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Foto: Ilka Heckenmüller
Foto: Ilka Heckenmüller

Neue Wege aus der Klimakrise

Der Klimawandel schreitet voran, das sieht man in einer Häufung extremen Wetterlagen. Eine Antwort darauf gibt der Pragmatismus. Der Philosoph Ludger Pfeil erklärt, warum Moral nicht unbedingt weiterhilft und Fantasie gefragt ist. Mehr Lebensfreude, weniger Treibhausgase – kreative Lösungen sind gefragt.

In Australien brennt seit Oktober 2019 der Busch. Das passiert dort regelmäßig, aber das Ausmaß übertrifft diesmal alles bisher Dagewesene. Alleine im Bundesstaat New South Wales haben die Feuer bereits Wald in der Größe der Fläche Belgiens vernichtet, Tier- und Pflanzenwelt ebenso wie Häuser und Existenzen der Menschen zerstört.

Immenses Leid und Schäden in Milliardenhöhe sind entstanden und ein Ende ist nicht in Sicht. Zeigt uns das im Brennglas, worauf wir auch in unseren Breiten zusteuern, wie eine kürzlich veröffentlichte Weltkarte bei einer Steigerung der Durchschnittstemperatur um vier Grad prognostiziert?

Sicher, es gibt immer noch einzelne, die das Thema Klimawandel für überschätzt halten oder die Verantwortung des Menschen dafür abstreiten – wobei selbst eine ungeklärte Verursachung ja keine logisch valide Ausrede dafür wäre, dass wir nicht alle unsere Einflussmöglichkeiten nutzen. Bundestag und Bundesrat haben dagegen in Deutschland tatsächlich ein erstes Maßnahmenpaket verabschiedet.

Alle ahnen, dass dies nicht genügen wird. Die Angst vor einer Diktatur von Ökopropagandisten scheint mehr und mehr der Erkenntnis zu weichen, dass die Konsequenzen, die uns die aus den Fugen geratenen Ökosysteme selbst diktieren könnte – Wanderungs- und Fluchtbewegungen in ungekanntem Maße, härtere Verteilungskämpfe um Ressourcen und Lebensräume sowie daraus resultierende Kriege – weitaus bedrohlicher sind und die volkswirtschaftlichen Kosten alle vermeintlichen Wirtschaftsnachteile übersteigen werden.

Der Klimawandel muss demnach zu einem tiefgreifenden Verhaltenswandel führen – beim Einzelnen in seinem Konsumverhalten, in der Energiewirtschaft und den Produktionsprozessen, in gemeinschaftlichen Initiativen und politischen Institutionen – und zwar weltweit. Keine Kleinigkeit.

Eine sich verbreitende Reaktion auf unser bisheriges Versagen besteht bei nicht wenigen darin, still beschämt zu sein. Vor einigen Wochen hat Peter Vollbrecht in einer Kolumne „Müssen wir uns des Reisens schämen?“ Sensibilität im Umgang mit der Scham angemahnt. Als kaum erträgliches Gefühl der Selbstbewertung kann sie zur Anständigkeit anspornen; sie führt jedoch ebenso leicht zu Abwehr und Verdrängung statt zur Motivation das Richtige zu tun. Genau darauf käme es aber an.

Eine Antwort gibt der Pragmatismus

Die hierzulande oft verkannte und ignorierte Philosophie des Pragmatismus insistiert gegen allen aufkommenden Fatalismus, dass es menschenmöglich sei, durch Handeln die Welt zu verbessern. Das gelingt jedoch nicht durch schamvolles Sich-Abwenden und innere Einkehr. Einer der prominentesten Vertreter dieser philosophischen Richtung, John Dewey, warnte bereits vor 100 Jahren in seinem Werk Die Erneuerung der Philosophie, dass solche Veränderungen nicht den reuigen Gemütern der Einzelnen überlassen werden dürfen, da die verordnete Selbstbespiegelung nur späte und unsichere Erfolge zeitigt:

„Individuen werden dazu veranlaßt, sich in moralischer Introspektion auf ihre eigenen Laster und Tugenden zu konzentrieren […]. Die Moral zieht sich aus der aktiven Befassung mit den detaillierten ökonomischen und politischen Bedingungen zurück. […] Und während Heilige mit der Introspektion beschäftigt sind, bestimmen stämmige Sünder den Lauf der Welt.“

Stattdessen muss es gelingen, gewünschte Veränderungen institutionell in Gesellschaft, Wirtschaft und Recht zu verankern und eine neue Normalität zu schaffen, in der es eben üblich und damit für alle anstrengungsloser ist, ja, auch weniger Fleisch zu essen und weniger unnötig zu Reisen, doch vor allem keine Kohle und möglichst bald gar keine fossilen Brennstoffe mehr zur Energiegewinnung zu nutzen. Um diese neue Normalität Wirklichkeit werden zu lassen, bräuchte es vor allem von uns klare Signale an die Politik, die wissen muss, dass sie von den Wählern auch für unpopuläre Maßnahmen Rückendeckung erhält.

Dewey macht am Beispiel der Entfernung deutlich, was möglich wird, wenn sich Phantasien im Hinblick auf gemeinschaftliche Ziele bündeln: Als es gelang, die räumliche Trennung von Freunden und Kindern als Quelle des Leids zu akzeptieren, statt sie durch metaphysische Überlegungen als nur phänomenal und in einem himmlischen Reich inexistent wegzudiskutieren, führte die Konzentration vieler Kräfte zu vielfältigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und daraus resultierenden Erfindungen wie dem Telegrafen und dem Telefon, die – wie wir im Zeitalter von WhatsApp und Skype wissen – dort längst nicht haltgemacht haben.

Für mehr Lebensfreude

Fortschritt geht jedoch nicht von selbst in die richtige Richtung, erst die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen setzen diese Kräfte frei. Als Erfolgsbelege aus unserer jüngeren Vergangenheit im Bereich schädlicher Gase dürfen die massive Reduktion des Schwefeldioxidausstoßes in den Industrieländern und die Ersetzung der Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe gelten – übrigens ohne dass die seinerzeit lauthals klagenden betroffenen Industriezweige zusammengebrochen wären.

Den Pragmatisten zufolge besteht ein Großteil unserer vielgepriesenen Freiheit – die uns bei Nichthandeln gerade aufgrund notwendig werdender Zwangsmaßnahmen abhanden zu kommen droht – darin, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf das lenken können, was uns wichtig ist.

Wie schaffen wir es also, den Klimawandel und mögliche Maßnahmen dagegen zum alle Kräfte freisetzenden Thema zu machen und unseren Fokus darauf zu legen, ohne uns nur auf Ängste und Scham zu verlassen – gefahrlaufend, zu verdrängen oder in Verzweiflung zu versinken? Wenn uns nämlich auf diesem Weg die Lebensfreude abhandenkäme, verlören wir gerade das, was wir bewahren wollen.

Der Ernst der Lage mag es auf den ersten Blick unangemessen erscheinen lassen, auf Spielerisches zu verweisen. Dem Spiel wird aber zu Unrecht die Ernsthaftigkeit abgesprochen, denn die Differenz zu verbissener Anstrengung liegt nicht im Engagement, sondern in der weniger engführenden Herangehensweise.

Gerade wenn Großes auf dem Spiel steht, beraubten wir dann uns nicht einer heilenden Option, wenn wir zögerten, das spielerische Element, in dem wir uns nach Schiller erst eigentlich als vollständige Menschen fühlen, als krampflösendes Mittel anzuwenden, um in seinem Sinne individuelle Autonomie und Naturerfordernisse zu versöhnen? Das bedeutete ja keinesfalls, alles auf die leichte Schulter zu nehmen, denn jedes gute Spiel lebt von dem Ernst, mit dem man es betreibt.

Klimaneutrales Faulenzen

Wenn wir ein menschheitsübergreifendes Weltspiel ausriefen, mit dem erklärten Ziel: möglichst viel Lebensfreude ohne Treibhausgasemissionen anzustreben, gäbe es erste Pluspunkte bereits für klimaneutrales Faulenzen. Um das größere Gewicht auf die längeren Hebel zu setzen, bekäme weitaus mehr jeder gutgeschrieben, dem es durch Beteiligung an lustvollen Demos und Aktionen gelang, so viel Zuversicht in der Politik auszulösen, dass daraus weitere klimafreundliche Maßnahmen entstanden sind.

Es würde ebenso anerkannt, wenn Unternehmen und Geldgeber aus Projekten mit der Kohleindustrie ausstiegen. Hohe Punktzahlen würden Erfindungen einheimsen, die Verzicht überflüssig machen, indem sie elegantere und interessantere Alternativen entwickeln. Dem Einfallsreichtum für weitere Anerkennungen wären keine Grenzen gesetzt.

Die Spielmetapher könnte einen Wettbewerb jenseits des Moralisierens zum Leben erwecken, bei dem jeder Einzelne, Gemeinschaften, Nationen und Staatenbünde mitmachen dürfen. Sie erzeugt ein Bewertungsschema, in dem nicht das verschämte Ungenügen vor Entdeckung zittert oder fadenscheinige Rechtfertigungen sucht, sondern in dem fleißige Klimapunktesammler in aller Öffentlichkeit stolz von ihren Erfolgen berichten können und auch die weniger Erfolgreichen am Ende keine Verlierer bleiben, denn letztlich profitieren alle.

Richtiges Handeln muss gelobt und gefeiert werden, damit es als Beispiel dient, das Ziel in der allgemeinen Wahrnehmung fester verankert und die Politik antreibt. Mut und Kreativität – beide angesichts der australischen Perspektive gefragt wie nie – entfalten sich nicht in der Schockstarre.

Ludger Pfeil, 12. Januar 2020

Ludger Pfeil studierte Philosophie mit den Abschlüssen Magister artium und Promotion in Bochum und erfüllte diverse Lehraufträge an Universitäten. Keineswegs ein Philosoph im Elfenbeinturm kennt er die Arbeitswelt eines global agierenden Großunternehmens aus Mitarbeiter-, Führungs- und Beraterperspektive ebenso wie die Lebenswelt eines aktiv eingebundenen Familienvaters. Er arbeitet seit 1996 als Philosophischer Praktiker mit Seminaren, Cafés, Workshops und Vorträgen sowie Einzelberatungen. Ludger Pfeil hat zur analytischen Ethik, zur Führungsethik und zur Philosophie im Alltag veröffentlicht. 2015 ist bei Rowohlt sein Buch „Du lebst, was Du denkst“ erschienen.

 

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