Wie deutsche Politik Fluchtursachen befeuert

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Ein Standpunkt von Jörg Alt

Die deutsche Politik setzt bei der Migration auf Abschottung. Gleichzeitig ist sie mitverantwortlich für Fluchtbewegungen – durch Waffenexporte und die Beschleunigung der Klimakrise. Der Sozialethiker Jörg Alt ruft zum ehrlichen Umgang mit dem Problemen auf.

Text: Jörg Alt

Laut ARD-Deutschlandtrend vom 9. Januar 2025 sind Migration und Wirtschaft die Top-Themen für die Deutschen. Dasselbe gilt für den laufenden Wahlkampf. Unter dem Druck der AfD wächst die Bereitschaft anderer Parteien, eine härtere Linie gegen Flüchtlinge zu fahren. Der Fokus liegt auf Abschiebung, Abwehr und Abschottung.

Egal, wie die Weltlage ist, man will den eigenen Wohlstand absichern. Dabei wird übersehen, wie Deutschland selbst dazu beiträgt, Fluchtursachen zu schaffen. Unter „Flucht“ wird hier verstanden, dass Menschen keine Wahlfreiheit beim Verlassen ihrer Heimat haben bzw. nicht zurückkehren können, da ihre Existenzgrundlage zerstört ist, etwa durch Krieg und Klimawandel.

Gerade in diesen beiden Bereichen befeuert die deutsche Politik die Probleme.

Deutschlands Geschäft mit Waffen

Laut dem Stockholmer SIPRI Institut ist Deutschland 2019 bis 2023 weltweit der fünftgrößte Waffenexporteur, im Jahr 2024 erreichten Waffen- und Munitionsexporte aus Deutschland ein Allzeithoch: 13,2 Milliarden Euro. Und dies, obwohl der Export von (Groß- und Klein-)Waffen im Prinzip an strenge Kriterien geknüpft ist.

Zugleich gibt es davon immer wieder Ausnahmen bzw. viel zu wenig Kontrollen. Mit dem Export deutscher Waffen und waffenfähigen Güter werden in Deutschland Firmen, Dividenden und Jobs gesichert; anderswo werden damit Menschen zur Flucht gezwungen; 2024 lieferte Deutschland Waffen an vier Konfliktparteien in Krisenregionen der Welt: Israel, Ukraine, Saudi-Arabien und Türkei.

Israel bezieht 30 Prozent seiner Waffen aus Deutschland; es wäre sehr naiv anzunehmen, dass diese Waffen nicht auch im Gazastreifen oder Libanon zur Anwendung kommen. Saudi-Arabien unterlag lange Exportverboten, dies wurde aber aufgehoben – trotz des Wissens um die Verwicklungen im Jemen.

Waffenlieferungen in die Türkei waren wegen der NATO-Mitgliedschaft immer schon erleichtert – ungeachtet des türkischen Vorgehens gegen die Kurden und der Einmischung in Syrien. Aus der Ukraine, türkisch Kurdistan und dem türkisch beeinflussten Syrien kommen Flüchtlinge nach Deutschland.

Hinzu kommen Lieferungen in Staaten mit zweifelhaftem menschenrechtlichem Ruf wie Ägypten, Algerien, Indien, Singapur, Vereinigte Arabische Emirate, Katar…. Und dann gibt es das Problem der „Dual Use“-Güter, also die Lieferung von Gütern, die zivil oder militärisch genutzt werden können, etwa Lastwagen oder bestimmte Komponenten, die in Waschmaschinen, Autos, Kühlschränken oder in Panzer, Raketen und Drohnen eingebaut werden können.

Es gibt Anzeichen, dass deutsche Exporte sogar die russische Kriegsmaschinerie gegen die Ukraine am Laufen halten. Militärisches Gerät, Waffen oder Komponenten dafür in Krisengebiete zu liefern, führt dazu, dass die Konflikte weiter eskalieren und Menschen ihre Heimat verlassen müssen.

Deutschlands Mitverantwortung für die Klimakrise

Schon jetzt ist die Klimakrise und damit zusammenhängende Extremwetter doppelt bis dreimal so ausschlaggebend für Flucht und Vertreibung wie Krieg und Konflikte. Hier besteht ein enger Zusammenhang: Zerstörung und Mangellagen im Zuge von Klimakrisen führen zu Krieg und Verteilungskonflikten; Krieg und Konflikte wiederum zerstören die Umwelt und verschlimmern die Situation, weil kein angemessenes Gegensteuern zum Klimawandel mehr möglich ist.

Deutschlands Mitverantwortung für diese Dimension von Flucht und Vertreibung lässt sich aus der Nutzung fossiler Rohstoffe ableiten; die daraus resultierenden Emissionen sind Haupttreiber der Klimakatastrophe.

Deutschland ist, historisch gesehen, der weltweit viertgrößte Emittent von Treibhausgasen; der Wohlstand des Landes basiert zu einem großen Teil auf der Nutzung fossiler Rohstoffe.

Aktuell liegt Deutschland im weltweiten Vergleich bei der Emissionsmenge von Treibhausgasen auf Platz sechs, allerdings in einer territorialen Statistik. Würde man die Emissionen am Konsum messen, läge Deutschland vor China, denn: Deutschland lagert viele schmutzige Industrien aus, deren Zwischen- oder Endprodukte aber über schmutzige Lieferketten (Schiffsdiesel, Kerosin) nach Deutschland geschafft werden.

Aktuell ist die Menschheit auf Kurs in eine Welt, deren Durchschnittstemperatur zum Jahrhundertende um 2,7 Grad über dem vorindustriellen Zeitalter liegt, vielleicht sogar noch höher. Das kann bedeuten, dass schon in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts bis zu drei Milliarden Menschen vorübergehend oder dauerhaft ihre angestammte Heimat verlassen müssen: aufgrund von Hitze, Dürre, Extremwetter, steigendem Meeresspiegel, Versalzung der Böden uvm.

Das Ausmaß der Herausforderungen anerkennen

Kann sich ein Land, welches als Exportnation sein Geld auch mit Waffen und der Befeuerung des Klimawandels verdient, von seiner Verantwortung für die dadurch mitverursachten Flüchtlingsströme distanzieren? Schaut man auf die aktuellen Diskussionen, so ist der Fokus auf Abwehr, Abschottung, und falls möglich auf der Auslagerung des Problems in Drittstaaten wie Albanien, Ruanda oder Ägypten. Das wird aber nicht die erhofften Resultate bringen.

Natürlich wird man kurzzeitig das Problem außer Sicht halten können, aber selbst Sicherheitsexperten und Berater der Bundeswehr warnen vor einer absehbaren Überforderung der Europa vorgelagerten Staaten oder der Hauptkrisenregionen dieser Welt. Dies könnte zu einer Destabilisierung von Regierungen und Regionen führen, was wiederum Handelswege und Absatzmärkte für die deutsche Industrie wegbrechen ließe.

Umgekehrt hätte Deutschland als weltweit drittgrößte Ökonomie und größte Ökonomie der Europäischen Union immense Möglichkeiten, diese Entwicklungen zu verlangsamen, zum Halten zu bringen oder gar umzukehren.

Doch das Interesse ist gering, schaut man auf die Aufweichung des Klimagesetzes, die Verhinderung einer angemessenen Agrarreform und von Renaturierungsmaßnahmen sowie das Verfehlen einer klimagerechten Verkehrspolitik. Das liegt an mächtigen Lobbygruppen, aber eben nicht nur. Auch gewerkschaftlich organisierte Menschen bremsen, wenn es um die sozial-ökologische Transformation geht, denn das gefährde Jobs.

Alles muss auf den Prüfstand

Die bestehenden und absehbaren Fluchtbewegungen sind nicht mit dem herkömmlichen rechtlichen und institutionellen Instrumentarium zu steuern. Wir brauchen einen offenen, faktenbasierten Diskurs über das Ausmaß der bestehenden und heraufziehenden Probleme und Gefahren.

Wir müssen eine Politik entwickeln, die alles auf den Prüfstand stellt: die Wirtschafts- und Exportpolitik, die Klima-, Entwicklungs-, Migrations- und Asylpolitik. Notwendig sind Fluchtursachenbekämpfung, regionale Anpassungshilfen und humanitäre Nothilfen.
Dann kann Deutschland sowohl Wohlstand und Jobs retten als auch den Erfordernissen von Ethik, Moral udn Menschen- und Völkerrecht gerecht werden. Eine Win-Win-Situation.

Dazu gehört aber auch Ehrlichkeit gegenüber der eigenen Bevölkerung. Dass wir in schwierigen Zeiten leben, ist allen Menschen bewusst. Wie sie aber darüber sprechen, worauf sie sich einstellen und wozu sie bereit sind, hängt maßgeblich von den Informationen ab, die sie vermittelt bekommen.

Kirchen und NGOs leisten hier bereits ihren Teil, aber auch Parteien und die Politik sind dazu aufgrund ihres Amtseides, das Wohl des Volkes zu mehren und Schaden von ihm fernzuhalten, verpflichtet.

Eine Langfassung des Artikels finden Sie hier.

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Foto: privat
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P. Dr. Jörg Alt SJ

geboren 1961, Jesuit seit 1981 und Priester seit 1993, hat Studienabschlüsse in Theologie, Philosophie und Sozialwissenschaft. Er arbeitet in Nürnberg als Hochschulseelsorger sowie als Mitarbeiter im Hilfswerk jesuitenweltweit und dem Ukamazentrum für sozial-ökologische Transformation. Autor des Buches: Widerstand! Gegen eine Wirtschaft, die tötet, 2022. Mehr Infos

Artikel von ihm auf Ethik heute:

Ziviler Widerstand ist Teil der Demokratie

Wie deutsche Politik Fluchtursachen befeuert

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