Von schlauen Zellen, Pflanzen und Tieren
Gibt es eine Intelligenz in der Natur, von der der Mensch nur Teil ist? Neuere Erkenntnisse in der Biologie hinterfragen gängige wissenschaftliche Ideen, wonach die Natur eine Anhäufung toter Materie sei. Intelligenz finde sich auf allen Ebenen des Lebendigen: von einzelnen Zellen über Amöben und Pflanzen bis zu Tier und Mensch.
Die Naturwissenschaft sieht die Natur als unbelebte Materie und betrachtet Intelligenz als exklusive menschliche Eigenschaft. Doch es gibt neuere Forschung mit verblüffenden Beispielen von Intelligenz in allen Bereichen der Natur.
Der Wissenschaftsautor und Anthropologe Jeremy Narby erklärt es so: “Es gibt eine aktive Form von Intelligenz, die der Natur innewohnt. Und das bestätigen moderne Erkenntnisse mittlerweile auf allen Ebenen. Das reicht von Tieren bis zum Verhalten einzelner Proteine und Zellen. Die Natur ist ohne Frage intelligent. Natur ist alles andere als ein inaktives, geistloses, mechanisches Phänomen, das alles ohne Grund und rein zufällig tut.«
Nachdem die jüngsten Entdeckungen der Epigenetik und die Arbeiten von Wissenschaftler*innen wie Bruce Lipton und Floriane Köchlin zeigten, dass selbst einzelne Zellen ununterbrochen intelligente Lösungen für komplexe Probleme finden, stellt sich die Frage, ob nicht die ganze Natur, ja das Universum selbst, intelligent ist.
Das wäre, nachdem die Natur 300 Jahre lang eher als große Maschine wahrgenommen worden war, ein großer Umbruch hin zu einer Sicht, die die lebendige Welt weniger mechanisch sieht, sondern vielmehr als ein vernetztes intelligentes Ganzes.
Intelligenz wird im Westen dem Menschen zugeschrieben
Bislang haben wir ›Intelligenz‹ als rein menschliche Eigenschaft definiert und in Verbindung gesetzt mit Vernunft, geplantem Handeln, sprachlicher Kommunikation usw. Für tierische Intelligenz gibt es eigentlich noch nicht einmal ein Wort.
Die ganze Frage nach Intelligenz und Bewusstsein ist bis heute Glaubenssache und wird zudem kulturspezifisch immer wieder anders beantwortet, sagt die amerikanische Evolutionsforscherin Elisabet Sahtouris:
„Im westlichen Modell des Universums beginnt der Kosmos als geistloser, rein materieller Prozess mit einer riesigen Explosion. Aus diesem ›Urknall‹ entsteht dann ein bedeutungs- und absichtsloses materielles Universum. Und erst die Evolution von Lebewesen mit komplexen Nervensystemen bringt dann irgendwie so etwas wie Bewusstsein hervor. In den Kulturen des Ostens sieht man es genau andersherum: Da steht Bewusstsein, kosmisches Bewusstsein am Anfang von allem und ermöglicht die Entstehung von Materie in einem Ozean aus Bewusstsein.”
Intelligenz wurde dann aber seit der europäischen Aufklärung ausschließlich dem Menschen zugeschrieben, dem es damit auch erlaubt war, die evolutionär unter ihm stehende natürliche Welt in ihre Bestandteile zu zerlegen und auszubeuten.
Das aber ändert sich durch Erkenntnisse der Naturwissenschaft: die Forschungen zur kollektiven Intelligenz in der Systemtheorie, zur Schwarmintelligenz in der Biologie, zur biosphärischen Intelligenz in der Gaia-Theorie.
Sie betonen das intelligente Zusammenwirken vieler Elemente, bei der das Ganze ‚schlauer‘ ist als die Summe seiner Teile. Doch auch der Intelligenz einzelner Gattungen und Spezies sind die Wissenschaftler*innen auf der Spur.
Schlaue Schimpansen und Vögel
Für die berühmte Primatenforscherin Jane Goodall, die ihr Leben lang Schimpansen beobachtete, steht außer Frage, dass sie hochintelligent und uns sehr ähnlich sind: „Genetisch unterscheiden wir uns gerade mal um ein Prozent. Die Anatomie ihrer Gehirne und des zentralen Nervensystems ist wie bei uns. Sie machen Werkzeuge und benutzen sie, sie kooperieren.“
Doch das gilt nicht nur für Affen. Wer beobachtet, wie Kolkraben in den dicht befahrenen Innenstädten Haselnüsse auf die Straße werfen, um sie von Autos überfahren, aufbrechen und damit mundgerecht servieren zu lassen, der mag das noch für Zufall halten.
Schon staunen lässt, dass eine Krähe sich 30.000 Verstecke für Tannensamen merken kann, die sie über das Jahr sammelt und zur Verwahrung vergräbt.
Der Zoologe Joseph Reichholf erzählt, dass neukaledonische Krähen aus einem Glaszylinder ein Schälchen mit Fleisch herausholen konnten. Das Schälchen hatte einen Henkel, und als Werkzeug hatten sie nur ein Stück Draht.
Intelligent, auch ohne Gehirn
Was ist aber mit Pflanzen, Schwämmen, Amöben, Einzellern, die kein Gehirn haben? Da muss der Intelligenzbegriff ganz neu gefasst werden.
Pflanzen können mindestens siebzehn verschiedene Umweltvariablen wahrnehmen. Sie riechen chemische Duftstoffe. Sie nehmen differenziert Licht wahr; damit messen sie seine Stärke und Qualität und regulieren damit die Keimung und Entwicklung ihrer Blätter.
Pflanzen nehmen Vibrationen und Berührungen wahr und sprechen auf Töne an, sie registrieren Schwerkraft, Temperatur und Wassergehalt.
Und sie ziehen Konsequenzen aus solchen Informationen, indem sie zum Beispiel ihr Wachstum ändern. Das heißt, dass Pflanzen Umweltsignale erfassen, intern weiterleiten und verrechnen. Sie sind fähig, als Antwort darauf zu entscheiden, ihr Verhalten zu verändern und dies per Duftstoff sogar Nachbarpflanzen mitzuteilen.
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Zellen mit Intelligenz
Bei der Erforschung der Duft- und Signalstoffe stieß die Forschung schließlich sogar auf die Intelligenz der Zellen. So fand man heraus, dass Zellen ununterbrochen ihre Umgebung wahrnehmen und auf der Grundlage dieser Informationen Entscheidungen treffen.
Wissenschaftsautor Jeremy Narby erklärt:
„Forscher haben herausgefunden, dass eine einzige menschliche Zelle in etwa so viel Informationen beinhaltet wie 1500 Enzyklopädien. Wir sprechen hier zwar nur noch über ein Zweimillionstel eines Stecknadelkopfes, gleichzeitig aber über eine unglaubliche Quantität an Information in diesem Zweimillionstel. Wenn das kein Ausdruck von Intelligenz ist.“
Molekularbiologen vergleichen die Komplexität einer einzigen Zelle mit der einer Großstadt. Hier scheint die fast durchsichtige Hülle der Zelle die Funktion eines Gehirns einzunehmen. Denn an dieser Membran docken zeitgleich bis zu 1.000 Signal-Proteine an. Hier werden die einlaufenden Informationen analysiert und pausenlos Entscheidungen getroffen.
100 Billionen solcher Zellen braucht es, um einen Menschen zu bilden. Ohne intelligente Zellkommunikation gäbe es keine Koordination zum System Mensch, keine Bewegung, keinen Appetit, keine Atmung, kein Leben.
Bewusstsein als Feld von Interaktionen?
Intelligenz scheint der Natur zutiefst zu eigen zu sein. Könnte es sein, dass Intelligenz etwas ist, was im ganzen Lebensnetz entsteht? Demnach wäre Bewusstsein und Geist eine Art Feld, das in der Interaktion entsteht und mit dem die Gehirne in Resonanz treten können.
Kein Wunder, dass sich die Forschung damit beschäftigt, ob die Bewusstseinsleistung des Einzelnen nicht nur eine kleine Schleife in einem kollektiven Prozess sein kann, sagt der ungarische Systemforscher Ervin Laszlo:
„So wie komplexe Neuronen ein Gehirn bilden, das als ein gemeinsames Gehirnsystem Bewusstsein hat, hat die Menschheit möglicherweise auch ein kollektives Bewusstsein. Aber das können wir nicht nachweisen.“
Doch der Gedanke einer kollektiven Intelligenz hat gerade im Zeitalter der globalen Vernetzung durch das Internet eine ungebrochene Faszination. Weltweit forschen Soziologen daran, wie soziale Systeme zu gestalten sind, damit sie das hervorbringen, was mehr ist als die Summe ihrer Teile. Schwarmintelligenz ist ein boomendes Forschungsfeld.
Neuere Forschungsansätze gehen davon aus, dass Phänomene wie Bewusstsein und Geist ab einem gewissen Grad von Komplexität wie von selbst entstehen. Das ließe sich auch auf die Erde als Ganzes beziehen, wo eine gigantische Menge an Lebewesen und Prozessen gemeinsam eine durchaus ›intelligente‹ Biosphäre gestaltet, ohne dass es dabei ein lenkendes Gehirn gibt.
Auch in dieser planetaren Sichtweise wäre die Intelligenz kein nur individuelles Phänomen, sondern das Ergebnis eines sich selbst organisierenden Zusammenspiels unendlich vieler Verbindungen und Kreisläufe, die zusammen ein so hochintelligentes System wie die Biosphäre hervorbringen, voller erstaunlicher individueller Wunderwerke wie DNA, Zellen, Bakterien, Fische, Vögel, Amphibien, Primaten, Menschen. Dann wäre die Schöpfung selbst die Quelle von Intelligenz.
Dr. Geseko von Lüpke
ist freier Journalist und Autor von Publikationen über Naturwissenschaft, nachhaltige Zukunftsgestaltung und ökologische Ethik. Er studierte Politikwissenschaft und Ethnologie und leitet seit über 20 Jahren tiefenökologische Fortbildungen.
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