Und was man dagegen tun kann
Armut hinterlässt Spuren – oft sogar bei der psychischen Gesundheit. Studien zeigen: Finanzielle Schwierigkeiten erhöhen das Risiko für Depressionen, Angststörungen und andere mentale Leiden. Wie lässt sich das erklären und was können Betroffene tun?
Text: Dr. Stefanie Uhrig
Mit zu wenig Geld zu leben, ist global betrachtet keine Seltenheit. In reichen Industrieländern wie Deutschland leiden zwar nicht so viele Menschen an existenzieller Armut, wie es sie vor allem in einigen Entwicklungsländern gibt.
Doch selbst bei uns müssen zu viele Leute mit zu wenigen finanziellen Mitteln auskommen: „Laut einer Berechnung des Statistischen Bundesamtes waren 15,5 Prozent der Bevölkerung im Jahr 2024 armutsgefährdet, rund 21,1 Prozent galten als „von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht“.
Das wirkt sich auch auf die Gesundheit aus. So ist eine ausgewogene Ernährung häufig teurer als ungesundes Fast Food. Und wer sich ständig Sorgen um das Geld machen muss, denkt seltener an medizinische Vorsorgeuntersuchungen.
Neben solchen eher körperlichen Aspekten greift Armut aber auch die Psyche an. Konkret bedeutet das: ein erhöhtes Risiko für Depressionen, Angststörungen und sogar Suizid.
Von Stress, Gewalt und Einsamkeit
Zu den Gründen gibt es verschiedene Theorien. So leben Menschen mit Geldsorgen oft im Dauerstress, der Körper ist ständig in Alarmbereitschaft. Das wiederum verändert, wie das Gehirn auf innere und äußere Signale reagiert.
Dazu kommt, dass Gewalterfahrungen oder andere Traumata in ärmeren Familien häufiger vorkommen.
Und dann sind da noch vermeintlich banale Faktoren: Wer sich im Sommer keine Klimaanlage leisten kann und möglicherweise im günstigeren Dachgeschoss wohnt, leidet unter der Hitze – und kann dagegen im Winter vielleicht nicht ausreichend heizen.
So fühlen Betroffene sich häufig unwohl, körperlich wie psychisch. Wohnungen an vielbefahrenen Straßen sind außerdem oft billiger, gleichzeitig lässt es sich durch den Verkehrslärm dort schlechter schlafen.
Möglich ist, dass Menschen mit weniger finanziellen Mitteln sich eher einsam fühlen. Das legt zumindest eine neue Studie aus 2025 nahe. Hierzu wurden fast 25.000 Betroffene aus 20 europäischen Ländern befragt.
Dabei kam heraus: Die ärmsten Menschen verspürten besonders oft Einsamkeit – selbst, wenn sie objektiv gesehen genauso viel Zeit mit anderen Leuten verbrachten wie die Befragten mit dem meisten Geld. Sie litten außerdem häufiger an Depressionen, Erschöpfung und Schmerzen. Gute soziale Beziehungen wirkten hingegen immer schützend gegen die psychischen und körperlichen Beschwerden.
Gefährliche Wechselwirkung
Die Liste an Gründen für die psychische Belastung durch Armut ist noch viel länger und individuell sehr unterschiedlich. Oft spielen mehrere Aspekte zusammen. Eine Sache ist jedoch wichtig: Der Einfluss kann in beide Richtungen gehen.
Wissenschaftlich gesehen werden oft vor allem Korrelationen gezeigt: Also etwa, dass Menschen mit geringem Einkommen sich häufig einsam fühlen.
Das sagt aber nicht unbedingt etwas über Ursache und Wirkung aus: Ist die Armut verantwortlich für die psychischen Probleme? Oder sorgt eine psychische Erkrankung dafür, dass die Betroffenen ihrer Arbeit nicht mehr wie gewohnt nachgehen können und dadurch weniger Mittel zur Verfügung haben?
Beides ist möglich, und so kann eine gefährliche Spirale entstehen, in der sich Armut und Erkrankung immer weiter gegenseitig verschlimmern.
Unsichtbare Armut
Schwierig kann es auch werden, wenn die Probleme auf den ersten Blick nicht sichtbar sind. Bei Untersuchungen rund um die Armut geht es häufig um das Einkommen. Dabei wird jedoch eine Gruppe von Menschen schnell übersehen: die Überschuldeten.
Sie leben mitunter in eigenen Häusern, haben Autos und Gärten, und leiden trotzdem unter dem psychischen Stress der Geldsorgen. Sie müssen sparen, wo sie nur können. Bei der Ernährung, der Kleidung, vor allem aber bei sozialen Aktivitäten.
Ein Kinobesuch mit Freunden oder ein Treffen im Biergarten sind dann nicht mehr möglich, und der Weg in die Einsamkeit beginnt.
Was hilft?
Was Betroffene tun können, hängt sehr von ihrer jeweiligen individuellen Situation ab. Einige kostenlose und schnelle Hilfen für die psychische Gesundheit kann aber jede und jeder nutzen:
Beispielsweise die Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle (PSKB) des Deutschen Roten Kreuz (DRK): Hier beraten dafür ausgebildete Menschen ohne ärztliche Überweisung – und wenn gewünscht anonym – in Fragen rund um psychische Probleme.
Auch die Hausärztin oder der Hausarzt können helfen. Sie schätzen gemeinsam mit den Betroffenen die Situation ein und vermitteln, falls nötig, an eine psychotherapeutische Fachkraft weiter. Bei gesetzlich Versicherten übernimmt dann in der Regel die Krankenversicherung die Kosten, zumindest für bestimmte Leistungen.
Abgesehen von akuten Hilfen für die Psyche gibt es einige Ansatzpunkte in der Politik, um sowohl die Armut als auch die Gesundheit zu verbessern. Dazu gehören etwa, junge Familien zu stärken, die Arbeitsbedingungen und die Schulen zu verbessern und die soziale und finanzielle Ungleichheit zu verringern. Das klingt natürlich gut. Vorerst sind das jedoch theoretische Möglichkeiten, die erst einmal in konkrete Vorschläge formuliert und dann vor allem umgesetzt werden müssen.
Für die einzelnen Betroffenen gilt: Soziale Netzwerke können viele negative Folgen von Armut abfedern – und bei psychischen Schwierigkeiten kann es eine gute Idee sein, erst einmal eine kostenlose Beratung zu suchen.
Quellen:
The World Bank Group. (2022). Poverty and shared prosperity 2022: Correcting Course. https://openknowledge.worldbank.org/server/api/core/bitstreams/b96b361a-a806-5567-8e8a-b14392e11fa0/content
Statistisches Bundesamt: Einkommen, Konsum und Lebensbedingungen
https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Lebensbedingungen-Armutsgefaehrdung/_inhalt.html
Machado, D. B. et al. (2024). Economic interventions for the prevention of mental health problems: The role of cash transfers. Am J Orthopsychiatry. 94(4):477-484. Doi: 10.1037/ort0000764
https://psycnet.apa.org/fulltext/2025-23971-005.html
Ridely, M. et al. (2020). Poverty, depression, and anxiety: Causal evidence and mechanisms. Science. 370:6522. Doi: 10.1126/science.aay0214
https://www.science.org/doi/10.1126/science.aay0214
Davis, A. J. et al. (2025). Associations amongst poverty, loneliness, and a defensive symptom cluster characterized by pain, fatigue, and low mood. Public Health. 242:272-277. Doi: 10.1016/j.puhe.2025.02.037
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0033350625001209
Münster, E. et al. (2018). Arzneimittelkonsum, insbesondere Selbstmedikation bei überschuldeten Bürgerinnen und Bürgern in Nordrhein-Westfahlen (ArSemü-Studie). Institut für Hausarztmedizin & Universität Bonn
https://www.lzg.nrw.de/_media/pdf/pharmazie/anwendungssicherheit/abschlussbericht_Arsemue.pdf
Deutsches Rotes Kreuz: Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle (PSKB), https://www.drk.de/hilfe-in-deutschland/behindertenhilfe/psychosoziale-kontakte/
Wege zur Psychotherapie: Wer zahlt? – Anträge und Kosten