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SUNDAY ASSEMBLY

Foto: Sundayassembly.com
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Das Beste aus der Kirche, aber ohne Gott!

Die internationale „Sunday Assembly“ bringt Menschen bei nicht-religiösen Events zusammen: Sie wollen gemeinsam singen, philosophieren und “das Leben feiern”. Erste Versuche gibt es jetzt auch in Deutschland.

„Born to be wiiild!“ schallt es im Chor aus dem Humanist Lab im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Überraschte Passanten werfen einen Blick in das Schaufenster des Ladenbüros. 25 Teilnehmer singen dort bei einer gottesdienstähnlichen Veranstaltung für Atheisten. Die ungewöhnliche Versammlung ist ein Ableger der Anfang 2013 in England gegründeten Sunday Assembly, die unter dem Motto „Live better, help often, wonder more“ auch Menschen ohne Religion spirituelle Erfahrungen in einer Gemeinschaft ermöglichen möchte.

So andächtig wie in einer Kirche soll es dabei allerdings nicht zugehen: Die Assembly will vielmehr „das Leben feiern“. Ihr Konzept mit einem Mix aus Popsongs, interaktiven Spielen, Lesungen und Vorträgen zu philosophischen, wissenschaftlichen und persönlichen Fragen kommt offenbar gut an: Mittlerweile gibt es die Sonntagsversammlungen weltweit in 100 Städten.

Wunsch nach Gemeinschaft und geteilten Werten

Foto: Humanistlab.com

Vanessa und Rainer (Foto: Humanistlab.com)

Initiatoren der Hamburger Sunday Assembly, die heute zum dritten Mal stattfindet, sind Vanessa Boysen (39, Organisationsentwicklerin) und Rainer Sax (40, User Experience Designer). Beide haben geisteswissenschaftliche Studiengänge absolviert und führen in ihren Workshops Menschen ohne philosophischen Hintergrund an die Themen Humanismus und Aufklärung heran. Rainer sagt: „Das Humanist Lab ist ein Begegnungsort für alle, die ein Interesse daran haben, unserem Motto ‚Denken, Handeln, Zuversicht!‘ zu folgen.“

Ihre Beweggründe für das Engagement bei der Sunday Assembly erläutert Vanessa wie folgt: „Früher hatten die Sonntage mehr Rituale, bei denen man sich Zeit für Besinnung genommen hat. Rainer und ich haben schon länger darüber nachgedacht, ob wir so etwas nicht auch in unserem Humanist Lab anbieten könnten. Als wir dann auf die Sunday Assembly gestoßen sind, hat uns deren Ausrichtung sofort angesprochen, weil es dabei um das Thema Zuversicht geht, das auch Teil unseres eigenen Leitbildes ist. Wir sind der Ansicht, dass man Zuversicht nicht ausschließlich durch reines Philosophieren vermitteln kann, sondern dass dazu auch eine Gemeinschaft gehört. Der Wunsch nach geteilten Werten war für uns die Motivation zu sagen: Das müssen wir einfach machen!“

Grafik: Sunday Assembly Hamburg

Grafik: Sunday Assembly Hamburg

Rainer ist in einem katholischen Umfeld aufgewachsen. Er erklärt, dass er darauf keine Lust mehr hätte, aber der radikale Atheismus ebenfalls nichts für ihn wäre: „Dass die Gemeinschaft das Beste an der Kirche ist, war mir auch schon klar, bevor ich von der Sunday Assembly gehört habe. Diese Gemeinschaft habe ich vermisst, seitdem ich nicht mehr an Gott glaube. Außerdem schätze ich weiterhin das Ritual. Deshalb hätte die Assembly bei mir persönlich auch schon vor fünf Jahren einen Nerv getroffen.“

Vanessa fügt hinzu: „Manche glauben, Atheisten hätten keine Werte oder kein Gefühl für Ethik, aber das halte ich für falsch. Wir merken immer wieder in Gesprächen mit Leuten, die mal mehr und mal weniger an Gott glauben, dass sie viele Fragen stellen, die wir als Humanist Lab nicht allein beantworten können. Wir wollen schließlich keinen Priesterstatus haben.“

„Gut sein ohne Gott“

Foto: Sunday Assembly Hamburg

Vanessa (Foto: Sunday Assembly Hamburg)

Aus diesem Grund werden die Aufgaben bei der Hamburger Sunday Assembly auch auf mehrere Schultern verteilt: Zu Beginn liest Esther (26) einen Text aus dem Film „Waking Life“ vor, in dem über die menschliche Existenz, die Wahrnehmung und die Realität nachgedacht wird.

Hans hält einen Vortrag über den „freien Willen“ und beruft sich dabei auf das Buch „Jenseits von Gut und Böse“ des Philosophen Michael Schmidt-Salomon. Er beleuchtet Aspekte aus den Naturwissenschaften sowie kulturelle Faktoren und Rechtssysteme und regt seine Zuhörer zum Handeln an: „Wir haben die Kreativität! Kreativität ist das Vermögen, vorgegebene Wirkfaktoren so umzukodieren, dass dabei etwas völlig Neues, noch nie Dagewesenes entstehen kann.“

Vanessa folgt mit einem persönlichen Erfahrungsbericht. Sie erzählt, dass sie sich nie von starren Regeln und Glaubenssätzen à la „Was sollen denn die anderen denken?“ oder „Das geht nicht!“ aufhalten lassen wollte: „Ich habe stattdessen immer gesagt, das finde ich gut und ich mache das jetzt einfach! Bislang hat es immer geklappt!“

Übergeleitet wird auf die Wortbeiträge durch Songs, bei denen Christian (55) das Publikum auf seiner E-Gitarre begleitet. Auf dem Programm stehen Stücke wie „Über den Wolken“ (Reinhard Mey), „Lean on me“ (Bill Withers), „Imagine“ (John Lennon) und „Geboren“ (Die Fantastischen Vier). Sehr schnell wird spürbar, wie sehr das gemeinsame Singen den Teilnehmern Spaß macht: Es baut Hemmungen ab, sorgt zuweilen sogar für Belustigung, schafft aber vor allem Verbindung. Christian ist jedoch nicht nur für die Musikauswahl zuständig: Bei der letzten Sunday Assembly hat er zum Beispiel aus seinem eigenen Buch „Gut sein ohne Gott – Ethik und Weltanschauung für Kinder und andere aufgeklärte Menschen“ vorgelesen.

„Gedankliche Freiheit ohne Vorgaben“

Foto: Humanistlab.com

Jay (Foto: Sunday Assembly Hamburg)

Für Jay (26) ist die „Community“ am Wichtigsten. Er wünscht sich einen Ort, an dem er mit anderen debattieren kann. Um das frisch erblühte Gemeinschaftsgefühl weiter zu stärken, leitet er das Interaktionsspiel „Meet your neighbours“ an, bei dem sich die Teilnehmer vorstellen und austauschen können: Im Nu entwickeln sich angeregte Gespräche, die nach dem Ende der einstündigen Assembly bei Tee und Kuchen fortgesetzt werden.

Auch Larry (49) und Norman (42) engagieren sich im Organisations-Team der Hamburger Sunday Assembly. Wie Larry sagt, mag er besonders das gemeinsame Singen und den Ausdruck von Lebensfreude in der Gesellschaft von Gleichgesinnten. Norman hat früher eine Jesuitenschule besucht und berichtet: „Als Jugendlicher haben mich die Kirchgänge überhaupt nicht angesprochen. Vor 15 Jahren bin ich aus der Kirche ausgetreten. Ich finde es schwierig, in meinem Freundeskreis jemanden auf Spiritualität anzusprechen. Deshalb gefällt es mir, dass solche Diskussionen bei der Sunday Assembly zustande kommen.“

Foto: Astrid Triebsees

Roman und Elisa (Foto: Astrid Triebsees)

Die Besucher fühlen sich bei der Assembly offenbar ähnlich wohl wie die Organisatoren. Was motiviert sie, was treibt sie an? Roman (27) und seine Freundin Elisa (26) haben das „Manifest des evolutionären Humanismus“ von Michael Schmidt-Salomon gelesen und sind bei einer Internetrecherche auf die Assembly aufmerksam geworden. Svenja (22) ist extra aus Bremen angereist. Sie möchte mit anderen über menschliche Werte und ethische Fragen sprechen. An der Assembly schätzt sie die „gedankliche Freiheit ohne Vorgaben“. Martin (36) beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit dem Humanistischen Laizismus sowie dem Präferenz-Utilitarismus, der maßgeblich von dem australischen Philosophen Peter Singer entwickelt wurde und André (34) ist nach eigenen Angaben schon länger „Stammkunde“ des Humanist Lab.

Sunday Assembly auch in Berlin

Rainer und Vanessa vom Humanist Lab wollen die Hamburger Sunday Assembly monatlich fortsetzen, das nächste Mal am 28. September 2014. An diesem Tag plant die internationale Sunday Assembly zugleich den weltweiten Start von 50 neuen Assemblys, darunter auch in Berlin. Was bedeutet das für alle Newcomer? Vanessa sagt: „Die Londoner Zentrale schreibt in ihrer ‚Public Charter‘: ‚We tell you what works best for us, but we are not telling you what to do in your Assembly.‘ Das bedeutet: Als neue Assembly sind wir zwar an bestimmte Abläufe gebunden, die sich bereits bewährt haben. Die Londoner helfen uns auch bei Fragen weiter und unterstützen uns mit Webinars. Was die Programminhalte betrifft, gibt es jedoch keine Vorgaben.“

Astrid Triebsees

Weiterführende Informationen:

Hamburger Sunday Assembly: hamburg.sundayassembly.com
Internationale Sunday Assembly: sundayassembly.com
Humanist Lab Hamburg: humanistlab.com

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5 Kommentare
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Ich war am 28.09.2014 auf der Sunday Assambly dabei. Mir hat das sehr gut gefallen. Ich suche (na, nicht sehr aktiv) nach einer agnostischen Gemeinde und auch nach Gemeinschaftsveranstaltungen dieser Art. Mir war die Veranstaltung allerdings viel zu “englischsprachig”. Gerade bei philosophischen Gesprächen kommt es auf die Kenntnis der genauen Färbung der Worte und Begriffe an. In Englisch reicht mir das nicht. Das sollte dann immer auch auf Deutsch vorgelesen werden. Ob es wirklich so viele gibt, die das nur auf englisch verstehen, weiß ich nicht. Die konsequente Deutschsprachigkeit wäre auch ein Beitrag zur Barrierefreiheit. Ich habe mich jedenfalls dort wie ein Behinderter gefühlt.

Von daher stellt sich dann auch die Frage, ob die Steuerung von London aus wirklich so hilfreich ist.

Herzlichen Gruß
Ulrich Meyer zu Hörste

Hi Ulrich,
Aber als Teil des organisatorischen Teams der Sunday Assembly in Southampton (UK) habe ich einen guten Eindruck von den Ablaeufen. Die Veranstaltungen der Sunday Assembly werden nicht aus London gesteuert.

‚We tell you what works best for us,
but we are not telling you what to do in your Assembly.‘

Das Feedback zur Praesentation und Programminhalten ist bei den Organisatoren im Allgemeinen sehr willkommen Ich bin nicht in Hamburg dabeigewesen. Aber ich kann mir vorstellen, das einige der Anwesenden moeglicherweise besser Englisch als Deutsch sprechen und somit eine gewisse Offenheit und Integration erreicht werden kann.

Schon der Artikel in der SZ dieses Wochenende hat mich angesprochen. Meine grosse Frage: Nürnberg?? So wie sich dort eine Gruppe bildet, bitte mir gleich Bescheid geben.

Mit freundlichen Grüssen
Helga Heimann

Wir brauchen Sunday Assembly in München.

VG,
Ridha Khider

Gute Erfahrung ..Empfehlung:Im Gespräch:
Also ich möchte Ihnen auch jetzt grade Freude bereiten… ja und da brauch ich keine Überwesen und keine Überwesenerklärer ! Um ein guter Mensch
zu sein… braucht man Wissen und Mitgefühl… Alles andere lenkt nur vom
Eigentlichen ab und ist sehr teuer.
Wir sind auf der Welt, um uns und Anderen Freude zu machen !

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