Philosophische Kolumne
Es sind bewegte Zeiten – egal ob auf der globalen Weltbühne im Weißen Haus oder im eigenen Alltag, beim Sortieren der täglichen Informationsflut oder im Gespräch mit dem Nachbarn, der findet, dass sich im Land endlich mal was ändern muss und dann sei es auch egal, wie demokratisch es dabei zugehe.
Wie gehen wir mit Erschütterungen und Unsicherheiten um, um nach neuen Kriterien oder gar Weltordnungen zu suchen? Oder um in der Tradition philosophischer Fragestellungen zu blieben: Was können wir wissen, was sollen wir tun und worauf dürfen wir hoffen? Zumindest diese drei der vier alten Fragen, die der Aufklärer Immanuel Kant zur Grundlage philosophischer Überlegungen machte, scheinen aktueller denn je.
Versuchen wir uns also an einigen Antworten, auch wenn wir wissen, dass dahinter schon wieder die nächste Frage lauert. Aber darin muss kein Defizit, kein Mangel liegen, sondern das, was eine besondere Form der Gewissheit in unsicheren Zeiten auszeichnet. Etwas das wir aushalten müssen, wenn wir an die Grenze dessen stoßen, was wir wissen können. Zum konkreten Zeitpunkt und unter gegebenen Bedingungen.
Etwas zu wissen, bedeutet mehr als Informationen zu kennen. Es bedeutet, Informationen zu selektieren, in einen Zusammenhang zu bringen, sich abwägend mit Gründen für ebendiese Auswahl und Neuzusammensetzung zu beschäftigen und genau das in den Grenzen der eigenen Möglichkeiten zu formulieren und mit anderen zum Thema zu machen. In diesem Prozess geht es nicht immer um letzte Antworten, nicht um „Wahrheitsfindung“, sondern eine besondere Form der suchenden Praxis, die sich dem annähert, was wir für wahr halten können.
Diese Suche zeichnet sich durch eine besondere Haltung aus, die mitbringt, was wir derzeit vielfach vermissen: Akzeptanz vor dem, was wir als anders erleben, Respekt vor der Situation und möglicherweise dem Leid anderer und dem Streben nach einer gemeinsamen Perspektive, die nicht immer eine Lösung sein muss.
Umgeben sind wir leider sehr viel mehr von dem, was der US-amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt mit dem Begriff „Bullshit“ beschreibt. In einem Essay, der vor fast 20 Jahren veröffentlicht wurde, beschäftigt sich Frankfurt mit der damaligen Kommunikation auf der politischen Bühne der USA. Was er dort findet, ist das sprachliche Ringen um die bestmögliche Wirkung der Sprechenden – etwas, das sich am besten mit „Geschwätz“ übersetzen ließe.
Sprachliche Worthülsen, die sich nach Belieben an neue und andere Kontexte anpassen lassen, umhüllt von einem wohlklingenden Gewand aus Floskeln oder „Buzzwords“, die einen schönen Schein erzeugen. Dieser schwatzhafte „Bullshit“ folgt nur dem einen Zweck: Die eigene Wirksamkeit zu steigern.
Es geht nicht um Inhalte, oder den Wunsch, politische Tatbestände wirklich zu verstehen oder zu deuten, auch Wahrheit interessiert den Bullshitter schlicht nicht, so Frankfurt. Es sei denn, sie nützt der eigenen glänzenden Fassade bzw. dem Ziel, sich selbst zum Maß aller Dinge zu erklären. Das, was eine Rede zu „Bullshit“ werden lässt, erläutert der Philosoph weiter, liege in der Gleichgültigkeit, die der Bullshitter dem Bemühen gegenüber an den Tag lege, herauszufinden, wie die Dinge wirklich sind.
Ihm geht es nicht darum, Lügen zu verbreiten, also das explizite Gegenstück zu einer Wahrheit zu behaupten – selbst das sei ihm schlicht egal und kann morgen schon wieder ganz anders formuliert werden. Damit zeichnet sich „Bullshit“ im Sinne von Frankfurt durch die vollständige Abwesenheit einer Verbindung zu dem aus, was wir als Wahrheit anerkennen wollen.
Allein das Ego zählt
Wissen, Erkenntnis und Gewissheit greifen also nicht mehr als Kriterien für den Wert einer Aussage. Das Streben nach einer Wahrheit, um die wir möglicherweise auch ihrem Facettenreichtum ringen müssen, verliert seine Bedeutung als wegweisend, sofern wir dem, was wir als „Bullshit“ erleben, nicht entschieden entgegentreten und das Geschwätz als Strategiespiel mächtiger Egomanen entlarven. Was aber haben wir von diesem „Geschwätz“ zu befürchten? Was sind seine Konsequenzen?
Harry G. Frankfurt macht über die Rede hinaus ein „hochtrabendes und verblasenes“ Verhalten aus, das viele Menschen eint, die „Bullshit“ verbreiten, im Sprechen, ebenso wie im Handeln. Ziel ist allein die Darstellung des Eigenen als anzuerkennendem Maßstab, als mächtig und wirksam – einen Bezug zu einer höher geordneten Instanz oder Kriterien, die das Gute über das Eigene hinaus deutlich machen, existieren schlicht nicht oder nur als schillernde Worthülse, die Werte geltend machen will, an die sie sich selbst nicht hält.
In dieser Form des „Bullshits“ kommt eine Art nihilistischer Egomanie zum Tragen, die wir aktuell auf der politischen Bühne aller Ortens finden. Auf Kritik, Einwände oder andere Perspektiven, reagieren die hochtrabenden und verblasenen Verfechter der eigenen Wirksamkeit empört oder beleidigt und versuchen die vermeintlichen Kratzer auf der Fassade mit allen Mitteln zu bekämpfen. Wie also kann ein Diskurs im Austausch mit Vertretern des „Bullshits“ aussehen? Und welches Ringen um gemeinsame Wahrheiten ist vielversprechend, wenn die eigenen Kriterien kein Gehör finden können? Ist das nicht idealistisches Wunschdenken?
Möglicherweise, aber es ist die einzige Möglichkeit, auf Gleichgesinnte zu treffen, die die Ideale von Wissen, Erkenntnis und Urteilsvermögen, die Leitlinien einer nach Wahrheit und Wissen strebenden Aufklärung nicht aufgeben und weiter Antworten auf die Kantischen Fragen suchen wollen, die nicht in den Machtinteressen einzelner aufgehen können.
Mut zum gemeinsamen Selbstdenken
Besinnen wir uns also auf das, was wir zu denken in der Lage sein können und legen wir Widerspruch ein: Es braucht gerade jetzt ein „Sapere aude“, den Mut, sich seines Verstandes ohne fremder Hilfe zu bedienen, weil wir in der Lage bleiben wollen, auf etwas zu hoffen, das größer ist und weiter reicht, als das, was die gegenwärtigen Krisen und deren Verursacher sichtbar machen.
Dieses Wagnis einzugehen, laut zu werden und mit Hilfe von sich stetig wandelnden Gewissheiten auf eine Wahrheit zu vertrauen, der wir uns zumindest annähern können, ist derzeit alles andere als leicht und sicher nichts, was wir als Individuen allein vollbringen können – egal wie autonom und aufgeklärt auch immer.
Hier ist entscheidend, wie wir die letzte der vier Kantischen Fragen beantworten wollen: Was ist der Mensch? Ein Mängelwesen, unvollkommen und manipulierbar in einem Kampf aller gegen alle? Oder nicht vielmehr: Ein Fähigkeitswesen, das in der Lage ist, in Anfängen zu denken, wenn es sich gemeinschaftlich die Gestaltung einer pluralistischen Öffentlichkeit zur Aufgabe macht – die einzige Hoffnung, die wir uns derzeit nicht nehmen lassen dürfen. Um all dem „bullshit“ vielleicht keine eindeutigen Wahrheiten, aber zumindest ein machbares Maß an Wahrhaftigkeit entgegenzusetzen.