Ein Standpunkt von Thomas Hohn
Schulen sollen demokratische Teilhabe fördern, doch wie kann das gehen angesichts der Krise der Demokratie? Für Bildungsexperte Thomas Hohn sind Schulen Orte, an denen Polarisierung überwunden und Austausch ermöglicht werden kann.
Die Demokratie ist im Krisenmodus. Die politische Landschaft hat sich verändert. Weltweit nimmt die Zahl der Länder zu, die autokratischer werden. Zugleich gerät die Zivilgesellschaft, eine Säule der Demokratie, zunehmend unter Druck – nicht nur global, auch in Deutschland.
Die Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit mehr und so mancher Diskurs wirkt vergiftet. Gleichwohl müssen wir gerade da, wo die freiheitliche Ordnung in Frage gestellt wird, mehr Demokratie wagen.
Diese Entwicklung stellt Schulen und Lehrkräfte vor enorme Herausforderungen: Wie kann mit den zunehmenden Unsicherheiten umgegangen werden? Wie politisch darf und müssen Schulen sein? Wie begegnen sie menschenfeindlichen Positionen? Wie kann eine Schule dabei ein Ort der Zuversicht sein?
Schule soll demokratische Teilhabe fördern
In der Umfrage “Jugend, Schule und Demokratie” wurden junge Menschen gefragt, wie sie die aktuelle Situation einschätzen und wie ihr Vertrauen in Demokratie, Bildung und Institutionen ist.
Nur 17 Prozent der Schüler*innen fühlen sich durch die Schule auf die Herausforderungen gut vorbereitet. 88 Prozent haben zwar Demokratie im Unterricht behandelt, doch die Ergebnisse zeigen deutlich: nur über Demokratie reden ist keine Lösung und stiftet keine Zuversicht.
Demokratie braucht Bildung, Bildung braucht Demokratie. Dafür ist entscheidend, dass junge Menschen erleben: „Ich kann etwas bewegen.“ Eine aktuelle Empfehlung der Kultusministerkonferenz fordert – auf einem Beschluss der Vereinten Nationen aufbauend:
„Schulen sollen die Möglichkeiten der Partizipation und Freiräume für eigenverantwortliche Gestaltung einräumen und demokratische Teilhabe fördern.“ Der Bildungsauftrag ist für unsere Schulen gesetzlich glasklar geregelt: es gibt ein Demokratiegebot.
Um Lehrkräften eine noch größere Sicherheit in ihrem Eintreten für eine demokratische Haltung zu geben, haben die Teachers for Future eine Initiative gestartet, die zeigt, wie es gehen kann.
Sie machen in dem Kurzfilm „Diensteid verpflichtet! Aufstehen für die Demokratie“ Lehrkräften Mut, ihre Stimme zu erheben. Sie unterstreichen die Notwendigkeit, Haltung zu zeigen – nicht trotz, sondern wegen des Lehramts.
Lehrkräfte sind der Demokratie verpflichtet
Dass es überhaupt zu Verunsicherung kommt, ist auch eine Folge gezielter Einschüchterungsversuche – etwa durch sogenannte ‚Meldeportale‘, die von Akteuren mit rechtsextremen Positionen betrieben werden. Das sind Websites, mit denen politische Bildungsinhalte zurückgedrängt und auf denen Lehrkräfte denunziert werden sollen.
Dahinter steht das Kalkül, Druck auszuüben und Angst zu verbreiten. Hier wird aktiv der Versuch unternommen, geltendes Recht in Frage zu stellen.
Lehrkräfte stehen laut Beamtenstatusgesetz (§33) und ihrem Diensteid in der Pflicht, sich im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu verhalten. Das bedeutet, klar Stellung zu beziehen, wenn Grundrechte, Menschenwürde oder demokratische Prinzipien in Frage gestellt werden.
Wer in der Schule menschenverachtende oder rassistische Aussagen unwidersprochen stehen lässt, kommt seinem Bildungsauftrag nicht nach.
Demokratie heißt, Verantwortung zu übernehmen
Demokratie fällt nicht vom Himmel, sie will gelernt und gelebt werden. Sie lebt von unserer Mitgestaltung, Einmischung und Haltung. Die Publizistin Marina Weisband findet in einem Podcast der spendenfinanzierten Stiftung Bildung klare Worte: Der Kern von Demokratie sei, dass wir Aktive des politischen Geschehens sind. Wir sind keine Opfer. Alle haben ihren Teil der Verantwortung.
Bei allen Herausforderungen, mit denen wir täglich hadern, so ist es uns doch gelungen, eine Gesellschaft aufzubauen, die gemeinsame Werte verbindet. Diese sind in unserer Verfassung verankert und Basis für das gesellschaftliche Miteinander.
Um das zu bewahren, reicht es nicht, auf Einzelpersonen zu hoffen. Schulen benötigen Rückendeckung durch die Bildungsministerien, die klare Kante zeigen. Sie brauchen Fortbildungen, um mit den Herausforderungen im Klassenraum einen Umgang finden zu können.
Demokratieförderungen sollten nicht nur Teil eines Projekttags, sondern strukturell im Schulalltag verankert sein. Ganz gleich, ob sich die Kinder und Jugendlichen für eine klimaneutralere Schule, für Menschenrechte oder für Streitschlichtung auf dem Schulhof einsetzen wollen. Es geht um ein demokratisches Handeln aller in der Schule Beteiligten auf Augenhöhe.
Der Koalitionsvertrag der schwarz-roten Regierung schreibt zu Recht für Bildung „Demokratie“ ins Aufgabenheft. Auf Bundesebene setzen sich Vertretungen aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften und Jugend für eine Handlungsempfehlung ein, wie Bildung, insbesondere Bildung für nachhaltige Entwicklung (kurz BNE), zu einem stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt verhelfen kann. Das sind wichtige Signale für eine Rahmensetzung.
Unsere Werte sind eine tragfähige Brücke
In einer zunehmend polarisierten Gesellschaft braucht es Räume des Austauschs – über Werte, Perspektiven und Lebensrealitäten. Zuhören, orientieren, begleiten – aber auch klar Grenzen setzen, das sind Kernkompetenzen von Lehrkräften.
Pädagogische Fachkräfte sind bestens geschult darin, Gehörtes einzuordnen. Sie können Argumentationsmuster – wie Verschwörungstheorien oder unzusammenhängend aneinander gereihte Behauptungen – aufdecken und mit der Klasse faktenbasiert bewerten.
Dabei über Werte zu sprechen, heißt nicht, sie zur Debatte zu stellen, sondern sie begreifbar zu machen: Was bedeutet Gerechtigkeit? Was ist Freiheit? Wo beginnt Diskriminierung?
Gemeinsame Grundwerte und Ziele bilden das Fundament der Demokratie. Menschenrechte und unsere Verfassung sind für diesen Diskurs die Basis. Dabei können Werte eine Brücke bauen, wenn über Inhalte scheinbar kein Miteinander mehr gefunden werden kann.
Denn meist liegen wir nicht so weit auseinander, wie populistische Debatten dies darstellen möchten. Und am Ende sind Werte der Kompass für unser Handeln. Sie sind es, die unsere Zukunft prägen.
In der Schule sind Lehrkräfte daher Brücken – zwischen unterschiedlichen Sichtweisen, zwischen Unsicherheit und Orientierung, zwischen jugendlichen Suchbewegungen und demokratischer Stabilität.
Schulen können Orte gelebter Demokratie sein – wenn sie selbstwirksame Beteiligung ermöglichen, Haltung vermitteln und ihre pädagogischen Fachkräfte als brückenbauende Menschen stärken.
Denn Demokratie fällt nicht vom Himmel – sie wird gelernt und gestaltet. Tag für Tag. Auch – und besonders – in unseren Schulen.