Schwierige Zeiten in Nahost
Der Gaza-Krieg infolge des Massakers der Hamas in Israel im Oktober 2023 hat gravierende Folgen, auch für das Westjordanland und Friedensaktivisten auf beiden Seiten. In Israel gelten Menschen, die für die Versöhnung der Völker eintreten, als „unpatriotisch“. Friedliebende Palästinenser finden gar kein Gehör. Ein Bericht von Johannes Zang.
„Braucht es für mehr Frieden also Tod und Sterben?“ fragte Julia Amalia Heyer in der Spiegel-Chronik 2023. Zuvor hatte sie auf das geflügelte Wort in Israel verwiesen, demzufolge sich die israelische Regierung immer nur nach einer Tragödie bewege.
Der Jom-Kippur-Krieg 1973 führte zum Friedensabkommen mit Ägypten; nach der ersten Intifada, dem Aufstand der Palästinenser, folgten die Madrid-Konferenz und zwei Oslo-Abkommen, nach der zweiten zog Israel seine Siedler aus dem Gazastreifen ab.
Tod und Sterben hat Daoud Nassar, Initiator des Begegnungsprojekts Zelt der Völker bei Bethlehem, nicht erlebt, aber eine spürbare Zunahme von Gewalt durch jüdische Siedler und Armee. In seinem „dringenden Appell“ vom 21. August 2024 an Unterstützer im Ausland schreibt der 54-jährige palästinensische Christ und Friedensaktivist:
„Während alle Augen auf den Gazastreifen gerichtet sind, wird immer mehr palästinensisches Land im Westjordanland beschlagnahmt. Auch die Familie Nassar ist von dieser Entwicklung nicht verschont geblieben.“
Schon Mitte März 2024 hatten Siedler begonnen, auf dem gut 40 Hektar großen Familienbesitz eine Straße zu bauen, wenige Tage später folgte die zweite, Ende April dann die dritte Straße. „Am 27. Mai 2024 errichteten israelische Siedler ein Wohnmobil (…) für einen neuen Außenposten.“
Zusätzlich betreten Siedler nach Belieben sein Land, auch Dahers Weinberg genannt, mit Weintrauben, Feigen- und Aprikosenbäumen. Aktuell bauen sie „ein Gebäude – der wahrscheinliche Beginn eines weiteren illegalen Außenpostens.“
Der israelischen Menschenrechtsorganisation Peace Now zufolge gab es einen beispiellosen Anstieg der Siedlungsaktivitäten seit Beginn des Gaza-Krieges.
Kein Wunder, dass der mehrfach ausgezeichnete Friedensaktivist sich ängstigt und deutsche Freunde dringend bittet, ihre Bundestagsabgeordneten einzuschalten und „Druck auf die israelische Militärbehörde“ auszuüben.
Kooperation mit Arabern gilt als „unpatriotisch“
Während der Christ Daoud Nassar mit „Glaube, Hoffnung und Liebe“ trotz allem weiterkämpft, ziehen sich andere Friedensaktivisten zurück, quasi in die innere Emigration.
Der in Berlin lebende israelische Autor Igal Avidan des Buches “Und es wurde Licht. Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel“ hat das teilweise auch erlebt. Als er die in seinem Buch porträtierten Friedensaktivisten Ende 2023 anschrieb, „wollten einige gar nicht antworten, andere nur ganz kurz.“
Als er die Israel, seine alte Heimat, besuchte, traf er einige. „Manche wollten nur reden, wenn ich sie hinterher nicht zitiere“, erzählte er “Schneller”, dem Magazin über christliches Leben im Nahen Osten. Ein jüdischer Israeli erklärte ihm, „dass es derzeit nicht patriotisch sei, etwas mit arabischen Israelis zu machen.“
Andere Friedensaktivisten, wie der Palästinenser Issa Amro aus Hebron, wurden direkt am 7. Oktober 2023 verhaftet. „Sie folterten mich, ich wäre fast gestorben“, berichtete er BBC Weekend. Er bekannte, das habe seinen Glauben an friedlichen, gewaltlosen Widerstand jedoch nicht erschüttert, im Gegenteil.
Auch im Kernland Israel wurden Aktivisten und Demonstranten schon in Polizeigewahrsam genommen, die für einen Waffenstillstand auf die Straße gingen. Auf ihren Plakaten stand „Nein zu Gewalt“ oder „Wir stehen das zusammen durch“.
Wieder andere wurden, wie Hannah Sanders im forum ZFD Magazin berichtet, „von rechten Hooligans zusammengeschlagen“. Demonstrationen, die auf die humanitäre Katastrophe in Gaza aufmerksam machen wollten, wurden gänzlich verboten.
Forum ZFD-Landesdirektorin Van Thiel beobachtet, wie Friedensbewegte in ihrem jeweiligen Umfeld „geächtet, ja sogar wie Verräter behandelt werden.“ Da ihre Stimmen leiser würden, bräuchten sie die Unterstützung aus dem Ausland, „damit sie angesichts der zunehmenden Polarisierung noch Gehör finden und ihre Arbeit fortsetzen können.“
Radikales Angebot der Hoffnung
Etliche Friedensaktivisten in Isradel und Palästina kämpfen weiter, andere tauchen ab, manch einer sitzt in Haft, und ein paar entwickeln Pläne. Dazu gehören die Israelis Gershon Baskin, früherer Vermittler bei der Freilassung des israelischen Soldaten Gilad Shalit, der fünf Jahre von der Hamas festgehalten wurde. Oder der Redakteur Hillel Schenker, die Palästinenser Mohammed Shtayyeh, Ex-Premierminister, und der Theologe Naim Stifan Ateek, der um Weihnachten 2023 an Präsident Joe Biden schrieb.
Ateek, 1937 in Beisan (hebr. Bet Shean) geboren, hat als Kind den ersten israelisch-arabischen Krieg 1948/49 miterlebt; seine Familie wurde wie 750.000 Landsleute vertrieben. Lange war der anglikanische Domherr Seelsorger in Jerusalem, bis er Kindern und Enkeln in die USA hinterher zog.
„Ich bin zutiefst schockiert und betroffen, wenn ich auf die zerschmetterten, verbrannten Kinder von Gaza und Süd-Israel schaue“ – so hatte er seinen Brief begonnen und dann gewarnt: „Die entsetzlichen Gräueltaten, deren Zeugen wir sind, werden niemals diesen mindestens 75-jährigen Konflikt beenden, sondern unausweichlich zu mehr Gewalt und Verlust unschuldigen Lebens führen.“
Dann schlug der Mittachtziger sechs vertrauensbildende Maßnahmen vor wie die Rückführung jüdischer Siedler aus den palästinensischen Gebieten nach Israel, Jerusalem als gemeinsame Stadt für Palästinenser und Israelis unter UNO-Supervision, und:
„Nach einer bestimmten Zahl an Jahren und einer Periode wirtschaftlichen Wohlergehens, Friedenserziehung und Heilung können Palästinenser und Israelis entscheiden: Ein-Staat-Lösung oder Konföderation.“
Nicht nur geplant, sondern gehandelt hat das israelische Friedenslager: Etwa 50 Organisationen luden am 1. Juli 2024 in Tel Avivs Menora-Arena. „Die Zeit ist reif“, schrieben sie in der Ankündigung, „den Krieg zu beenden, alle nach Hause zu bringen und Frieden zu stiften.“
6.000 Menschen lauschten Aktivisten, Abgeordneten, Hinterbliebenen und einer befreiten Geisel. Journalist Haggai Matar nennt die Konferenz „fehlerhaft“: wegen des Ausblendens des Kriegshorrors und weil das Friedenslager keinen klaren Plan für ein Konfliktende vorlegte. Anerkennend sagt er jedoch über die Konferenz: „Sie war ein radikales Angebot für Hoffnung.“
Johannes Zang hat sich dreimal für einige Jahre in Israel/Palästina aufgehalten (1985-87, 1999-03, 2005-08). Er arbeitete als Zitronenpflücker in einem Kibbuz, als Musiklehrer in Bethlehem und als freier Journalist in Jerusalem. Sein aktuelles, fünftes Buch ist gerade erschienen: “Kein Land in Sicht? Gaza zwischen Besatzung, Blockade und Krieg”, PapyRossa. Seine Website