in deine Wohnung passt, bist du frei. Es ist auch eine Kopfsache. Wenn du mit wenig glücklich sein willst, dann ist es super. Wenn du aber gerne Taschen sammelst, dann brauchst du einfach viel Platz.
Was bedeutet Wohlstand?
Le-Mentzel: Wohlstand beruht auf dem Vergleich zwischen mir und anderen. Es geht um eine Positionierung in der Gesellschaft. Und das ist eine Falle. Denn es gibt immer jemanden, der ein größeres Auto, ein größeres Haus, mehr Freunde, mehr Gesundheit oder weniger Falten hat.
Sobald du dich mit anderen vergleichst, kannst du nicht glücklich werden. Der einfachere Weg ist es, wenn man seine Meinung zu dem Äußeren verändert, bestimmte Bedürfnisse und Wünsche von sich abprallen lässt und ganz bewusst Dinge annimmt.
Ist Kreativität deine Hauptressource?
Le-Mentzel: Es gibt immer einen Raum für Möglichkeiten. Ich habe früher viel gerappt und eine Radiosendung gemacht. Wenn du musizieren willst, aber keine Noten lesen kannst, dann nimmst du halt zwei Plattenspieler und stöpselt sie aneinander, so dass ein Instrumental entsteht. Dann sprichst du darüber, weil du nicht singen kannst. Als Haltung finde ich es erfrischend, wenn man nicht den Kopf in den Sand steckt, sondern eine Sandburg baut.
Die anderen können nicht meine Probleme lösen.
Du nennst deinen Sohn Professor. Was hast du zuletzt von ihm gelernt?
Le-Mentzel: Ich liebe den kleinen Professor natürlich, aber mich nerven auch ein paar Macken. Er will zum Beispiel immer auf dem Boden Hausaufgaben machen. Und ich als Architekt habe gewisse Zwänge, ich finde, dass man den Tisch benutzen muss. Wenn ich mir dann bewusstwerde, warum mich das triggert, dann sehe ich die Ursachen in mir selbst und nicht in ihm. Er hält mir den Spiegel vor und fordert mich heraus, so dass ich mich meinen Themen und Ängsten stellen kann.
Ich habe oft den Eindruck, dass Menschen nicht die Möglichkeiten nutzen, die sie eigentlich hätten, um ihre Welt zu gestalten.

Le-Mentzel: Es gibt die Tendenz, sich zurückzulehnen und zu sagen: „Ich habe ein Problem, und ihr müsst jetzt eine Lösung finden.“ Das ist ab und zu okay. Das Problem ist: Die Leute, die sich um dich kümmern, können nicht immer da sein. Von daher ist es keine nachhaltige Einstellung.
Jeder Mensch hat ja Interessen, Talente, Fähigkeiten, die er in die Gesellschaft einbringen kann…
Le-Mentzel: Viele würden sagen: Wenn ich etwas abgebe, zum Beispiel von meinem Geld oder von meiner Zeit, dann bleibt weniger für mich. Es ist aber andersherum: Wenn man bedingungslos gibt, dann entsteht Magie. Ein Beispiel:
Zwei Leute wollen einen leckeren Kuchen haben. Der Kuchen ist eine Metapher für alles, für Gehalt, Job, Freundschaft usw. Jetzt kann man fragen: Was ist fair? Man kann ihn vielleicht halbieren. Eine andere Möglichkeit wäre, die Person zu unterstützen, damit sie noch mehr Kuchen macht.
Familien sind ein sehr gutes Beispiel, wo man das erlernen kann. Wenn du jemandem deine Liebe gibst, dann spürst du auf einmal, wie mehr Liebe im Raum ist.
Heute sehe ich, wie vielschichtig die Welt ist.
Du hast mal gesagt, dass du nicht mehr so naiv bist wie früher. Was war das für eine Entwicklung?
Le-Mentzel: Ich habe viele Lernkurven durchlaufen. Ich bin fast 50 Jahre alt; als ich 20 oder 30 war, habe ich mir die Welt sehr einfach konstruiert. Ich habe gedacht, die reichen Leute sind böse und die Armen gut, „links“ ist richtig, und „rechts“ ist falsch. Heute sehe ich, wie vielschichtig die Welt ist und wie wichtig es ist, die eigene Blase zu verlassen, denn dann lernst du fliegen. Dann siehst du ganz andere Dinge.
Was hat sich mit den Jahren noch verändert?
Le-Mentzel: Was mich beschäftigt ist, dass mit zunehmendem Alter das Gehirn nicht mehr so schnell vernetzt. Du konzentrierst dich eher auf die Dinge, die schon da sind, auf vorhandenes Wissen und Erfahrungswerte. Und alle Dinge, die neu sind, wie Social Media, werden schwierig.
Bei Facebook wusste ich genau, was ich machen muss. Ich hatte fast 30.000 Follower. Bei Instagram habe ich auch noch mitgemacht, bei Tiktok bin ich dann ausgestiegen. Ich verstehe dieses Medium einfach nicht. Die Erkenntnis, dass mein Gehirn neue Sachen nicht mehr einfach willkommen heißt, beunruhigt mich ein bisschen. Wenn die Älteren vor allem wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann ist das Stillstand, aber kein Leben mehr.
Manchmal sehe ich das Leben wie einen Film und ich bin der Regisseur
Trotzdem sagst du von dir, du hättest die Fähigkeit, glücklich zu sein.
Le-Mentzel: Meine Fähigkeit, glücklich zu sein, bedeutet, dass ich verstanden habe, dass die meisten Sachen nicht im Außen passieren, sondern in meinem Kopf. Zum Beispiel, wenn ich neidisch darauf bin, dass ein Arbeitskollege befördert wird.
Dann kann ich mir vorstellen, das ist ein Film und ich sehe mich und die anderen als Schauspieler. Ich schaue mir das Schauspiel auch als „Regisseur“ an und denke: Wie kann ich die Szene spannend machen oder beruhigen? Was müsste passieren, damit es richtig eskaliert? Allein die Vorstellung und dass ich das Verhalten anderer aus einer anderen Perspektive sehe, hilft mir.
Also brauchen wir mehr innere Arbeit und Selbstreflexion?
Le-Mentzel: Ja, ich denke, das ist das Geheimnis, warum das Meditieren so hilft, aber auch Laufen, Singen oder Tanzen. Du findest dich selbst und spürst dich. Und du verlässt die Rolle als Opfer oder Marionette. Du bist selbstwirksam, du sitzt wirklich auf dem Regiestuhl.
Beschäftigst du dich viel mit dir selbst und deinem Inneren?
Le-Mentzel: Ja. Selbst nach 20 Jahren denke ich oft: Wow, ich entdecke immer wieder neue Dinge. Und das ist ein Prozess, der nicht aufhört. Dabei erstaunt mich am meisten, dass die Glaubenssätze, die wir als Kind verinnerlicht haben, automatisch abgerufen werden und man sich dann sagen muss: Stopp, diesen Weg will ich nicht mehr gehen.
Da wird ein altes Programm abgespult. Irgendwas triggert mich und dann kommt zum Beispiel Wut und ein Gedankenkarussell. Wenn man da nicht ganz bewusst aussteigt, dann läuft das, bis es fertig ist.