Kolumne Beziehungsdynamiken
Autorin und Familientherapeutin Mona Kino beantwortet in ihrer Kolumne “Beziehungsdynamiken verstehen” eine Frage zum Thema Freundschaften: „Muss man bestimmte Werte teilen, um Freunde zu sein? Oder wie geht man um, wenn man in wichtigen Punkten verschiedener Meinung ist?“
Frage: Wie viel Verschiedenheit vertragen Freundschaften? In letzter Zeit sind einige alte Freundschaften zerbrochen, weil sich tiefe Gräben auftun. Ein Freund kann nicht akzeptieren, dass ich Waffenlieferungen an die Ukraine für richtig halte. Eine anderer Freund hegt massives Misstrauen gegen den Staat, das ich nicht teile. Soll man diese Themen einfach ausklammern und Gemeinsamkeiten suchen? Oder muss man bestimmte Werte teilen, um Freunde zu sein?
Mona Kino: Der Grad an Verschiedenheit, den jede*r verträgt, ist sehr individuell. Manche wachsen in Großfamilien auf und zucken mit den Achseln, wenn beispielsweise der Bruder anders auf Dinge reagiert als man selbst. Andere sind vielleicht in Kleinfamilien groß geworden, wo sie weniger Gelegenheit hatten, Diversität zu erleben.
Das bedeutet aber nicht, dass das, was wir von zu Hause mitbringen ewig so bleiben muss. Wichtig ist, erst einmal für sich selbst herauszufinden: Wie viel Unterschiedlichkeit möchtest du? Und wo wird es dir zu viel, weil es zum Beispiel bei der Arbeit schon genug Personen gibt, die unterschiedlich ticken?
Was ich immer wieder beobachte: Meistens geht es gar nicht so sehr um die Unterschiede selbst, sondern um die Themen, auf die wir besonders emotional reagieren. Was bringt mich auf die Palme? Und wie reagiere ich, wenn ich zum Beispiel einem massiven Misstrauen gegenüberstehe?
Können wir der anderen ruhig zuhören, auch wenn sie die Welt völlig anders sieht, während wir beide Beine fest auf dem Boden haben? Oder werden wir unruhig und wollen sie schnell wieder auf „unsere“ Seite holen? Gerade bei Menschen, die uns nahestehen, wollen wir oft, dass sie schnell wieder „auf den richtigen Weg“ zurückfinden.
Unbewusst schleicht sich die Angst ein, den anderen zu verlieren, wenn die Unterschiede zu groß werden. Diese Angst kann aus früheren Erfahrungen mit einer wichtigen Bezugsperson stammen oder aus einer besonders verletzlichen Phase im eigenen Leben.
Vielleicht hat jemand gerade einen geliebten Menschen verloren oder auch ein Haustier, und die Angst vor Verlust sitzt besonders tief.
Wenn unser Gegenüber dann auch noch hartnäckig Misstrauen äußert, können existenzielle Fragen aufkommen: „Was soll jetzt noch werden? Wir haben doch unser Bestes gegeben!“ Wir fühlen uns persönlich angegriffen, obwohl es eigentlich nur um die Sache geht.
Gemeinsam nach einer Lösung suchen
Jede Freundschaft startet auf einem ähnlichen Reifegrad. Anfangs fallen die Unterschiede kaum auf. Doch sobald die Freundschaft tiefer wird, kommen die Konflikte von allein – sie helfen uns, den nächsten Reifegrad zu erreichen. Das ist wie bei einem Computerspiel, wo man gemeinsam das nächste Level spielt.
Doch die Frage ist, mögen wir uns noch immer, wenn wir plötzlich auch in F-Dur spielen statt wie gewohnt in C-Moll? Manchmal gelingt es zunächst nur einer Person, eine neue Tonart in das Repertoire aufzunehmen. Und manchmal schafft eine*r sogar gleichzeitig mehrere zu spielen, während der andere noch bei der ersten feststeckt.
Das erklärt, warum manche Menschen irgendwann nicht mehr zu unserem Leben passen – und warum umgekehrt auch wir uns manchmal aus Freundschaften lösen müssen. Die Frage ist: Wie entkommen wir dieser misslichen Lage, wenn wir das nächste Level nicht gemeinsam schaffen?
Neulich hörte ich einem hitzigen Gespräch am Nebentisch zu. Ein Mann sagte zu einer Frau: „Mich mit dir zu unterhalten ist wie mit Usain Bolt zu sprinten. Um da untrainiert mitzuhalten, brauche ich jemanden, der mich die halbe Strecke trägt.“ Sie antwortete: „Du könntest mich auch fragen, ob ich langsamer laufe, wenn es dir wichtig ist, dass wir uns unterhalten.
Du gibst dann nur ein bisschen mehr Gas als gewohnt, damit es für mich nicht zu langsam wird. So haben wir beide was davon.“ Offensichtlich fühlte der Mann sich unterlegen und hob die Frau auf ein Podest. Dabei fragte er sich, wie er mithalten kann, anstatt sie einzubinden.
Er wollte die Lösung alleine finden, obwohl eine Freundschaft eine wechselseitige Beziehung ist.
Wollen wir uns gegenseitig von unseren Meinungen überzeugen?
Daraus lässt sich auch etwas für die Frage ableiten. Wie wäre es, zusammen nach einer Lösung zu suchen, die in etwa so lauten kann: Ich kenne deine Meinung, du kennst meine. Ich werde dich nicht überzeugen und du mich nicht. Was hältst du davon, wir lassen das Thema außen vor?
Kommt dann ein Nein, dann ist klar, dass die Freundschaft keine Perspektive hat. Es sei denn, beide sind einverstanden, dass es bei den Treffen darum geht, sich gegenseitig überzeugen zu wollen.
Fazit: Es sind nicht die Unterschiede, die uns trennen, sondern die Art, wie wir mit Konflikten umgehen. Wie reagieren wir auf große Unterschiede – mit Angriff, Rückzug oder Starre? Bleiben wir in der Diskussion stecken oder öffnen wir unser Herz und sagen, was uns wirklich bewegt:
„Ich habe Angst, dich zu verlieren, und das möchte ich nicht.“ Am besten mit der Bitte um einen Moment Stille, bevor jemand mit einer Entschuldigung oder einem „Das stimmt doch gar nicht!“ reagiert. Denn wenn sich jemand verletzlich zeigt, gehört ihm oder ihr erst einmal der Raum. Nur dann löst sich die Angst oft schneller auf, als man denkt – und gemeinsame Lösungen können kommen.