Mehr Akzeptanz für kulturelle Diversität

Foto: Leire Cavia I Unsplash
Foto: Leire Cavia I Unsplash

„Hybride Identität“ in einer multikulturelle Gesellschaft

In der globalen Gesellschaft gibt es immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund. Sie fühlen sich in zwei oder mehreren Kulturen gleichermaßen zuhause. Dies wird auch „hybride Identität“ genannt. Menschen, denen der Spagat gelingt, sind Vorbilder für Toleranz und Vielfalt. Wie kann man multikulturelle Identitäten und religiösen Pluralismus fördern, auch um Rassismus und Ausgrenzung entgegenzuwirken?

Text: Maria Köpf

Europa ist eine Einwanderergesellschaft. Immer mehr Europäerinnen und Euorpäer sind in mehreren Kulturen zuhause. Es sind Menschen mit Migrationshintergrund, also Familien, in denen zum Beispiel ein oder beide Elternteile aus Italien oder dem Iran, aus Syrien oder Spanien kommen.

Konkret zeigt sich eine „hybride Identität“ in kulturellen und religiösen Angelegenheiten beispielsweise, wenn eine Schülerin in Berlin daheim sowohl jüdische als auch christliche Feste feiert, am liebten Deutsch-Pop und Greek-Pop hört und mit den einen griechisch, mit den anderen deutsch spricht.

Es sind „zweiheimische Identitäten“, die Menschen fühlen sich in unterschiedlichen Kulturen zuhause. Ein Iraner in Köln mag daheim persisch sprechen, unter Freunden deutsch, sich mittags mal für Spargelcremesuppe und mal für persischen Bademjan entscheiden. Weder stört ihn der Muezzinruf aus der Moschee noch das Weihnachtslied auf dem Weihnachtsmarkt.

Lebenskünstler und Mittler zwischen zwei Kulturen

Diesen Menschen ist gemein, dass sie mehrere Lebensweisen in ihrem Alltag verkörpern – und dies gleichzeitig und nebeneinander; im besten Falle müssen sie sich innerlich nicht entscheiden, welchem Erfahrungs- und Bildungsschatz sie mehr Raum geben wollen.

Stattdessen sind sie einfach in einer Situation ein bisschen stärker ihrer deutschen Seite zugewandt, etwa der Wertschätzung für die Demokratie, in einem anderen Moment etwas mehr ihrer anderen, teilweise religiösen Prägung. Sie sind aber immer beides gleichzeitig.

Schaffen sie es besonders gut, bikulturell oder „hybrid“ zu sein, können sie zu Vermittlern zwischen Menschen werden und zu Toleranz und Offenheit beitragen. Wenn sie reflektiert sind, neigen sie dazu, Differenzen zu überbrücken und agieren als freiwillige Mediatoren bei aufkommenden Spannungen.

Immer mehr Menschen mit bikulturellen Fähigkeiten zu solchen „Mittlern“ auszubilden, wäre ein gutes Ziel in Deutschland, wo ca. ein Viertel der Menschen Migrationshintergrund haben.

Wann wird hybride Identität besonders spannend?

Bikulturelle Menschen sind in ihrer Jugend mehr als andere Teenager herausgefordert, verschiedene Dinge innerlich zu harmonisieren. Unterschiedliche Identitäten in sich zuzulassen, erfordert Neugierde, Mut und Offenheit gegenüber allem, was über die eigene Kultur, Religion und über die Mehrheitskultur der Umgebung hinaus geht.

Es geht also immer auch darum, etwas, das mehr Menschen leben, mit etwas, das weniger Menschen alltäglich finden, in Einklang zu bringen.

Diese Aufgabe müssen immer mehr Menschen täglich bewerkstelligen, etwa in wachsenden binationalen Ehen in Europa. Der Verband binationaler Ehen und Partnerschaften e.V. in Frankfurt stellte 2024 fest: „Jede 7. Eheschließung in Deutschland ist binational“; eine im Ausland geschlossene binationale Ehen zählt nicht hin.

Laut Destatis ergibt sich daraus ein erstaunlich multikulturelles Bild unserer Gesellschaft. Im Jahr 2023 heirateten 308.640 Paare einen nicht-deutschen Partner – und nur 52.339 ausschließlich deutsche Partner.

Bikulturelle Jugendliche stärken – heißt ihre Kultur zu normalisieren

Bikulturelle Jugendliche spüren einen stärkeren Druck, mit Gegensätzen gut umzugehen. Im Gegensatz zu gleichaltrigen Schulfreunden mit überwiegend deutschen Wurzeln kennen sie eben nicht nur Weihnachtslieder, Ostereier, den einen Kleidungsstil, die eine coole Musik und den einen Jugendslang. Sondern auch andere hippe Jugendformen aus anderen Kulturräumen.

Nehmen wir das Beispiel Religion, die je nach kulturellem Einfluss auch die Identität der Jugendlichen beeinflusst. Die Entweder-oder Option ist für viele Jugendliche in Deutschland nicht mehr stimmig, also dass sie sich zwischen der christlichen oder atheistischen Ausrichtung oder aber der muslimischen, jüdischen oder buddhistischen Religion entscheiden sollen.

Hinzu kommt: Eine wachsende Zahl deutscher Bürgerinnen und Bürger betrachtet Religionen allgemein als eher rückständig und konservativ.

Diese Haltung wird den positiven kulturellen Einflüssen durch unterschiedliche Religionen in einer multikulturellen Gesellschaft eigentlich nicht gerecht. Das sieht auch die Politologin und ehemalige Leiterin der Bildungsstätte Anne Frank, Saba Nur-Cheema, so.

„Religionen sind auch ein Identitätsangebot und ein Anker“, findet sie. Und ergänzt darauf aufbauend in einem Video der Bundeszentrale für Politische Bildung: „Viele Menschen finden darin Ruhe, Frieden oder Freunde“, so die Expertin für Identitätsarbeit mit Jugendlichen.

Doch auch hier gäbe es Grenzgänger: „Für andere Jugendliche ist es aber wiederum eine Abgrenzung zu sagen, ich möchte ganz dezidiert nicht religiös sein, auch wenn alle in meiner Peer-Group es sind.“

Mehr Akzeptanz für Diversität

Dennoch – ein Identitätsangebot, das nicht unbedingt das staatliche Gesellschaftskonzept gefährden muss, könnte es sein, muslimischen, buddhistischen und jüdischen Religionsunterricht an Schulen auszubauen. Das fördere mehr Akzeptanz an Schulen für Diversität. Sowohl seitens der deutsch-deutschen Jugendlichen als auch zwischen den Religionen.

Saba Nur-Cheema zeigt sich überzeugt: „Für ein säkulares Bildungskonzept ist die Auseinandersetzung mit dem Thema Religion von Bedeutung.“ Das bedeute, dass man nicht gleich in Panik verfallen müsse, wenn ein Teenager sich beginne, für eine Religion wie den Islam zu begeistern – auch wenn sich in wenigen Fällen auch religiöse Fanatiker zum Islam bekennen.

Aber auch die christliche Religion ist in Deutschland spätestens mit der Aufklärung, allerspätestens mit den Missbrauchsfällen vielerorts in Verruf gekommen. Erst recht herrscht in Deutschland keine gänzliche Unbefangenheit mehr bezüglich des Islam – mit dem Einzug radikalen, gewaltbereiten Fundamentalismus – einer prozentual sehr seltenen Form des Islams – nach dem 11. September 2001.

Doch Saba Nur-Cheema, die als Tochter pakistanischer Eltern in Deutschland aufwuchs und sich gemeinsam mit ihrem jüdischen Mann gegen Islamfeindlichkeit und Antisemitismus in Deutschland einsetzt, findet: „Ohne damit fundamentalistische Positionen zu fördern, kann ein Jugendlicher problemlos auch in seiner religiösen Identitätsbildung gestärkt werden.“

Wichtig ist in Deutschland nur zu betonen, dass es christlich geprägte Grundwerte gibt, die das Gebilde kulturell zusammenhalten. Doch sie sind ebenso durchfärbt von humanistischen Gedanken, anderen Weltreligionen und fernöstlich geprägten Denkformen. Nach der Aufklärung kamen die Industrialisierung, Demokratisierung, Globalisierung – schließlich der Ruf nach mehr Säkularisierung, Pluralismus und postmigrantischen Denkformen.

Noch ist offen wohin sich Europa verstärkt bewegt. Hoffen wir, dass sich das Verbindende immer durchsetzt.

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Foto: privat
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Maria Köpf

arbeitet in der Redaktion von Ethik heute. Zuvor studierte sie Germanistik und Judaistik. Heute ist sie Wissenschaftsjournalistin, Webredakteurin und freie Journalistin u.a. für Spektrum Gehirn & Geist und Spiegel Online. www.mariakoepf.com

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