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Liebevolles Sprechen und echtes Zuhören

sandrobrezger/photocase.de
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Die 4. Achtsamkeitsübung: Achtsame Kommunikation

Der Meditationsmeister Thich Nhat Hanh hat fünf Achtsamkeitsübungen entwickelt, nach entsprechend allgemein anerkannten ethischen Richtlinien. Yesche U. Regel stellt die vierte Regel vor: liebevolles Sprechen und echtes Zuhören.
Eine wichtige ethische Regel heißt normalerweise „Nicht lügen!“. Viele neigen gewiss dazu, sofort zu denken: „Das mache ich sowieso nicht oder nur selten bzw. nur, wenn es unbedingt sein muss, also fast nie.“ Könnte es sein, dass wir gar nicht bemerken, dass wir nicht die Wahrheit sagen, dass es unachtsam geschieht?
Thich Nhat Hanh hat diese ethische Richtlinie weiter gefasst. So wird deutlich, was es für eine umfassende menschliche und psychologische Aufgabe es ist, aus dem Nicht-Lügen eine Tugend zu machen, d.h. die Wahrheit zu sprechen und insgesamt eine achtsame Kommunikation zu pflegen.

Die vierte Achtsamkeitsübung: Liebevolles Sprechen und tiefes Zuhören

Im Bewusstsein des Leidens, das durch unachtsame Rede und aus der Unfähigkeit, anderen zuzuhören, entsteht, bin ich entschlossen, liebevolles Sprechen und mitfühlendes Zuhören zu üben, um Leiden zu lindern und Versöhnung und Frieden in mir und zwischen anderen Menschen, ethnischen und religiösen Gruppen und Nationen zu fördern.

Im Wissen, dass Worte sowohl Glück als auch Leiden hervorrufen können, bin ich entschlossen, wahrhaftig zu sprechen und Worte zu gebrauchen, die Vertrauen, Freude und Hoffnung wecken.

Wenn Ärger in mir aufsteigt, bin ich entschlossen, nicht zu sprechen. Ich werde achtsames Atmen und Gehen praktizieren, um meinen Ärger zu erkennen und tief in seine Wurzeln zu schauen, besonders in meine falschen Wahrnehmungen und mein fehlendes Verständnis für mein eigenes Leiden und das der anderen Person. Ich werde in einer Weise sprechen und zuhören, die mir und dem anderen helfen kann, Leiden zu transformieren und einen Weg aus schwierigen Situationen zu finden.

Ich bin entschlossen, keine Nachrichten zu verbreiten, wenn ich nicht sicher bin, dass sie der Wahrheit entsprechen, und Äußerungen zu unterlassen, die Trennung oder Uneinigkeit verursachen können. Ich werde „Rechtes Bemühen“ praktizieren, um meine Fähigkeit zu Liebe, Verstehen, Freude und Unvoreingenommenheit zu nähren und um allmählich Ärger, Gewalt und Angst, die tief in meinem Bewusstsein liegen, zu verwandeln.

Alles, was wir sagen, wirkt

Alles, was wir sagen oder irgendwie zum Ausdruck bringen, sei es durch Stimme, Worte und Sprache, hat Auswirkungen. Sprechen ist eine Handlung. Sie beeinflusst andere mehr oder weniger deutlich, drückt Absichten, Gefühle und Gedanken aus, kann verletzen oder besänftigen, betrügen, täuschen oder informieren, aufklären. Was wir sagen kann dumm oder weise sein und hinterlässt einen Eindruck im Geist des Sprechenden: „Das habe ich gesagt und nicht nur gedacht.“
Auch bei dieser ethischen Richtlinie geht es darum, Leiden zu vermeiden und aufzulösen. Dazu benötigt man Entschlusskraft, eine innere Haltung, die dem Sprechen zu Grunde liegt. In der Sprache nimmt unsere Geisteshaltung Gestalt an, wird zum „Laut“. Heilsames, freundliches Sprechen und Handeln liegt eine liebevolle Grundhaltung zugrunde, und diese benötigt eine innere Disziplin der Wertschätzung allen Lebens und der Individuen.
Zur Kommunikation gehört auch das Hören, das Zu-Hören und Wahrnehmen der Worte anderer und der Bedeutung, die sie für mein Gegenüber und für mich haben. Eine achtsame Kommunikation bedeutet, dass sowohl das Sprechen wie auch das Zuhören von Wohlwollen motiviert sind. Dann wird die Sprache zu einem Heilmittel und kann sogar Versöhnung zwischen Menschen, Gruppen, ja sogar Völkern bewirken.
Die Handlung des Sprechens ganz bewusst zu gestalten, sie als eine tief wirkende Gestaltungskraft von Beziehungen zu begreifen, macht die Sprache zu einem Instrument der Wahrhaftigkeit.

Umgang mit Ärger

Besonders auffällig ist in Thich Nhat Hanhs Darlegung die Aufforderung, im Zustand des Ärgers nicht zu sprechen, sondern zu schweigen. Er empfiehlt im Falle eines aufsteigenden Ärgers zunächst nur den Atem zu betrachten, eine Geh-Meditation z.B. an der frischen Luft zu unternehmen und erst einmal in sich selbst hinein zu hören.
Ärger fühlt sich zwar so an, als käme er aus dem Bauch und wäre eine beinahe organische Reaktion auf die Worte und Handlungen anderer. Aber es stimmt auch, dass der Ärger die eigene Reaktion ist, ein Gefühl oder ein Gedanke, desjenigen, der sich ärgert.
Und „sich ärgern“, diese deutsche Ausdrucksweise, macht deutlich, dass diejenige, die den Ärger hat, selbst auch die Leidtragende ist. „Mensch! Ärgere dich nicht!“ Möglicherweise weiß man nicht genug über die andere Person, auf die man sauer ist, hat eine eingeschränkte Wahrnehmung oder zumindest keinen tieferen Einblick in die Bewegründe der anderen.
Es mag auch sein, dass wir nicht erkennen, warum der Ärger in uns ausgelöst wird und was unsere eigenen Anteile an der Situation sind. Jemand drückt unsere Knöpfe, sagen wir dazu. Und was ist das für ein Senkel, auf den ein anderer „uns“ sprichwörtlich geht? Eine andere Person wird auf den gleichen Umstand nicht mit Ärger reagieren. Das ist ein Zeichen dafür, dass nicht ein anderer die Hauptperson ist, wenn wir uns ärgern, sondern wir selbst sind es.
Es gibt buddhistische Texte, in denen gesagt wird, dass man niemals Fehler in anderen sehen soll. Demnach sei es objektiv gar nicht möglich, Fehler in anderen zu sehen, die man nicht auch selber habe. Denn wenn man sie nicht selber hätte, könne man sie auch gar nicht in anderen sehen. Das ist vielleicht ein etwas übertriebener Subjektivismus, aber es so zu sehen ist möglicherweise eine ganz gute Methode, sich in achtsamer Kommunikation zu schulen.
„Es ist dein Ärger“ heißt ein Buch der amerikanischen Buddhismus-Lehrerin Thubten Chödrön. Und Thich Nhat Hanh selbst veröffentlichte ein ganzes Buch mit dem Titel „Ärger“ und schon vor Jahren ein weiteres, das auf Deutsch unter dem Titel „Umarme deine Wut!“ erschienen ist.

Worte können über Krieg und Frieden entscheiden

Thich Nhat Hanh sagt an anderer Stelle: „Lieben heißt verstehen!“ Und so könnten wir uns in Bezug auf die Aussagen und Taten anderer Leute fragen: „Was hat sie oder ihn bloß dazu gebracht sich so auszudrücken, so zu fühlen und zu denken?“
Aus Ärger und Hass zu sprechen ist eine ernste Angelegenheit. Krieg und Frieden können von Worten abhängen. Viele Kriege beginnen mit einem verbalen Säbelrasseln, hieß es zuletzt öfters in den Medien, weil einige Mächtige der Welt offenbar ganz bewusst Öl ins Feuer gießen. Das ist sehr gefährlich, denn eine Eskalation der Worte ist schwer rückgängig zu machen, ohne dass man das Gesicht verliert. Um sich und andere zu beruhigen und auszusöhnen muss man etwas zurücknehmen, zugeben dass etwas Irrtümliches in unseren Gedanken und Gefühlen geschah und andere, neue Gedanken zulassen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Rede ist, ob sie der Wahrheit entspricht. Wir neigen dazu, Dinge zu behaupten, von denen wir nicht sicher sind, ob sie stimmen. Wir schnappen Informationen und Nachrichten auf und geben sie weiter, ohne sie nachprüfen zu können. Das ist gerade im Internetzeitalter sehr verbreitet, in dem das Potenzial sich sprachlich zu artikulieren, exponentiell vervielfältigt hat. Jeder kann über jeden unbegrenzt alles aussagen oder lesen.
Ich hörte einmal von einem buddhistischen Mönch, der gelobt hatte, die 256 Ordensregeln zu praktizieren und gefragt wurde, wie er es schaffe, diese zu einzuhalten. Er soll geantwortet haben, dass er eigentlich nur eine einzige Regel praktiziere: Er rede nie über jemanden, der nicht selbst anwesend ist. Er spreche immer nur zu denen, die gerade da sind. Damit würde sich der ganze Rest erledigen, auch alles was mit Zwietracht säen, Trennung und Streit bewirken usw. zu tun hat.
Bei der Ethik des heilsamen Sprechens geht es schließlich auch um die eigene Heilung, denn das, was wir mit Sprache ausdrücken, lagert sich tief in unserem Bewusstsein ab.
Sprache kann, wie in der Poesie, Literatur, Philosophie und in spirituellen Weisheitslehren, ein Ausdruck von geistiger Klarheit und der Leuchtkraft des Geistes sein, vor allem wenn sie frei von Täuschungen und List ist. Auch ein verbal artikuliertes Aufbegehren gegen ein Unrecht oder die sprachliche Kunst, in Konflikten zu verhandeln und einfühlsam miteinander zu sprechen, kann die Kraft der Sprache zum Ausdruck bringen.
Yesche Udo Regel
Lesen Sie auch folgende Beiträge des des Autors:
zur 1. Achtsamkeitsübung “Leben schützen”
zur 2. Achtsamkeitsübung “Großzügig sein”
zur 3. Achtsamkeitsübung: “Der achtsame Umgang mit Sexualität”

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Yesche U. Regel ist freiberuflicher buddhistischer Lehrer für Meditation und Studienthemen. Er war viele Jahre buddhistischer Mönch. Heute leitet er das Paramita-Projekt in Bonn. www.paramita-projekt.de

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