Philosophische Kolumne
Ferdinand von Schill soll oft passende Worte gefunden haben. Ihm wird das folgende Zitat nachgesagt, über das Thomas Gutknecht in dieser philosophischen Kolumne im folgenden nachdenkt: „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“
Das Zitat des heute kaum mehr bekannten Haudegens Ferdinand von Schill (6.1.1776 – 31.5.1809)[1] bei einer Ansprache auf dem Marktplatz von Arneburg an der Elbe am 12. Mai 1809 kommt heute wohl manchen in den Sinn. Ferdinand von Schill soll oft passende Worte gefunden haben, um die Menschen auf der Straße und die einfachen Leute anzusprechen. Man muss ihn deshalb nicht für einen Populisten halten.
Doch wie dem auch sei, in Anspielung auf Psalm 73,19 rief der damalige Kommandeur eines Freicorps den Menschen in Arneburg zur Ermutigung zu: „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“
Das Zitat des heute kaum mehr bekannten Haudegens Ferdinand von Schill (6.1.1776 – 31.5.1809)[1] bei einer Ansprache auf dem Marktplatz von Arneburg an der Elbe am 12. Mai 1809 kommt heute wohl manchen in den Sinn.
Ferdinand von Schill soll oft passende Worte gefunden haben, um die Menschen auf der Straße und die einfachen Leute anzusprechen. Man muss ihn deshalb nicht für einen Populisten halten. Doch wie dem auch sei, in Anspielung auf Psalm 73,19 rief der damalige Kommandeur eines Freicorps den Menschen in Arneburg zur Ermutigung zu: „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“
Im Psalm selbst ist vom schrecklichen Ende der Gottlosen die Rede. Doch darum handelt es sich hier in keinster Weise. Eine Redensart nimmt es philologisch und historisch nicht so genau und erhält alsbald neuen Sinn.
Das Wort besagt nun: Am besten fährt, um einem Übel zu wehren, wer lieber heute als morgen, sofort und schnell sich gravierendste Einschnitte zu setzen traut. So wird man sich nach überstandener Krise umso schneller auch wieder einrichten können.
Passt das zur aktuellen Situation? Zwei Voraussetzungen sind damit mindestens gemacht: dass erstens die adressierten Menschen den auferlegten Verzicht und die Einschränkungen mittragen, das heißt die Zumutungen verstehen; und zweitens, dass „danach“ alles weitergehen kann (und auch soll) wie zuvor.
Denkt man nicht allzu schlecht über Intelligenz und Charakter seiner Landsleute, dürfte man auf die Einsicht und die entsprechende Praxis hoffen. Seitens der Politik kein bequemes Verdrängen, kein panisches Dämonisieren, maßvolle behördliche Anordnungen. Notstand vier Wochen. Das war´s.
Weit schwieriger ist zu beurteilen, ob wir denn zu alledem zurückfinden wollen, was plötzlich seine unhinterfragte Selbstverständlichkeit verliert. Hier erscheint ein großes Fragezeichen. Könnte da das abrupte Ende, schrecklich genug, nicht doch zu endlosem Schrecken führen?
Stabilisierend ist stets ein status quo. Was aber, wenn es keinen status mehr gibt, keine ungeschriebenen Gesetze, kein anerkanntes Gewohnheitsrecht? Deshalb ist eine Balance nötig, die nicht nur die Frage bedenkt, ob man die Menschen eilends „mitnehmen“ kann. Denn Viele spüren jetzt: das ist ja keine Pause, keine Unterbrechung – das ist das Ende.
Was mag kommen: Die Geburten könnten zunehmen, gewiss auch die Scheidungsraten. Erfreuliches mischt sich mit Unerfreulichem. Betriebe schließen für immer. Kreative müssen sich als Programmierer verdingen und Freischaffende der „Algorithmokratie“ unterwerfen, andere schulen um, um nach deren Diktat zu beschulen.
Der Versandhandel lässt nicht mehr viele Läden übrig, Branchen verschwinden. Noch vor einer Woche fehlte zumindest mir die Vorstellungskraft fürs inzwischen eingetretene Desaster. Wie will man sich ausdenken, was nach dem Ende mit Schrecken vom Schrecken bleibt?
Gewiss vermag der Virus nicht alles anzutasten. Das Unantastbare hat weniger mit dem äußeren Leben zu tun, mit der gefährdeten Demokratie, der falschen Wirtschaft, dem merkantilen Sport, der ressentimenalen Kultur und in allem mit den neuen Technologien, die diese Subsysteme zu überformen im Begriff standen.
Unantastbar ist – bleibt man wachsam –, allein der Innenraum, das Seelische, das Bewusstsein. Wachsam bleiben meint beispielsweise der Angst widerstehen, ihr mit Mut zum Sein zu begegnen. Im Inneren formen wir Haltungen, schaffen wir Narrative, erinnern wir Bilder des Gelingens, erkennen wir die Herausforderung zu erneuernder Selbstbesinnung.
Das ist weniger Notstand, eher heilsame Krise. Dem Schrecken eignet eine eigentümliche Dimension: Tremendum et Faszinosum. Ich frage mich erschrocken und fasziniert zugleich und auch gesund mit stockendem Atem: verstehen wir uns auf die rechte Weise zu ängstigen? Lehren es diese im Wortsinn „verrückten“ Wochen – oder entgleisen wir zur psychotischen Gesellschaft?
Sich recht ängstigen, was könnte das heißen? Zumindest vor dem sich ängstigen, was es wert wäre, dies zu tun. Wert wäre das Selbst, dem schon die Sorge des Sokrates galt; und wert seine Beziehung zum Unbedingten. Bei allen Sorgen, von diesem einen hängt all deren Wert letztendlich doch ab: findet sich der Mensch ein im Ge-heim-nis? Ge-heim-nis meint: wo wir gemeinsam daheim sind, wohin wir ge-hören. Da, am Abgrund, ist doch der Mensch seit eh und je in Wahrheit daheim…
Thomas Gutknecht, 19. März 2020
Thomas Gutknecht lehrt und lernt nach Studium der Philosophie, Katholische Theologie, Germanistik unter anderem als Dozent am Kolping-Bildungszentrum Stuttgart, zudem an verschiedenen Einrichtungen der Erwachsenenbildung. 1991 des des Logos-Instituts für Philosophische Praxis und freiberuflich tätig. Er war bis 2015 Präsident der Internationalen Gesellschaft für Philosophische Praxis. www.praxis-logos.de
[1] Zitiert nach: Georg Büchmann: Geflügelte Worte. Der Zitatenschatz des deutschen Volkes. 23. Auflage. Berlin, 1907. S.533.