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Sanfter Aktivismus – gegen den Hass

Foto: Andreas Poschmann
Foto: Andreas Poschmann

Ali Can im Portrait

Ali Can hat kurdisch-alevetische Wurzeln und will Diskriminierung und Rassismus nicht hinnehmen. Er sucht das Gespräch mit Menschen, die Vorurteile haben und setzt sich mit vielen Aktionen für seine Ziele ein, z.B. mit der „Hotline für besorgte Bürger“. Ein Portrait von Kirsten Baumbusch.

Die Zahl der Zuschreibungen für den gerade einmal 30 Jahre alten Ali Can ist schier unüberschaubar: „Mustermigrant”, Anti-Diskriminierungsaktivist, Autor, Leiter eines Vielfaltszentrums, Sprachrohr für Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund.

Bekannt wurde der älteste Sohn einer türkisch-kurdischen Familie als Initiator der „Hotline für besorgte Bürger“ und des viralen Hashtags #MeTwo. Zuvor hatte er sich zwei Jahre lang als „Asylbewerber ihres Vertrauens“ mit einem Osterhasen in der Hand unter Pegida-Demonstrationen gemengt, und dort das Gespräch mit Andersdenkenden gesucht – immer wertschätzend und damit oft Veränderung bewirkend. Außerdem gründete er in Essen das VielRespektZentrum – ein Ort, an dem eine offene Gesellschaft im Kleinen gelebt werden kann.

Die Initiativen von Ali Can sind mehr als Kampagnen; sie sind stets Startpunkt für tiefgreifende Begegnungen und nachhaltigen Wandel. Aus heutiger Sicht mutet manches, wie sein TedTalk „Rassismus mit Liebe begegnen“ aus dem Jahr 2017 auf eine anrührende Weise naiv an.

„Ich habe heute Respekt vor meinem jüngeren Ich“, sagt er selbst im Gespräch. Die Unbekümmertheit ist mittlerweile einer gewissen Nüchternheit gewichen, und nicht selten hat seine Familie Angst um ihn.

Morddrohungen und der rassistisch motivierte Amoklauf im hessischen Hanau im Februar 2020, der zehn Menschen aus dem Leben riss, haben Ali Cans Urvertrauen in die deutsche Demokratie erschüttert. „In Hanau, das hätte ich sein können oder mein Cousin“, sagt er noch immer hörbar betroffen und kann nicht verstehen, dass die staatlichen Organisationen bis heute viele der Hinterbliebenen im Stich lassen.

Dem Fremden ein Gesicht geben

Trotzdem setzt er all dem Spaltenden, all dem Hass, all dem Rassismus nicht Aggression, sondern ein großes Dennoch entgegen. Vermutlich kann er nicht anders. Ali Can ist empathisch und respektvoll. So haben ihn seine Eltern erzogen, das liegt in seiner Natur.

Ali Can sucht das Gespräch mit Andersdenkenden. Foto: Konrad-Adenauer-Stiftung

Er sieht sein Gegenüber mit all den Sorgen, Nöten und Ängsten – und nimmt diese ernst. Und er fragt gezielt nach, versucht zu erspüren, was dieser Mensch wirklich braucht, worum es ihm geht. Und das, worum es ihm geht, ist oft deutlich weniger vorurteilsbeladen und verächtlich, als es zunächst erschien.

Dieses Interesse am Anderen bricht Gemeinplätze auf und ermöglicht den echten Dialog. Ali Can gibt dem Fremden ein Gesicht, setzt sich den Vorurteilen bewusst aus. „Was müsste ich tun, um bleiben zu dürfen?“, fragt er einen Demonstrierenden, der gerade noch lautstark „Deutschland den Deutschen“ skandiert hat und dann ins Nachdenken kommt.

Cans Methode ist die des so genannten Sokratischen Dialogs, das heißt, durch gezielte Fragen das Gegenüber selbst erkennen zu lassen, dass es entgegen der eigenen Annahme möglicherweise einer Fehleinschätzung unterliegt.

Menschen unterstützen, die keine Stimme haben

Was gibt Ali Can Hoffnung? Sie speist sich bei ihm vor allem daraus, dass die meisten Menschen seiner Erfahrung nach in einer Welt leben möchten, die für Offenheit und Vielfalt steht. „Aber“, so sagt er, „die Mehrheit weiß manchmal nicht, dass sie Mehrheit ist“.

Teilhabe, Zusammenhalt, Mitmenschlichkeit – das möchte er denen entgegensetzen, die von einer Spaltung der Gesellschaft und polarisierendem Hass profitieren. Hierfür setzt sich der Sozialaktivist für neue Formen politischer Bildung ein und erfindet stets neue Projekte.

Als Asylbewerberkind, das mit seiner Familie selbst erlebt hat, was Angst vor Abschiebung bedeutet, es dann aber geschafft hat, das Abitur zu machen und zu studieren, ist er die Brücke zwischen den Welten, die wir heute brauchen.

„Ich beobachte und höre zu, um die Probleme der Menschen zu verstehen“, beschreibt er sein Tun. Was gibt ihm Kraft? Da fällt ihm seine Begeisterungsfähigkeit ein, aber auch die Möglichkeit, Menschen zu unterstützen, die keine Stimme haben, und denen Kraft und Zuversicht zu schenken, deren Leben aus Angst besteht.

Ali Can ist ein Weltverbesserer und Mutmacher im besten Sinne des Wortes. Er tut das, weil er gar nicht anders kann. Weil es sein Ruf ist. Nichts davon ist naiv, sondern zutiefst menschlich und sehr, sehr lebendig – ein sanfter Aktivist im Zeichen der Mitmenschlichkeit.

Ali Can ist Sozialaktivist, Autor und Diversity-Trainer. Als Initiator der „Hotline für besorgte Bürger“ sowie des Hashtags #MeTwo ist er national wie international bekannt geworden. Seit 2019 leitet er in Essen das VielRespektZentrum. Seit Januar 2022 betreibt er das Diversity Lab, ein Schulungszentrum für Diversity und Antirassismus. Für sein Engagement wurde Can unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete. Seine Website

Mehr von ihm:

  • Hotline für besorgte Bürger: Antworten vom Asylbewerber Ihres Vertrauens, Bastei Lübbe, Köln 2017
  • Mehr als eine Heimat: Wie ich Deutschsein neu definiere, Duden Bibliographisches Institut, Berlin 2019
  • TED-Talk von Ali Can 
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