Ein Standpunkt von Deniz Cicek-Görkem
Die Muslimin Deniz Cicek-Görkem weist darauf hin, dass auch Muslime in Deutschland ein Recht auf Religionsunterricht haben. Sie wünscht sich, dass dies auch umgesetzt wird. Denn es fördere die Integration, diene der Anerkennung der muslimischen Kultur und wirke der Radikalisierung im Internet entgegen.
Text: Deniz Cicek-Görkem
„Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach“, heißt es im Grundgesetz. Während der Schulzeit war mir das nicht bewusst. Recht haben und bekommen ist ohnehin zweierlei – galt dieses Gesetz hauptsächlich nur für das Christentum, obwohl der Staat doch nicht religiös ist.
Zu meiner Zeit hätte ich mir islamischen Religionsunterricht gewünscht, zumindest in der weiterführenden Schule. In der Grundschule war nur katholische oder evangelische Religionskunde und „Reli-Rest“, was tatsächlich so hieß, im Angebot.
In den „Reli-Rest“-Stunden hatten wir de facto frei, konnten Hausaufgaben machen oder uns anderweitig beschäftigen.
In der weiterführenden Schule gab es dann katholische und evangelische Religion und ein Angebot für jüdische Schüler*innen, letztere mussten dafür aber zur Synagoge fahren. Außerdem gab es das Fach Ethik, das ich ab der 8. Klasse belegt habe.
Doch später wurde es nicht mehr angeboten und ich habe mich dann – trotz islamischen Bekenntnisses – für katholische Religion in der Oberstufe und im Abitur entschieden.
Mein katholischer Religionslehrer war begeistert von meinem Engagement und meinen sehr guten Leistungen – ich selbst habe meine Entscheidung auch nie bereut.
Im Hinblick auf kulturelles Verständnis, kritisches Denken und die Erweiterung des geschichtlichen Wissens war diese Erfahrung für mich eine Bereicherung.
„Islamischer Religionsunterricht statt TikTok“
Doch katholischer Religionsunterricht ist sicherlich nicht für jede Muslimin die erste Wahl. Vielmehr wäre für sie ein islamischer Religionsunterricht sinnvoller. So bekämen Lehrkräfte auch einen besseren Zugang zu jungen Menschen und könnten diese begleiten.
Möglicherweise würde dies einige Jugendliche und Heranwachsende außerdem davon abhalten, sich zu radikalisieren.
Ein Problem, das in den letzten Jahren vermehrt auftritt; manchmal geht die Radikalisierung so weit, dass junge Menschen Gewalt ausüben.
Dies findet auch Rolf Haßelkus von der Lehrergewerkschaft GEW Bonn, der in dem WDR-Beitrag „Islamischer Religionsunterricht statt TikTok-Predigt“ zu Wort kommt.
„Deswegen wäre es ganz wichtig, dass auch die muslimischen Schüler eine Religionskunde oder Islam-Religionsunterricht haben. So sind sie viel zu anfällig dafür, auf die einfachen Botschaften, die sie nämlich jetzt über TikTok kriegen“, so der Lehrer.
Für ihn sei deshalb flächendeckender Islamunterricht an den Schulen von großer Bedeutung. Doch das Angebot ist klein, weil vor allem Lehrkräfte fehlen. Ähnlich sehen das offenbar auch einige, die das Video gesehen haben.
Eine Nutzerin schreibt etwa: „Religion ist keine Sache, die man TikTok überlassen kann und darf, hier muss es bis zur Religionsmündigkeit auch verpflichtende Angebote geben.“ Das sind auch aus meiner Sicht wichtige Punkte.
Zeichen der Wertschätzung
Abgesehen von der Radikalisierungsgefahr wäre es vor allen Dingen ein Zeichen der Wertschätzung und Anerkennung gegenüber den vielen muslimischen Familien und Kindern. Sie hätten ein zusätzliches Fach, worin sie sich mit ihrem Islam-Wissen einbringen, es vertiefen und gemeinsam mit Mitschüler*innen kritisch reflektieren könnten.
Auch würden die Freistunden wegfallen – ich erinnere mich daran, dass diese bei den christlichen Mitschüler*innen nicht immer gut ankamen und manchmal zu Neid führten.
Vielleicht könnten eines Tages auch nicht-muslimische Kinder bei Interesse den Unterricht besuchen und etwas über den Islam lernen.
Vorurteilen auf beiden Seiten entgegenwirken
Mit der Neutralität des Staates lässt sich die fehlende Einführung des Faches jedenfalls nur schwer begründen. Schließlich sind der katholische und evangelische Religionsunterricht seit Jahrzehnten fester Bestandteil der Lehrpläne und werden nicht in Frage gestellt.
Es braucht einen politischen Willen, um flächendeckend einen islamischen Religionsunterricht anzubieten. Dazu müssen erfolgsversprechende, konkrete Strategien entwickelt und umgesetzt werden, um etwa dem Mangel an Lehrkräften entgegenzuwirken.
Auch wenn es Parteien wie die AfD oder Autoren wie Thilo Sarrazin nicht gerne hören, sind Muslime ein fester Bestandteil der hiesigen Gesellschaft. Die Politik der vergangenen Jahrzehnte, aber auch eigene Versäumnisse von Muslimen haben zu vielen Missverständnissen und Vorurteilen geführt – auf beiden Seiten.
Es ist jedoch nie zu spät, dem entgegenzuwirken. Ein Baustein dabei könnte sein, Islamunterricht einzuführen. Als Schülerin habe ich es nicht erlebt, vielleicht tue ich es als Mutter.