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Unsere Lebendigkeit wiederentdecken

Lebendigkeit_Weber

Ein ungewöhnliches Buch von Andreas Weber

Jeden Tag erreichen uns neue Schreckensnachrichten über den Zustand der Erde. Doch aus Sicht von Andreas Weber sind Umwelt- und Wirtschaftskrisen Ausdruck einer tieferliegenden Krise: eines Mangels an Liebe und Lebendigkeit.

Liebe ist ein Schlüsselwort in diesem Buch, wobei der Philosoph und Biologe sie in einem besonderen Sinn versteht: als Freude am Lebendigen, am Wachstum, als schöpferische Energie, die alles Leben fließen lässt. In seinem Buch erörtert Andreas Weber, wie der Mensch diese Liebe wieder aktivieren und seine Lebendigkeit neu entdecken kann.

Sein Ansatz ist nicht leicht zu verstehen – er spricht von einer „erotischen Ökologe“, von „kosmischer Zärtlichkeit“, der „Erotik der Teilhabe“ und bezeichnet das Leben als „ständig oszillierendes Netz von dynamischen Interaktionen“.

In einer eigenwilligen Sprache, die teilweise überladen und verschwommen wirkt, versucht Weber etwas zu beschreiben, das eigentlich mit Konzepten und Sprache nicht erfasst werden kann: das Verstehen der Wirklichkeit auf einer tieferen Ebene, als nicht substanziell, als fließend, dynamisch und in Beziehung zum Ganzen stehend.

„Die Idee, von den anderen getrennt zu sein, ist vielleicht der fundamentale Irrtum unserer Zivilisation“, schreibt Weber und glaubt, dass diese „Verblendung“ erst die Zerstörung der Natur möglich gemacht habe. Daher besteht aus seiner Sicht der einzige Ausweg darin, die Lebendigkeit wiederherzustellen, das Eingebundensein in alles, was lebt. Das Buch ist als Anregung zu verstehen, diese Gefühle der Verbundenheit und Lebendigkeit im Menschen wiederzuentdecken.

Es gibt im Leben keine Trennung

Dabei greift Weber auf Beispiele aus der Biologie, die er „die Wissenschaft der Berührungen“ nennt, und eigene, teils anrührende Naturbeobachtungen zurück. Symbiose und Stoffwechsel zeigten, dass es im Leben keine Trennung gebe. Und er zitiert Francisco Varela, der die Lebewesen als „Selbste ohne Selbst“ bezeichnete. Umso erstaunlicher ist, dass Weber die großen Kapitel einteilt in „Ich“, „Du“ und „Wir“, also gängige Kategorien, die er eigentlich überschreiten möchte.

Es gibt weitere Unklarheiten in Webers Buch. Einerseits nennt er sich Anhänger des Materialismus, andererseits sind seine Sprache und sein Denken fast schon vergeistigt, etwa wenn er von „kosmischer Zärtlichkeit“ spricht – man könnte noch zig weitere Beispiele nennen.

Im Kapitel „Wir“ hat man das Gefühl, dass der Autor zwischen Resignation und Aktionsdrang hin- und herschlingert. Einerseits soll man Tod und Verlust akzeptieren, da sie unabwendbar seien – das betrifft auch die Zerstörung der Natur und das Artensterben. Andererseits sei es aber auch nicht gut, im Fatalismus zu verharren und dem Hedonismus zu frönen. Es wird nicht klar, wie man nach Meinung des Autors in dieser vernetzten Welt zum sinnvollen Handeln kommt. Das liegt auch daran, dass Webers Philosophie nicht den gesellschaftlichen und politischen Kontext einbezieht und sich nicht auf konkrete Probleme bezieht.

Der Ansatz ist wertvoll – die Menschen dafür zu sensibilisieren, ihr Verwobensein in und mit der Welt zu verstehen und zu spüren, denn die Trennung hat viel von dem Leiden kreiert, dem wir uns heute global ausgesetzt sehen. Leider scheint der Autor so stark in seiner eigenen Welt zu leben, dass der Funke zu seinen Lesern nur selten überspringt. Ich fühlte mich als Leserin nicht mitgenommen auf die Reise. Doch vielleicht ist das ja beabsichtigt und eine Aufforderung an uns, den ganz eigenen Weg zurück zur Lebendigkeit zu finden.
Birgit Stratmann

Andreas Weber. Lebendigkeit. Eine erotische Ökologie. Verlag Kösel 2014

Shutterstock

Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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2 Kommentare
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sehr interessant finde ich seinen Ansatz, Liebe nicht als ein Gefühl zu sehen.

Passend zur Lebendigkeit und den Arbeiten Andreas Webers ist der Roman der ANDEREN Art ‘ Ich LIEBE meinen Tumor’. Auch dies keine Darlegung EINES Einzelschicksals, sondern die Beschauung des Lebens als Ganzes.

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