„Journalisten wollen keine Moralapostel sein“

Foto: JSB Co I Unsplash
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Interview mit ZEIT-Redakteur Ulrich Schnabel

Der klassische Journalismus verliert an Einfluss. Gleichzeitig grassiert die Desinformation. ZEIT-Redakteur Ulrich Schnabel spricht im Interview über Vertrauensverluste, Angriffe der Rechtspopulisten, das journalistische Gebot der Neutralität und wie schwierig es ist, sachlich über das zu berichten, was wichtig ist.

 

Das Interview führte Birgit Stratmann.

Frage: Der Journalismus steht unter Druck. Werbeeinnahmen wandern zu Google, Facebook etc.. Und der Einfluss schwindet, weil Menschen sich über soziale Plattformen informieren. Wo steht der klassische Journalismus heute?

Schnabel: Es ist ein dramatischer Umbruch. Ganze Redaktionen werden aufgelöst. Unter Kolleginnen und Kollegen geht die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes um. In allen Medienhäusern wird intensiv darüber nachgedacht, wie sich der Journalismus angesichts der Konkurrenz durch die digitalen Medien verändern muss.

Auch die Künstliche Intelligenz beeinflusst unsere Arbeit. Hinzukommt die Frage: Wie erreichen wir Menschen in einer Zeit, in der die Aufmerksamkeitsspanne geringer wird?

Frage: Ein großes Problem ist die Desinformation, vor allem über soziale Medien. Was kann man dagegen tun?

Schnabel: Um der Desinformation entgegenzuwirken müsste man die digitalen Plattformen zu mehr Fact-Checking verpflichten, aber wie wir gerade in den USA beobachten, geschieht eher das Gegenteil.

Als Journalist kann ich nur versuchen, aufzuklären und Falschinformationen aufzudecken. Allerdings erreichen wir viele Leute gar nicht mehr, weil sie die klassischen Medien meiden.

Die Algorithmen steuern die Nachrichtenauswahl.

Frage: Ist das auch eine Folge des Vertrauensverlustes in der Corona-Pandemie?

Schnabel: Die Corona-Pandemie war sicher eine Zäsur. In der Zeit hat das Vertrauen in den Journalismus und die politischen Institutionen gelitten. Dafür gibt es viele Gründe:

Da war zum einen die undurchsichtige Faktenlage, die dazu führte, das auch aus der Wissenschaft widersprüchliche Signale kamen. Weiter gab es eine intransparente politische Kommunikation, die eher bürokratisch-belehrend daherkam als verständnisvoll auf die Unsicherheiten und Ängste der Bevölkerung einzugehen.

Drittens wurde der Vertrauensverlust auch gezielt geschürt durch alle möglichen Verschwörungstheoretiker in den sozialen Medien.
Man darf nicht vergessen: Es gibt massive Kräfte, die auch in Deutschland versuchen, die Demokratie zu zerstören. Für die war Corona ein willkommenes Mittel zum Zweck.

Frage: Der Journalismus verliert auch an Bedeutung, weil in sozialen Medien jede und jeder senden kann. Viele unterscheiden nicht zwischen gut recherchierten Informationen und Behauptungen.

Schnabel: Ja, diese Unterscheidung fällt vielen schwer. Das liegt auch daran, dass in den sozialen Medien die Nachrichtenauswahl von Algorithmen gesteuert wird. Denen geht es nicht um die Relevanz oder Richtigkeit von Informationen, sondern darum, möglichst viel Aufmerksamkeit zu generieren.

Und auf emotional aufgeladene, schockierende Meldungen reagiert unser Gehirn automatisch stärker als auf sachliche Berichte. Deshalb ist es so schwer, mit konstruktiven Informationen gegenzuhalten.

Dennoch darf man den Fake-News nicht das Feld überlassen. Kürzlich erzählte mir der Historiker Frank Bösch vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, dass sie jetzt mit geschichtswissenschaftlichen Inhalten auf Tiktok gehen, um den Geschichtsverdrehern etwas entgegenzusetzen. Solche Initiativen sind wichtig.

Rechtspopulisten attackieren immer zuerst Medien und Wissenschaft.

Frage: Die Rechtspopulisten greifen die klassischen Medien und die Wissenschaft an. Sie bezeichnen zum Beispiel Fact-Checking als „Zensur“.

Schnabel: Die Rechtspopulisten versuchen, der Demokratie die Basis zu entziehen. Das beginnt bei der Verständigung darüber, was man als Fakten anerkennt. Eine demokratische Gesellschaft funktioniert ja nur, wenn man sich auf gewisse Grundsätze einigt; zum Beispiel, dass zwei plus zwei gleich vier ist oder dass eine rote Ampel Stop bedeutet.

Frage: Oder dass sich das Klima verändert.

Schnabel: Das ist ein gutes Beispiel: Die Rechtspopulisten erkennen den Klimawandel nicht an, sondern sprechen von „Klimaideologie“. Da stören natürlich wissenschaftliche Ergebnisse, die zeigen, wie sehr die globalen Temperaturen steigen und welche Folgen das hat. Zahlen und Fakten sind eben keine Ideologie. Deshalb werden sowohl Wissenschaftler angegriffen als auch die Medien, die dieses Wissen transportieren.

Frage: Es ist ja eine Strategie der Rechtspopulisten, mit Lügen und Verdrehungen Verwirrung zu stiften. Dann steigt die Sehnsucht nach eindeutigen, simplen Botschaften und einer rettenden Führungsfigur. Wie geht man dann damit um?

Schnabel: Wir sollten nicht auf jede Lüge und Verdrehung anspringen, weil wir sonst deren Job machen. Manchmal ist Ignorieren der bessere Weg. Für uns Journalisten würde es bedeuten, dass wir nicht über jedes Stöckchen springen, das uns die Rechtspopulisten hinhalten. Denn die sind nicht an einer normalen politischen Diskussion interessiert, sondern an der Diskurszerstörung.

„Journalisten wollen den Leuten nicht vorschreiben, was sie denken.“

Frage: Was bedeutet in diesen Krisenzeiten journalistische Neutralität? Können und sollten Journalisten gegenüber Demokratie, Klimakrise, Erstarken des Rechtspopulismus wirklich neutral sein? Müssten Sie nicht Haltung zeigen, natürlich ohne unsachlich zu sein?

Schnabel: Solche Fragen werden in den Redaktionen intensiv diskutiert. Sollen wir AfD-Politiker interviewen so wie andere Politiker auch? Das Neutralitätsgebot bedeutet im Normalfall, dass alle politischen Positionen gleich zu Wort kommen.

Wenn man aber weiß, dass die Gegenseite gar nicht an einem konstruktiven Gespräch interessiert ist, sondern an Diskurszerstörung, entsteht eine Schieflage: Wir halten uns an die Spielregeln, aber die Diskussionspartner tun es nicht. Da wird es mit der Neutralität schwierig.

Frage: Vor der Bundestagswahl war kein Thema so oft in den Medien wie die Frage, wie man Migration stoppen kann. Das ist doch nicht objektiv, es gibt so viele andere wichtige Themen.

Schnabel: Absolut. Migration ist ein Thema, aber es gibt zig andere Themen, die für unsere Zukunft wichtiger sind: die Zusammenarbeit mit den USA, der Ukraine-Konflikt, die Klimakrise, soziale Gerechtigkeit, Künstliche Intelligenz usw.

All diese Themen liefen komplett unter dem Radar. Nun könnte man sagen: Die Medien müssten die wichtigen Themen stark machen. Wenn aber im politischen Betrieb fast nur über Migration gesprochen wird, dann kann sich der Journalismus nicht abkoppeln.

Frage: Könnte es sein, dass zu wenig über die Haltung reflektiert wird: Mit welcher Motivation gehe ich an die Arbeit heran? Oder geht das nicht? Muss man dann in den Zynismus flüchten – nach dem Motto: Klimakrise und Schwächeln der Demokratie – geht mich nichts an, ich mache nur meinen Job?

Schnabel: Die Forderung nach Haltung ist zwiespältig: Wir wollen ja keine Moralapostel sein, die den Leuten vorschreiben, was sie zu denken oder politisch zu wählen hätten. Unser Job ist es in erster Linie, sachlich aufzuklären, was los ist in der Welt. Ich glaube, wir brauchen mehr grundlegende Reflexion darüber, wie der Journalismus klug auf all die demokratiegefährdenden Strömungen reagieren kann.

Aufregerthemen laufen gut, Schwieriges bekommt wenig Aufmerksamkeit.

Frage: Welche ethischen Werte sollten den Journalismus heute leiten?

Schnabel: Der Kern der journalistischen Ethik sollte sein, gründlich zu recherchieren, verschiedene Seiten zu Wort kommen zu lassen und immer wieder zu hinterfragen: Stimmt das überhaupt? Es wird unglaublich viel behauptet. Das darf man nicht unbesehen glauben, sondern muss genau hinschauen.

Frage: Dafür bräuchte es aber Zeit und die ist knapp.

Schnabel: Ja, die digitalen Medien haben für eine enorme Beschleunigung gesorgt. Wenn ich morgens eine Pressemeldung bekomme, weiß ich, dass das Thema nachmittags schon online ist.

Eigentlich bräuchte man für gründliche Recherchen mehr Zeit. Aber der Druck zwingt uns dazu, schneller zu sein. Die allgemeine Wertschätzung für gründlichen Journalismus ist verloren gegangen.

Frage: Trotzdem kann sich eine Wochenzeitung wie die ZEIT halten. Wie erklären Sie sich das?

Schnabel: Es gibt immer zwei Bewegungen: Der Trend hin zu Oberflächlichkeit, Schnelligkeit in den sozialen Medien, erzeugt einen Gegentrend und das Bedürfnis nach gründlich recherchierten, verlässlichen Informationen. Die Auflage der ZEIT ist in den letzten Jahren gestiegen, das finde ich ermutigend.

Frage: Was erwarten Sie von den Menschen heute, die sich informieren wollen?

Schnabel: Der beste Journalismus nützt nichts, wenn ihn niemand zur Kenntnis nimmt.
Aus den Analysen wissen wir, zumindest von den Online-Versionen unserer Texte, was wie viel gelesen wird.

Und da muss man leider sagen: Beiträge, die schwierige Themen anpacken, die gründlich recherchiert und sachlich dargestellt sind, haben es eher schwer. Was gut läuft, sind dagegen Aufregerthemen, steile Thesen oder Ratgebertexte, die dem Leser versprechen, wie er gesünder, sportlicher, schlanker oder glücklicher wird.

Insofern ist der Journalismus auch immer ein Abbild der allgemeinen Stimmung:
Wenn sich viele Menschen in ihre eigene kleine Welt zurückziehen und vor allem an ihrem persönlichen Glück interessiert sind, dann bedient der Journalismus eben dieses Bedürfnis.

Foto: Martina von Kann

Ulrich Schnabel ist Autor, Redner und seit über 30 Jahren Redakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT in Hamburg. Seine Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, seine Bücher wie Muße oder Zuversicht waren Bestseller. Zuletzt erschien von ihm Zusammen. Wie wir mit Gemeinsinn globale Krisen bewältigen.

 

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