Eindrücke aus Hamburg
Es gibt hartnäckige Vorurteile gegenüber Muslimen, doch selten kommt man miteinander in Kontakt. Reiner Scholz hat sich in einem Viertel in Hamburg umgesehen und mit Muslimen gesprochen, die ein normales Leben führen wollen, aber wenig Anerkennung der Mehrheitsgesellschaft erfahren. Viele sind besorgt sind über den Islamismus.
Ich wohne in Hamburg einem Viertel, in dem es viele türkische Geschäfte gibt: Gemüseläden, Imbisse, auch Barbiere. „Mein“ Friseur grüßt mich beim Eintreten stets mit: „Monsieur“. Es geht konzentriert zur Sache. Am Ende des Schneidens setzt er, wenn ich das möchte, das Feuerzeug an und brennt die Haare aus meinen Ohren. So macht man das hier.
Er ist Muslim. Doch ob er in die Moschee geht? Fachleute schätzen, dass etwa 15 bis 20 Prozent der Muslime regelmäßig eine Moschee besuchen, fast ausschließlich Männer. Frauen dürfen oder sollen Zuhause beten.
Ungebildet waren sie nicht, die Menschen, die vor 40, 50 Jahren aus der Türkei kamen; in der Regel hatten sie eine einfache Schulbildung. Übrigens kamen viele junge Frauen allein, ohne ihre Männer oder ledig.
Moscheen entstanden erst später, überwiegend aus dem türkischen Islam, der nicht zur strengsten Rechtssschule gehört. Hamburg hat mittlerweile etwa 50 „Moscheen“, doch höchstens vier sind von außen als solche zu erkennen, andere sind umgenutzte Ladenräume, Hinterhöfe, Garagen, große Etagen in Wohnhäusern.
Hamburgs prächtigste Moschee, das schiitische Islamische Zentrum Hamburg (IZH) an der Außenalster, ist ein Sonderfall. Die Imam-Ali-Moschee wurde in den 1960iger Jahren von iranischen Kaufleuten finanziert und ist derzeit – sie gilt als verlängerter Arm des Iran – wegen einer Verbotsverfügung geschlossen.
Die meisten anderen Moscheen, türkische, arabische, afrikanische sind sunnitisch, wobei die Unterschiede gering sind. Gepredigt – oder zumindest übersetzt – wird fast überall auf Deutsch. Anders ist die jüngere Generation nicht zu erreichen.
Hamburgs derzeit wichtigste Moschee ist die sunnitische Centrum-Moschee am Hauptbahnhof, eine umgebaute Badeanstalt. Sie gehört zur Vereinigung „Milli Görüs“, der zweitgrößten in Deutschland.
Auch im Quartier drumherum ist vieles auf die Gläubigen ausgerichtet: muslimische Supermärkte, Baklava-Geschäfte, muslimische Beerdigungsunternehmen.
In den Restaurants essen zur Mittagszeit übrigens keineswegs nur Muslime. Es geht schnell, ist günstig und schmeckt. Wir treffen Fatih Yildiz in seinem Büro. Am Kleiderständer hängt eine HSV-Fahne. Er ist Vorsitzender der Schura, ein Zusammenschluss der meisten Moscheen in Hamburg.
Mit der Schura und anderen Verbänden, darunter der Ditib, hat die Stadt Hamburg vor über zehn Jahren einen Staatsvertrag geschlossen. Da geht es um Feiertage, um Bildung, um Sichtbarkeit. Das ist deutschlandweit etwas Besonderes, sonst nur noch in Bremen zu finden.
Yildiz lobt: „Dadurch haben wir eine gewisse Anerkennung erfahren“. Man kenne sich in der Stadt. Selbst den sehr schwierigen Konflikt um das „iranische“ IZH, das lange Mitglied in der Schura war, habe man durchgestanden.
Muslime werden kaum als normale Bürger wahrgenommen
Fatih Yildiz ist Deutscher, er hat nie in der Türkei gelebt. Die Fragen, die an ihn gestellt werden, sind fast immer die gleichen. Etwa: Wie haltet ihr es mit den Extremisten? „Es gibt Organisationen wie die HizButTarir, die auch uns Sorgen bereiten. Sie versuchen, die Arbeit der großen Verbände zu delegitimieren und die Jugendlichen für ihre Ziele, etwa das Kalifat, anzuwerben“. Die Radikalisierung finde vor allem im Netz statt. Zielgruppen seien dabei nicht etwa nur muslimische Jugendliche.
Und wie steht es mit dem Antisemitismus? „Wir haben in unserer Stadt, auch wenn die Situation sich zuspitzt, ein vertrauensvolles Verhältnis untereinander. Am 7. Oktober 2023 haben wir sofort unsere Solidarität mit der jüdischen Gemeinde bekundet. Man kenne sich aus dem interreligiösen Dialog“.
Hat er das Gefühl, dass die Muslime in der Stadt angekommen sind? „Nicht unbedingt“, so seine Antwort. Muslime würden eben in den großen Medien fast nur im Konfliktfall für Gespräche angefragt und ansonsten als „normale Menschen“ kaum vorkommen.
„Wann saß schon mal jemand von uns auf dem „Roten Sofa“, einer beliebten Fernsehsendung im NDR?“ Oder: „Haben wir, obwohl das eigentlich verpflichtend wäre, einen Sitz im Rundfunkrat? Nein.“ Oder: „Wurde unser Einsatz in der Impfkampagne gewürdigt? Nein“.
Aber der Schura-Vorsitzende kritisiert auch seine eigenen Leute: „Ich finde einfach, wir sollten uns mehr einbringen, in Stadteilbeiräte, in die Politik, sollten der Gesellschaft mehr geben“. Denn man brauche sich nicht zu verstecken:
„Wir waren zum Beispiel an vorderster Front dabei, als die vielen Flüchtlinge kamen, überwiegend Muslime“. Allerdings, und das mache die Sache schwierig, fehle es an gut ausgebildeten Leuten, die auch Zeit haben. Es sei eben alles Ehrenamt und „eigentlich sind wir ständig überfordert“.
Manche Moscheen werden von Herkunftsländern unterstützt
Fatih Yildiz ist einer von geschätzt fünf Millionen Muslimen in Deutschland. Keiner kennt die genaue Zahl. „Kirchensteuern“ gibt es nicht. Die Moscheevereine leben überwiegend von den Spenden, die am Ende des Freitagsgottesdienest in Pappkisten gesammelt werden. Oder von der Erlösen der moschee-eigenen Geschäfte – Fleischerei, Gemüse, Friseur, Buchläden, Klamotten.
Manchmal werden sie von den Herkunftsländern unterstützt. Ein solcher Fall ist die Ditib-Moscheen. Diese unterstehen dem Religionsministerium in Ankara, werden „überwacht“ von deren hiesigen Religionsattaches und bekommen ihre Imame aus der Türkei.
Als islamistisch im Sinne von gewaltbereit und radikal würden Muslime sie nicht bezeichnen. Es gibt aber die Angst, dass in diesen Moscheen gegen westliche Werte agitiert würde. Die Politik arbeitet derzeit daran, den Einfluss aus Ankara zurück zu drängen. Künftig sollen deshalb jährlich 100 der 1.000 Imame, die in deren Moscheen benötigt werden, in Deutschland ausgebildet werden. Ein Anfang. Ungelöst bleibt die Frage, wie die ärmeren Moscheen unabhängige Imame auskömmlich bezahlen sollen.
Muslima fürchten, bald nicht in Deutschland mehr erwünscht zu sein
Muslime werden von der Mehrheitsgesellschaft oft als homogene Gruppe wahrgenommen. Eine, die sich nach außen abschottet und in der bestimmte Rechte, wie etwa die von Frauen, nicht gelten. Doch Frauen werden in den Religionsgemeinschaften immer wichtiger. Mitte Januar 2024 präsentierten im „Haus an der Alster“ junge selbstbewusste Muslimas die Ergebnisse einer „Denkwerkstatt“, die sie organisiert hatten.
Sie sammelten Ideen, um das in ihren Augen verknöcherte Moscheeleben aufzubrechen. Gekommen ist auch Özlem Nas, die stellvertrende Vorsitzende der Schura. Die Liste der von den Frauen vorgebrachten Kritik ist lang: Es gäbe in den Moscheen „keine Willkommenskultur“ heißt es. Und: Der Frauenbereich würde oft „stiefmütterlich behandelt“.
Eine junge Generation von Frauen, gut gebildet, fordert hier Mitsprache. Sie kennen aber auch Ausgrenzungserfahrungen seitens der westlichen Gesellschaft: „Wenn jemand von uns sich in der christlichen Kirche engagiert, gibt es Pluspunkte. Wenn wir sagen, wir sind in der Moschee aktiv, müssen wir mit Nachteilen rechnen“.
uf die Frage, wie sie die politische Entwicklung wahrnehme, sagt eine Frau in Hinblick auf die Wahlerfolge der AfD in die Runde: : „Vielleicht sind wir hier bald nicht mehr erwünscht“ Die anderen widersprechen nicht.
Zurück in meiner Gegend besuche ich noch schnell den türkischen Gemüsemann. Orangen, Paprika, Melonen werden in großer Fülle vor dem Geschäft präsentiert. Gleich, wenn sich der Tag neigt, wird alles fein säuberlich wieder eingeräumt. Unterdessen haben sich auf den Bänken unter den Platanen ältere Männer und Frauen niedergelassen. Gastarbeiter der ersten Generation, muslimisch.
Reiner Scholz war Rundfunkjournalist in Hamburg. Er ist unter anderem auch aktiv bei Umdenken, der Heinrich-Böll-Stiftung in Hamburg.