Das neue Migrationsmuseum Fenix in Rotterdam
Migration ist ein Menschheitsthema. In Rotterdam hat 2025 ein Migrationsmuseum eröffnet. Gemälde, Installationen und Plastiken aus der ganzen Welt zeigen: Menschliches Leben ist Bewegung, Migration kann jeden betreffen.
Text: Antje Boijens
Einen sicheren Zufluchtsort, gar ein heiliges Recht noch wie in der Antike auf Orte, wo sich Flüchtende unbehelligt aufhalten durften, so etwas gibt es heute nicht mehr. Wer durch Fenix, das neue Migrationsmuseum in Rotterdam, geht, sieht, wie ambivalent Flucht ist. Menschen brechen auf und wissen nicht, was auf sie zukommt. Ein echtes Fluchtboot bezeugt diese Erfahrung.
Heute ist die Zahl derer, die auf der Flucht sind, so hoch wie nie: 122 Millionen, laut einem UN-Bericht von 2025. In diesem Rekordjahr der Migration hat im Mai in Rotterdam Fenix geöffnet, das erste Migrationsmuseum.
Der Ort könnte nicht besser gewählt sein: eine riesige umgebaute Lagerhalle vom Beginn des 20. Jahrhunderts, nach dem Krieg renoviert, die schon immer Ankunfts- und Abreiseplatz für Migranten und Umschlagplatz für Güter aus aller Herren Länder war.
Die exponierte Lage Rotterdams machte sie in Europa zum Symbol für den Aufbruch in die Neue Welt. Daraus haben die Rotterdamer etwas gemacht. Das Hotel New York, der Prunkbau auf der anderen Seite des Quais, an dem Fenix liegt, war früher das Verwaltungsgebäude der Holland-Amerika-Lijn, die auch Thomas Mann für seine Emigration in die Vereinigten Staaten nutzte.
Und nun der Umbau der Welt einstmals größten Lagerhalle durch den chinesischen Architekten Ma Yasong von Mad Architects zu Fenix.
Gigantische Wendeltreppe als Symbol der Ungewissheit
Frei von Innenwänden hat Ma Yasong die einfache Stahlkonstruktion des Gebäudes aus den 1920er Jahren sichtbar gemacht. Die hohen Stahlbetonträger sorgen für lichte, weite Räume, auch durch große Wandöffnungen, durch die wir einen Blick auf die jeweils andere Seite des Quais werfen können.

Der Clou ist das Zentrum der Hallen, der „Tornado“, eine doppelte Wendeltreppe, innen mit Holz und außen mit 297 Edelstahlpanelen verkleidet (2000 Quadratmeter Stahl poliert). Sie windet sich 550 Meter lang und 30 Meter hoch vom Erdgeschoss bis nach oben, um schließlich im 3. Stock auf einer Aussichtsplattform mit Blick über Rotterdam, Teile des Hafens und seine grüne Umgebung abzuschließen.
Die Eröffnungsausstellung „Alle Richtungen“ mit über 150 Exponaten, von Steve McQueen bis zu Rineke Dijkstra macht uns zu Zeugen des alltäglichen Geschehens in der Migration. Überall werden wir mit den Härten und mit dem Alltag von Migration und Ausgrenzung konfrontiert. Dafür hat der weitläufige Gebäudekomplex 16.000 Quadratmeter zur Verfügung.
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Rotterdam ist Migration
Das Gemälde “The Boat“ zeigt die verkehrte Welt: Trump, Merkel und Macron sitzen mit anderen in der Nussschale zusammen, dem typischen hölzernen Fluchtboot.
Ab dem 20. Jahrhundert war Rotterdam für viele Europäer auch das Tor nach Amerika auf der Flucht vor den Nazis oder um die Versprechen der neuen Welt zu erfahren. Zu den von hier Ausgewanderten zählen Thomas Mann und Albert Einstein, Max Beckmann und der Rotterdamer Maler Willem de Koonig. Nach seiner Emigration begründete er in New York dort das Genre der expressiven abstrakten Malerei im Weltmaßstab.
Sein Signature-Bild Man in Wainscott von 1969 darf natürlich nicht fehlen. Wie bei den meisten anderen Exponaten, die in den weiten Hallen frei im Raum stehen machen, lädt auch dieses Werk zum gemeinsamen Betrachten ein. Man spürt: Rotterdam ist Migration. Hier kreuzen sich schon lange die Wege von Migrant*innen aus aller Welt und prägen das Stadtbild bis heute.

In diesem Fluss lässt sich entdecken und erinnern, dass Migration schon immer existierte. Menschen müssen manchmal einfach gehen, wenn ihre Leben durch Umweltkatastrophen, wirtschaftlichen Zusammenbruch, Krieg und politische Unterdrückung bedroht sind.
Wen das schon alles betraf, ist Teil der Entdeckungsreise im Fenix. Erasmus Roterodamus jedenfalls, der weise Rotterdamer, hier auch auf einem Gemälde zu sehen, sprach 1467 die Worte: „Die ganze Welt ist mein Vaterland.“ Die Niederländer haben das sehr bald sehr ernst genommen, Kolonien erobert und selbstverständlich ausgeplündert, was wieder Migration nach sich zog.
Ein Raum mit 2000 Koffern
Für die heutige Zeit bezeugt ein 1923 ausgestellter Weltpass, dass man durchaus schon versucht hat, das Migrieren leichter zu machen. Das gelang allerdings nicht, weil nur vier Länder den Pass bis heute anerkennen.
Beeindrucken können auch andere Kunstwerke. So hat die holländische Künstlerin Esther Kokmeijer den Vertrag Agreement with Nature – Convention on the High Sea der Vereinten Nationen auf 222 hauchdünne Scheiben aus Porzellan gedruckt. Sie schafft damit ein Gefühl für die Zerbrechlichkeit unseres gemeinsamen Naturbesitzes.
Ein Video von Adrian Paci zeigt, wie aussichtslos die Situation von Migranten ist: Menschen mit vorrangig dunklen Hautfarben gehen eine Gangway hoch. Und dann bleiben sie einfach stehen, denn die Gangway führt ins Leere. Das Ganze dauert wenige Minuten. Dann sind nur noch einzelne Gesichter zu sehen.

Trotzdem ist Fenix kein Ort der Trauer. Die visuelle Wucht der Foto-Sonderausstellung Family of Migrants mit Fotos von Dorothea Lange bis Steve McCurry lässt einen nach Luft schnappen, genauso prägt sich der Raum mit über 2000 Koffern ein.
Podcasts, in denen Flüchtende ihre Geschichte erzählen, begleiten uns dabei. Und als ich die kleine Prinzessin mit Glitzerkleidchen und Regenbogen-Sneakers in dem aus alten Gittern konstruierten „Gefängnis“ entdeckte, musste ich lachen. Aber ja, auch Prinzessinnen landen auf der Flucht manchmal im Knast.
Entscheidend ist, wie es weiter geht. Auch das habe ich hier gelernt. Wir werden wohl zu einer Art Nomadenleben zurückkehren. Im Fenix mit seinen Geschichten von Liebe, Verlust, der Suche nach Heimat und mit dem unermüdlichen Streben der Menschen nach Glück, können wir schon mal vorfühlen, wie es sein wird.

Antje Boijens hat Russisch, Politikwissenschaften und Freie Kunst studiert und war seit 1996 selbständig tätig als Management-Trainerin, Beraterin und Coach. Sie ist Langzeitmeditierende und besonders der Tradition des Mountains and Rivers Order (John Daido Loori) verbunden. Für Ethik heute hat sie Seminare zu Dialog und Weisheit durchgeführt; jetzt, im (Un-)Ruhestand, verbringt sie ihre Zeit v.a. mit ehrenamtlicher Arbeit, Lesen und Schreiben. Buchveröffentlichung: Requisiten für die Trauer, 2021, Dielmann Verlag
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