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Klimakrise: Menschen, die sich auf den Kollaps vorbereiten

Piyaset/ Shutterstock

Über die neue Kollaps-Bewegung

Die Klimakrise bedroht das Leben auf der Erde. Die neue „Kollaps-Bewegung“ bereitet sich auf die Katastrophe vor. Mike Kauschke über ihre Motive und Kritik an der Politik, aber auch die Frage, welche wissenschaftlichen Bedenken es zum Untergangsszenario gibt. Könnte es uns am wirksamen Handeln hindern?

Ein „Kollaps-Camp“ Ende August 2025 in Brandenburg? Sind wir schon so weit, dass wir den Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation befürchten müssen? Ja, sagen die rund 1000 Aktivisten, die zusammengekommen sind, um sich auf den Ernstfall vorzubereiten.

Gerriet Schwen, einer der Organisatoren, erklärt seine Motivation: „Die Bewegung für Klimagerechtigkeit ist gescheitert. Das gilt es anzuerkennen. Wir stehen menschheitsgeschichtlich an einem Punkt, wo es sehr unwahrscheinlich ist, dass es mit der Versorgung an Lebensmitteln, der Ressourcenverfügbarkeit, dem Komfort und der sozialen Stabilität so gemütlich weitergeht.“

Fakt ist: Wir überschreiten die planetaren Grenzen. Das 1,5 Grad-Ziel, auf das sich die Weltgemeinschaft 2015 in Paris geeinigt hat, ist kaum mehr zu erreichen. Für eine Studie des Guardian, die im Mai 2024 erschien, wurden 380 Wissenschaftler weltweit befragt; nur sechs Prozent von ihnen glauben noch daran, dass die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden kann, um das Schlimmste abzuwenden.

Es könnte zu spät für Maßnahmen zum Klimaschutz sein

Aus all dem ziehen einige Denker die Konsequenz, dass wir uns auf eine Klimakatastrophe einstellen müssen. Es gibt eine Denkbewegung namens Kollapsologie, die den möglichen Zusammenbruch unserer Zivilisation untersucht.

In diese Richtung denkt auch Jem Bendell, Professor für Führungswissenschaften, der sich seit Jahren für Nachhaltigkeit einsetzt. Er erregte Aufsehen mit einem Paper mit dem Titel “Deep Adaptation – A Map for Navigating the Climate Tragedy”.

Darin wagt er die Frage, ob es vielleicht schon zu spät ist, um die katastrophalen Folgen des Klimawandels wirkungsvoll abzuwenden. Als Antwort auf seine Szenarien spricht Bendell von der notwendigen »Deep Adaptation«, Tiefenanpassung.

Denn angesichts eines möglichen Zusammenbruchs unserer Zivilisation werden oberflächliche, technologische Lösungen innerhalb des bestehenden Systems der Wachstumsökonomie nicht ausreichen. Nötig ist eine grundlegende Transformation unseres Bewusstseins und Menschseins.

Aber ist die Menschheit dazu bereit? Das scheint im Moment unwahrscheinlich. Aus diesen Gedanken ist die Kollaps-Bewegung entstanden.

Eine bessere Katastrophe?

Die Basis dieser neuen sozialen Bewegung ist das Verständnis: Es kann in den nächsten Jahren und Jahrzehnten katastrophal werden. Für den Aktivisten Schwen liegt „das gemeinsame Ziel darin, die bestmögliche Katastrophe zu gestalten, also die Solidarität solange wie möglich aufrechtzuerhalten und Leid so weit wie möglich zu reduzieren.“

Den Begriff der „besseren Katastrophe“ hat der Aktivist Andrew Boyd in seinem viel beachteten Buch “I want a better catastrophe” bekannt gemacht. Naturgemäß versteht allerdings jeder und jede etwas anderes darunter.

Rund 1000 Menschen versammelten sich 2025 zum Kollaps-Camp, Foto: Kollaps Camp

Beim Kollaps-Camp in Brandenburg gab es 115 verschiedene Programmpunkte in zweieinhalb Tagen. Sie reichten vom Verstehen der wissenschaftlichen Grundlagen des möglichen Zusammenbruchs über emotionale Arbeit bis hin zu praktischen Fähigkeiten wie Funken und Wundversorgung.

Eine offene Frage ist, ob die Vorbereitungen auf die Katastrophe wirksames Handeln für den Klimaschutz verhindern. Viele Teilnehmende beim Kollaps-Camp kommen aus dem Aktivismus, etwa aus dem Umfeld der “Neuen Generation”. Für sie ist es kein Gegensatz.

Die Stimmung auf dem Camp erlebte Schwen als „beschwingt, fast hoffnungsvoll“. Als Grund nennt er: „Viele Menschen, die sich konstruktiv und praktisch mit Kollaps beschäftigen, sind durch einen Tiefpunkt der Hoffnungslosigkeit gegangen. Sie haben eine passive Hoffnung verloren, nach dem Motto: Es wird schon alles gut. “

Kritik am Kollaps-Szenario

Aber es gibt auch Stimmen, zum Beispiel aus der Wissenschaft, die die Kollaps-Bewegung kritisch sehen. Jobst Heitzig, Mathematiker am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, erklärt:

„Prinzipiell lässt sich nicht seriös sagen, wie wahrscheinlich ein Zusammenbruch der Zivilisation ist. Wir stellen fest, dass es einen sehr hohen Grad an internationaler Abhängigkeit im Wirtschaftssystem gibt. Da könnte es Dominoeffekte geben, die vergleichbar mit einem Multiorganversagen beim Menschen sind“.

Das deute aber nicht notwendigerweise auf einen Kollaps hin: „Ich würde zustimmen, dass es einige Hinweise darauf gibt, dass die Zivilisation zusammenbrechen kann, zum Beispiel durch einen global eskalierenden Gewaltkonflikt oder eine schwere globale Wirtschaftskrise. Aber es gibt eben keine klaren Hinweise darauf, wie wahrscheinlich es ist.“

Was die Klimakrise betrifft, so gibt es jetzt noch Auswege: „Wir können den Klimawandel ja bekämpfen und Gesellschaft und Wirtschaftssystem resilienter machen“, erklärt Heiztig. Viele Kritiker, auch Psychologen, befürchten, dass die Betonung von Kollaps und Katastrophe die Menschen in die Klimaangst treibt und ihnen die Hoffnung nimmt, um wirksam zu handeln. Denn Handeln ist dringend nötig und kann Hoffnung stiften.

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Die Unfähigkeit zu handeln

Schwen, der sich auch wissenschaftlich mit der Dynamik der Klimakrise befasst, hält dagegen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts der Universität Hannover hat er die relevantesten Papiere und wissenschaftlichen Reports gelesen.

„Wenn man die klimawissenschaftlich gesicherte Forschung des IPCC liest [Klimagremium der Vereinten Nationen, Anm. der Red.], dann ist das hochgradig verstörend. Nach konservativen Schätzungen werden am Ende dieses Jahrhunderts die Hälfte der Menschen nicht mehr dort leben können, wo sie jetzt sind. Der gesamte äquatoriale Gürtel wird zu heiß, um biologisch zu überleben, und obendrein landwirtschaftlich nicht mehr nutzbar sein. Das betrifft rund vier Milliarden Menschen.“

Die Aktivisten beklagen vor allem auch die Unfähigkeit der Politik, die Lage anzuerkennen und wirksam zu handeln. Schwen spricht von „einer extrem unseriösen Form von Tagträumerei“, wenn zum Beispiel suggeriert würde, mit Technik gegenhalten zu können.

Das IPCC scheint ihnen teilweise Recht zu geben: „Tiefgreifende, schnelle und anhaltende Minderungsmaßnahmen und eine beschleunigte Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen in diesem Jahrzehnt würden die (erwarteten) Verluste und Schäden für Menschen und Ökosysteme verringern.“

Inwieweit das Bewusstsein, dass der Kollaps eintreten könnte, uns zu wirksamen Handeln bewegt oder es eher verhindert, ist eine offene Frage. Bei Gerriet Schwen ist von Resignation nichts zu spüren. Er sieht mit dem KollapsCamp den Beginn einer vielgestaltigen soziale Bewegung, die vor allem auch auf die Dringlichkeit der Situation hinweisen will.

Lesen Sie auch das Interview: Klimakrise: “Hoffnung und Katastrophe schließen sich nicht aus”, Interview der Psychotherapeutin Anica Heck von den Psychologists for Future

Quellen:

Befragung von 380 Klima-Wissenschaftler: Artikel im Guardian

Paper von Jem Bendell, 2020, Deep Adaptation – A Map for Navigating the Climate Tragedy

Buch von Andrew Boyd I want a better catastrophe. Navigating the Climate Crisis with Grief, Hope, and Gallows Humor. New Society Publishers 2023

Foto: privat
Foto: privat

Mike Kauschke

ist fester, freier Autor bei Ethik heute. Zudem arbeitet er auch als Übersetzer, Dialogbegleiter und als Redaktionsleiter beim Magazin evolve. Er begleitet auch die Online-Dialoge im Netzwerk Ethik heute. www.mike-kauschke.de

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