Inklusion: Tanzen verbindet

Foto: Ing. Wolfgang Mayer
Menschen mit und ohne Behinderung tanzen gemeinsam. |
Foto: Ing. Wolfgang Mayer

Über ein Tanz-Projekt in Wien

„Tanzen verbindet und Tanzen verändert“ – das zeigt das inklusive Tanzprojekt „Ich bin ok“ in Wien. In 20 Kursen pro Woche tanzen Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam und bringen ihre Kunst auch auf die Bühne. Ein Projekt, das gleichberechtigte Teilhabe lebt.

Text: Kirsten Baumbusch

Jeder Mensch kann tanzen! Für Attila Zanin aus Wien ist dieser Satz Lebensmotto, leitet er doch gemeinsam mit seiner Kollegin Hana Zanin Pauknerová den Verein „Ich bin ok“, der als inklusives Tanzstudio genau diese Devise lebt.

Mensch mit und ohne Behinderung treffen sich hier zu mehr als 20 Kursen in der Woche, um sich gemeinsam, in Bewegung künstlerisch auszudrücken – unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft oder persönlichen Voraussetzungen. In den Kursen, den Darbietungen der Dance Company oder dem Ausbildungsprogramm „Dance Assist“ wird ein zweites Motto deutlich: Tanzen verbindet, Tanzen verändert, Tanzen ist Freiheit.

Das Studio bietet wöchentlich Kurse in zehn verschiedenen Tanzstilen wie HipHop, Modern oer Ballroom Dance, frei ab fünf Jahren. Das ist die sachliche Seite, die die erlebte Wirklichkeit der 120 aktiven Vereinsmitglieder aber nicht annähernd beschreibt.

„Hier ist mein Zuhause, hier gehöre ich hin“, sagt Tänzer Mike Brozek, der mit dem Down-Syndrom zur Welt gekommen ist. Damit beschreibt er das Gefühl von vielen Teilnehmenden, die zum Teil schon seit Jahren und Jahrzehnten mit dabei sind und sich dabei enorm entwickelt haben. Das ist die emotionale Seite.

Hier wird gleichberechtigte Teilhabe gelebt

Als Zanins Mutter den Tanzverein 1979 gründete, wollte sie einen Ort schaffen, wo Menschen mit und ohne Behinderung zusammenkommen, voneinander lernen und gemeinsam Tanzprojekte entwickeln können, die dann auf der Bühne zu sehen sind. Die Wahrnehmung des Defizits sollte dem der Vielfalt weichen – und das ist mehr als gelungen.

Tanzdarbietung in der Wiener Innenstadt, Foto: Werner Schuster

„Unser Ziel ist die aktive, gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben“, beschreibt Zanin, selbst ausgebildeter Tänzer, Choreograph und Tanzlehrer, den roten Faden, der sich durch die Arbeit von „Ich bin ok“ zieht. Nicht zuletzt durch die öffentliche Sichtbarkeit wird Tanz zum Medium, das für eine inklusive Gesellschaft sensibilisiert.

Das geschieht über die Freude bei denen, die tanzen, und bei denen, die ihnen dabei zuschauen.

Was sich mehr als 45 Jahre nach der Gründung entwickelt hat, besteht aus drei Säulen. Da gibt es zum einen das Tanzstudio mit den vielen Kursen verschiedenster Richtungen, zu denen viele Mitglieder gleich mehrmals in der Woche kommen. Dazu kommt die Dance Company, in der mit professioneller Choreographie und Profis ein abendfüllendes Stück entwickelt und international aufgeführt wird.

Und die dritte Säule sind die „Dance Assists“, ausgebildete Tänzerinnen und Tänzer mit und ohne Behinderung, die ihr Wissen und vor allem ihre Begeisterung an andere als Lehrende weitergeben.

Begeisterung für Tanz entfachen

Zuletzt sorgte das inklusive Tanztheaterstück „ZUG 2.0 – Zwischen Erfurt und Wien“ bei Aufführungen in den im Titel genannten Städten für Begeisterung mit einer tollen Geschichte: Da sitzen Menschen in einem ruckelnden Bahnabteil, verabschieden sich am Gleis voneinander. Sehnsüchtig und selbstvergessen tanzt eine Frau im roten Kleid mit einem Blumenstrauße im Arm durch eine Bahnhofshalle.

Wer hier Profi ist oder Amateur, eine Behinderung hat oder nicht, ist kaum zu erkennen. Die alle umfassende Spielfreude überträgt sich schnell auf das Publikum. Vorausgegangen war die Beschäftigung mit den verschiedensten Bedeutungen des Wortbausteins „Zug“, beschreibt Attila Zanin: Atemzug, Luftzug, Umzug, Anzug, Vogelzug.

Szene aus dem Stück “Zug 2.0”, Foto: Steffen Riese

Als Ausgangspunkt des Stückes dienten Fotografien unterschiedlichster Personen. „Das Wort Zug verbinden wir mit Bewegung und Anziehung. Sei es ein Blick, ein Gefühl, eine Stimmung oder eine Situation. Das, was im Augenblick das „Jetzt“ ist, ist mit dem nächsten Atemzug schon wieder vergangen und wird zur Erinnerung“, heißt es in der Beschreibung des Stückes.

Und tatsächlich: Aus den Momentaufnahmen werden Assoziationsketten und daraus Bewegungen der Tanzenden, und die docken wiederum an den Erfahrungswelten der Zuschauenden an. Die Tänzerinnen und Tänzer erzählen mit ihren Körpern ihre Geschichten, die persönlich und universell zugleich sind.

Was wünscht sich die Company von „Ich bin ok“ für die Zukunft? „Unser Ziel ist es, die Begeisterung aller für Tanz und Theater zu entfachen“, formuliert es der künstlerische Leiter. „Wir wünschen uns eine nachhaltige und umfassende Verbesserung der Lebenssituation aller Menschen durch Tanz und eine Gesellschaft, in der Vielfalt auf Offenheit und Akzeptanz trifft“.

Mit diesem Ziel hat der Verein schon eine ganze Menge an Sichtbarkeit geschaffen: So eröffnete beispielsweise im vergangenen Jahr ein Debütantenpaar von „Ich bin ok“ den Wiener Opernball mit – ganz und gar taktsicher natürlich.

Jeder Mensch kann tanzen. Die Bewegung des Körpers im Rhythmus der Musik, frei von störenden Gedanken ist uns angeboren. „Das geht mit Rollstuhl und sogar mit den Augen“, so Attila Zanin, „dieses Geschenk Gottes haben wir alle bekommen“.

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Die Webseite des Tanzprojeks “Ich bin okay” mit näheren Informationen finden Sie hier.

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Foto: privat
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Kirsten Baumbusch

ist Journalistin und arbeitet in der Kommunikation einer großen Stiftung in Heidelberg. In ihren Ausbildungen zur Coach und Mediatorin hat sie erkannt, wie viel Freude es machen kann, Menschen bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu fördern. Sie ist stets auf der Suche nach Mutmachergeschichten. Mehr Infos

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