Der Weg Jane Goodalls von der Forscherin zur Umweltschützerin
Jane Goodall (1934-2025) widmete ihr Leben der Erforschung der Schimpansen und dem Schutz der Lebensgrundlagen. „Jede kleinste Handlung jedes Einzelnen jeden Tag macht etwas aus“, sagte sie in einem Interview, das Geseko von Lüpke vor einigen Jahren mit ihr geführt hat.
Tex: Geseko von Lüpke
Jane Goodall wird am 3. April 1934 in London geboren. Ihr Vater ist als Autorennfahrer ein Draufgänger, von dem sie ihre Abenteuerlust erbt, die Mutter eine zarte und mitfühlende Beobachterin des kleinen Mädchens, das schon früh durch ihre Verbundenheit mit dem Tierreich auffällt. In einem Interview, das ich 2019 mit ihr führen konnte, erzählt sie:
“Als ich eineinhalb Jahre alt war, kam meine Mutter in mein Zimmer und entdeckte mich mit einer ganze Handvoll Regenwürmer im Bett, weil ich wohl wissen wollte, wie sie sich ohne Beine fortbewegen. Aber anstatt mich zu schelten sagte sie nur: ‚Jane, sie werden sterben, wenn Du sie hierlässt. Sie wollen in den Garten.‘ Also brachten wir sie zurück.“
Schon in Ihrer Kindheit wird das Draußen ihr zu Hause. Sie erforscht in Hühnerställen, wie die Eier aus dem Huhn kommen, verzieht sich auf die höchsten Bäume zum Lesen und träumt davon, wie Dr. Dolittle die Tiere zu verstehen.
Als junger Teenager verliebt sie sich nicht in den Nachbarjungen, sondern in Tarzan, dessen Abenteuer sie im grünen Nest ihres Lieblingsbaums verschlingt: „Damit begann mein ‘afrikanischer Traum’. Ich entschloss, in Afrika mit wilden Tieren zu leben und darüber Bücher zu schreiben, wenn ich groß sein würde. Ich wurde ausgelacht: ‚Du bist nur ein Mädchen!“. Nur meine Mutter sagte: ‚Wenn Du das wirklich willst, musst Du hart arbeiten, jede Gelegenheit nutzen und nie aufgeben.‘“
„Mein wichtigster Lehrer war mein Hund“
Doch die Familie hatte wenig Geld, an ein Studium war nicht zu denken. Jane wurde Sekretärin, jobbte als Kellnerin und schaffte es trotzdem irgendwie, den Kontakt zu ihrer Vision nicht zu verlieren.
Jeder Pence wurde zur Seite gelegt, bis das Sparschwein voll genug war für eine Reise nach Kenia. Eher zufällig fand sie in Nairobi einen Job im Nationalmuseum und wurde Sekretärin des berühmten Erforschers der menschlichen Frühgeschichte Louis Leakey.
Nach seinen sensationellen Knochenfunden menschlicher Urahnen in Westafrika kam der Paläo-Anthropologe auf die Idee, dass man am Verhalten der Schimpansen erkennen könnte, wie der Urmensch gelebt habe.
Weil das mit den herkömmlichen Forschungsmethoden nicht zu beweisen war, schickte er kurzentschlossen seine Sekretärin in den afrikanischen Busch des Gombe-Nationalparks. Goodall erinnert sich: “Louis Leakey wollte jemand, der nie eine Universität von innen gesehen hatte. Denn damals, Anfang der 1960er, waren all die Verhaltensforscher verstockte Reduktionisten.“
Als sie im Gombe Nationalpark mit ihrer Arbeit begann und den Affen Namen gab, hatte sie keine Ahnung, dass man sie wie Dinge hätte nummerieren sollenen.
„Ich hätte auch nicht über ihre geistigen Fähigkeiten sprechen dürfen, weil man sagte, nur Menschen hätten Geist. Mein wichtigster Lehrer war mein Hund gewesen, von ihm wusste ich, dass Tiere Geist, Persönlichkeit und Gefühle haben. An der Universität hätten sie mir all diese Überzeugung genommen und ich wäre ein kühler und objektiver Wissenschaftler alter Schule geworden. So aber hat mein naiver Glaube die Wissenschaft verändert.“
Sie beobachtete im Urwald Dinge, die niemand vor ihr gesehen hatte.
Jane Goodall verschwand in der Wildnis, um die Menschenaffen dort zu beobachten, wo sie zu Hause waren: im Urwald. „Da draußen im Wald alleine zu sein, war für mich absolut wunderbar. Es war, als würde ich ein Teil vom Wald. Wenn Du mit einem anderen Menschen unterwegs bist, ist immer das Menschliche im Vordergrund. Wenn Du alleine bist, vergisst Du das Menschsein und wirst ein Teil vom Ganzen.“
Vielleicht weil sie als Mensch vom Thron der eigenen Überlegenheit heruntergestiegen war, begannen die Schimpansen, ihr zu vertrauen. Jane Goodall lebte unter ihnen, sie studierte das Sozialverhalten, die Regeln der Gemeinschaft, die Freund- und Partnerschaften, die Erziehung und die Jagdtechniken, den Aufbau der Horde und die Hierarchien. Und sie konnte Dinge beobachten, die niemand vor ihr gesehen hatte.
Als sie beispielsweise bewies, dass Schimpansen ganz gezielt Werkzeuge benutzen, um an Nahrung zu kommen, stand die Forschungswelt Kopf. Denn die Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier widersprach der anthropzentrischen Arroganz.
Es dauerte nicht lange, bis Jane Goodall sich von ihrem Mentor Louis Leakey emanzipierte. Ihre Forschungsarbeiten stießen auf breites Interesse, ein Film der National Geographic machte die junge Abenteurerin weltweit bekannt.
„Auch in der Aggressivität sind die Affen den Menschen ähnlich.“
Nach Jahren der Feldforschung kehrte sie für einige Jahre zurück nach England, um nachträglich zu studieren und die akademischen Weihen zu erhalten, mit denen sie auch bei ihren schärfsten Kritikern nun endlich Gehör fand.
Trotz ihrer Begeisterung war die Forscherin in der Lage, sich von der Idealisierung verabschieden. Es war ein Schock, als Goodall und ihr Team das erste Mal die männlichen Affen bei ihren Patrouillen entlang der Grenzen des Territoriums beobachten konnte. Sie mussten mit ansehen, wie sie Weibchen einer anderen Horde so brutal attackierten, dass sie an ihren Wunden starben.
Die Forscherin sieht auch hier die Ähnlichkeit zwischen Menschen und Affen: „Ich bin mir sicher, dass Menschen sehr tiefe aggressive Tendenzen haben, die sie – ganz wie die Schimpansen – von den frühen Primaten geerbt haben. Doch wir haben die Fähigkeit, unsere aggressiven Instinkte zu kontrollieren. Gleichzeitig wurzeln auch Mitgefühl, Liebe und Altruismus ebenso stark in unserer Primaten-Vergangenheit. Ich glaube, wir haben die Wahl. Wir haben aufgrund unseres hochentwickelten Gehirns die Fähigkeit, unsere biologischen Instinkte zu kontrollieren.“
Von da an beginnt sich Jane Goodalls Perspektive zu verändern: Statt ihre ganze Aufmerksamkeit den Schimpansen zu widmen, kommen ihr nun die menschlichen Entwicklungspotentiale verstärkt in den Sinn.
Unser YouTube-Kanal
Wir haben angefangen, unseren youtube-Kanal auszubauen. Denn unsere kostbaren Inhalte sind es wert, auch in anderen Formaten Menschen zu inspirieren.
„Wir alle können unseren Teil beitragen.“
Aus der ursprünglich reinen Primatologin wird eine Humanistin, die darauf setzt, dass aus dem – noch ziemlich primitiven – Menschen der Gegenwart tatsächlich etwas wird, was dem Begriff ‘Homo sapiens’, also dem ‚weisen Menschen‘ gerecht wird:
“Das heißt auch zu begreifen, dass wir tatsächlich ein Teil des Tierreichs sind. Und zu verstehen, dass diese vielen anderen Wesen auf diesem Planeten ebenso wie wir Angst, Verzweiflung und Schmerz empfinden. Wir müssen die Mitgeschöpfe in den innersten Kreis unseres Mitgefühls einschließen.“
Aus Jane Goodall war mittlerweile eine Professorin an den Elite-Hochschulen wie Harvard geworden. 1986 entschied sie sich, dem Urwald den Rücken zu kehren – um weltweit alles dafür zu tun, denselben zu schützen und zu retten.
Denn sie sah, dass die Bedrohung der Schimpansen direkt etwas mit den Lebensumständen der Afrikaner zu tun hatte, die in schrecklicher Armut, ohne Gesundheitsversorgung und Bildung lebten. Wenn man also die Tiere retten wollte, musste man die Lebensbedingungen der Menschen verbessern. Das führte dann zu Gründung der Jane Goodall-Institute zur Verbesserung der Lebensqualität.
Von da an pendelte sie über den ganze Globus, engagierte sich hier gegen Massentierhaltung, dort für Menschenrechte, oder für Schulbildung im globalen Süden. Unermüdlich: mit Vorträgen, Filmen, Büchern. 20 Institute gründet sie weltweit, ihre Jugendorganisation ‘Roots and Shoots’ für ökologische Bildung gibt es heute in mehr als 100 Ländern.
„Wir alle können unseren Teil beitragen“, versuchte Goodall, die Menschen zu motivieren. „Jede kleinste Handlung jedes Einzelnen jeden Tag macht etwas aus. Wir haben die Wahl, ob unser Handeln der Zukunft dient oder nicht.
Also lasst uns mit der nächsten Generation zusammen kommen und die Welt wieder in Ordnung bringen. Damit wir im Moment des Todes sagen dürfen, wir haben alles getan, was wir konnten.“ Dieser Widmung folgte sie bis zum Schluss. Jane Goodall starb 1. Oktober 2025 am im Alter von 91 Jahren auf einer Vortragsreise in Kalifornien.
Dr. Geseko von Lüpke
ist freier Journalist und Autor von Publikationen über Naturwissenschaft, nachhaltige Zukunftsgestaltung und ökologische Ethik. Er studierte Politikwissenschaft und Ethnologie und leitet seit über 20 Jahren tiefenökologische Fortbildungen.
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