Neu: Ethik Quiz – Testen Sie Ihr Wissen

Unser muslimischer Sohn in einer evangelischen Kita?

Yunus Tug/ Unsplash

Erfahrungen von Deniz Cicek-Görkem

Deniz Cicek-Görkem ist Muslima und lebt mit Mann und Sohn in Düsseldorf. Die Familie möchte ihr Kind weltoffen und muslimisch erziehen. Weil Kita-Plätze knapp sind, meldeten sie ihn jetzt in einer evangelischen Einrichtung an. Hier schildert sie den Weg zur Entscheidung.

Wer heutzutage ein Kind bekommt, macht sich zeitnah Gedanken darüber, wie es betreut werden soll, möglicherweise bevor es überhaupt geboren ist. Insbesondere dann, wenn die Großeltern nicht in der Nähe leben – so wie bei uns. Weder die Eltern meines Mannes noch meine eigenen können unter der Woche die Betreuung unseres inzwischen dreijährigen Sohnes übernehmen.

Ganz konkret haben wir uns rund um seinen ersten Geburtstag gefragt, wie wir Beruf, Familie und Kinderbetreuung unter den Hut bringen, denn zu diesem Zeitpunkt stand für uns fest, dass wir zeitnah einen Betreuungsplatz benötigen. Einerseits war der Sohn dafür reif genug, andererseits war es aus beruflicher Sicht erforderlich.

Die erste Station für ihn war eine Tagesmutter. Das war eine gute Entscheidung. Gemeinsam mit vier anderen Kindern lernte er behutsam, wie man abseits vom Elternhaus gemeinsam spielt, isst, teilt. Dass die Tagesmutter wie wir muslimisch ist, war für uns nicht entscheidend, aber doch ein großer Pluspunkt.

Umzugsbedingt mussten wir uns ein Jahr danach etwas anderes überlegen, der Weg wurde vor allem im morgendlichen Schul- und Berufsverkehr unzumutbar. Fortan war unser Sohn in einer fußläufig erreichbaren Großtagespflege mit acht anderen Kindern. Da er dort das älteste der Kinder war, stand für uns schnell fest, dass die Zeit reif war für eine echte Kita mit einer noch größeren Gruppe.

In Düsseldorf gibt es den sogenannten Kita-Navigator, wo man sich anmelden muss, wenn man einen Kitaplatz sucht. Man kann sich bei bis zu 15 Kitas auf die Warteliste setzen lassen, für uns war das entscheidende Kriterium die örtliche Nähe.

Bei uns war alles dabei: städtische Träger, die AWO, muslimische Träger und auch katholische und evangelische Einrichtungen. Während Freunde und Bekannte ständig von Kita-Zusagen berichteten, herrschte bei uns zunächst Funkstille. Fast hätten wir die Hoffnung aufgegeben, bis sich eine evangelische Kita meldete.

Kein Schweinefleisch und Gespräche über Gott und die Welt

Bis zum Kennenlerngespräch in der neuen Kita vergingen einige Tage, die wir für eine Recherche im Freundes- und Bekanntenkreis nutzten. Als muslimische Familie wollen wir unseren Nachwuchs muslimisch und weltoffen erziehen. Doch für uns ist es auch wichtig, dass er früh mitbekommt, welche religiösen, weltlichen und kulturellen Werte in unserer Gesellschaft eine Rolle spielen.

Und in Deutschland ist das Christentum nun mal ein nicht von der Hand zu weisender Faktor, der den Alltag und die Geschichte des Landes prägt. So konnten wir uns schnell mit der Idee anfreunden, dass unser Sohn in eine evangelische Kita geht. Auch das Feedback aus unserem Umfeld fiel eher positiv aus, sodass wir mit einem guten Gefühl das Kennenlernen angingen.

Im ersten Treffen sprachen wir recht schnell an, was uns aus muslimischer Sicht am Herzen liegt: das Schweinefleischverbot und der Umgang mit der christlichen Religion. Uns interessierte speziell die Frage, wie präsent sie im Kita-Alltag ist.

Während sich das Thema Schweinefleisch schnell erledigte, weil die Kita den Kindern generell keines anbietet, war der zweite Aspekt nicht so leicht zu fassen. Das liegt zum einen daran, dass es ein eher abstraktes Thema ist, zum anderen hieß es, dass die Erzieherinnen und Erzieher viel davon abhängig machen, welche Fragen die Kinder haben.

Dass hin und wieder ein Pfarrer vorbeikommt, um mit den Kindern „über Gott und die Welt“ zu sprechen, war für uns vollkommen in Ordnung. Warum die christliche Praxis in der Kita für uns ein Thema ist, liegt an unserer Sorge, ob sie unseren Sohn aus religiöser Sicht „verwirren“ könnte, da er damit nicht vertraut ist. Inwiefern müssen wir das mit ihm besprechen und die Dinge einordnen?

Wir lassen es auf uns zukommen. Vermutlich wird die Praxis bei uns ähnlich aussehen wie in der Kita selbst: Wir werden schauen, welche Fragen er hat und was ihn bewegt. Dementsprechend werden wir ihm Antworten mit auf dem Weg geben (müssen), die sowohl ihn als auch uns zufrieden stellen und das Miteinander in einem christlich geprägten Land nicht gefährden bzw. idealerweise positiv beeinflussen.

Unser YouTube-Kanal

Wir haben angefangen, unseren youtube-Kanal auszubauen. Denn unsere kostbaren Inhalte sind es wert, auch in anderen Formaten Menschen zu inspirieren.

Woher wir unsere Zuversicht nehmen

Zuversichtlich macht uns, wie interessiert und mit wenig Berührungsängsten, aber auch mit der nötigen Distanz und Vorsicht unser Sohn Unbekanntes angeht. Letztens waren mein Mann und er das erste Mal zusammen in der Kirche, die am zentralen Platz unseres Stadtteils steht.

Das Läuten der Kirchenglocken fällt ihm dort jedes Mal auf und ist ihm auch einen Kommentar wert. Doch dieses Mal sei etwas anders gewesen: Die Tür habe offen gestanden, da habe er seinen Vater gefragt: „Können wir mal reinschauen?“

Dass ihm die offene Tür aus der Ferne überhaupt aufgefallen ist, finde ich bemerkenswert. Kinder sehen die Welt wirklich mit anderen Augen, das ist keine Floskel. In einer Moschee war er schon oft, vielleicht war es jetzt ein passender Zeitpunkt, eine Kirche mal von innen zu sehen. Und das ganz unvoreingenommen und unverbindlich.

In knapp zwei Monaten geht es los. Wir sind gespannt. Und was bleibt nach all den Fragezeichen und Gesprächen? Ein Kommentar eines Arbeitskollegen ist bei mir auf jeden Fall hängengeblieben. „Man sollte heutzutage froh sein, dass man überhaupt einen Kitaplatz bekommt.“ Ein Satz, dem wir nur schwer widersprechen können.

Foto: Privat
Foto: Privat

Deniz Cicek-Görkem

 schreibt über Themen rund um Wissenschaft, Gesundheit und Gesellschaft und sieht sich als Brückenbauerin. Als Apothekerin und ausgebildete Journalistin verantwortet sie die pharmazeutisch-wissenschaftlichen Inhalte bei der größten Apotheken-Community Deutschlands in Neuss. Nebenberuflich arbeitet sie weiterhin in der Apotheke und verfasst als freie Autorin journalistische Beiträge.

Bei Ethik heute schreibt sie regelmäßig Impulse über das Leben muslimischer Bürgerinnen und Bürger in Deutschland.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare

Online-Abende

rund um spannende ethische Themen 
mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen
Ca. 1 Mal pro Monat, kostenlos

Auch interessant

Unsplash

Muslime unter uns

Eindrücke aus Hamburg Es gibt hartnäckige Vorurteile gegenüber Muslimen, doch selten kommt man miteinander in Kontakt. Reiner Scholz hat sich in einem Viertel in Hamburg umgesehen und mit Muslimen gesprochen, die ein normales Leben führen wollen, aber wenig Anerkennung der Mehrheitsgesellschaft erfahren. Viele sind besorgt sind über den Islamismus.
Foto: Umar ben I Unsplash

Warum wir islamischen Religionsunterricht brauchen

Ein Standpunkt von Deniz Cicek-Görkem Die Muslimin Deniz Cicek-Görkem weist darauf hin, dass auch Muslime in Deutschland ein Recht auf Religionsunterricht haben. Sie wünscht sich, dass dies auch umgesetzt wird. Denn es fördere die Integration, diene der Anerkennung der muslimischen Kultur und wirke der Radikalisierung im Internet entgegen.

Neueste Artikel

Foto: Lia Bekyan I Unsplash

Kinder mit Autismus willkommen heißen

Ein Gespräch mit Anja Wieclef* Anja Wieclef ist Mutter einer siebenjährigen Tochter mit frühkindlichem Autismus. Hier spricht sie über ihre Erfahrungen mit Kindern, die nicht ins Schema passen, über die Hürden bei der Inklusion, Erschöpfung und eine überraschend heilsame Erfahrung.
Piyaset/ Shutterstock

Klimakrise: Menschen, die sich auf den Kollaps vorbereiten

Über die neue Kollaps-Bewegung Die Klimakrise bedroht das Leben auf der Erde. Die neue „Kollaps-Bewegung“ bereitet sich auf die Katastrophe vor. Mike Kauschke über ihre Motive und Kritik an der Politik, aber auch die Frage, welche wissenschaftlichen Bedenken es zum Untergangsszenario gibt. Könnte es uns am wirksamen Handeln hindern?
Foto: Michael Gleich

Friedensarbeit braucht viel Geduld

Das internationale Netzwerk der Friedensstifter „Friedensappelle reichen nicht“, sagt der Journalist Michael Gleich und startete 2003 ein weltweites Netzwerk für Friedensstifter. Diese treffen sich jedes Jahr, um sich für die Arbeit in ihren Ländern zu stärken, Traumata zu bearbeiten und Kollegen in Notlagen zu helfen. Denn gewaltsame Konflikte zu lösen, ist harte Arbeit und birgt Gefahren.
Judentum, orthodox, Gebetsschal, Mann von Seite

Weisheit heißt, neue Wege zu gehen

Interview über Weisheit im Judentum Die Wege zur Weisheit im Judentum führen über Studium und Gebet. Autor János Darvas spricht im Interview über die große Bedeutung des Lernens in der jüdischen Kultur sowie die Lebensaufgabe, alte Gewohnheiten zu überschreiten und sich immer wieder neu auf das Leben einzulassen.