Zurück zur Selbstversorgung?

Cover Nico Paech 2025

Aktualisiertes Buch des Postwachstumsforschers Nico Paech

In der 2025 aktualisierten Neuauflage dieses Buches ruft der Wachstumskritiker Nico Paech dazu auf, die Wirtschafts- und Lebensweise zu transformieren. Denn die Ressourcen schwinden in rasantem Tempo. Es brauche regionale Selbstversorgung, mehr Zeit zum Reparieren, Gärtnern und mehr Genügsamkeit.

Text: Maria Köpf

Nico Paechs am 3. April 2025 erschienene Neuauflage zu seinem bereits vor zehn Jahren gefeierten Werk „Befreiung vom Überfluss“ liefert bereits im Vorwort eine schmissige Aussage, die Hoffnungen auf ein „Weiter so!“ zügelt:

„Es stellt sich längst nicht mehr die Frage, ob Krisen zum Motor des Wandels werden, sondern nur noch, wie diese gemeistert werden können. Die viel zitierte Formel „by design or by desaster“ bedarf also einer Korrektur, nämlich: by decentralized design and desaster.“ (Nico Paech)

Geht es nach dem Umweltökonomen, der an der Universität Siegen als außerplanmäßiger Professor lehrt, steht die Menscheit bereits am Abgrund. Denn unser Leben basiert auf einer Wirtschaft, die aufgrund von Wachstumsansprüchen und Ausbeutung von Mensch, Natur und Ressourcen, Grenzen überschreitet.

Es drohen riesige Verluste. Und das liegt schlicht daran, dass die Ressourcen (Erdöl, Erdgas, Cobalt, Holz, aber auch Freiflächen für etwa Wind- und Sonnenenergie) versiegen und das derzeitige Wirtschaftswachstum jederzeit zum Erliegen kommen kann.

Regional produzieren und tauschen

Das hehre Ziel seiner formulierten Postwachstumsökonomie: Störanfällige, lange Lieferketten ersetzen. So bringt er als Negativbeispiel die Lieferung eines Billigprodukts aus Fernost, das per Flugzeug oder Containerschiff nach Europa geliefert wird.

Der Gegenvorschlag: verstärkt regional stattfindender Handel, Gemeinschaftsnutzung und Tausch, Instandhaltungsreperaturen der Firmen und Eigenproduktion von Nahrung und mehr.

Paech schlägt staatliche Regularien vor, wie die Bezahlung von regionalen Aushilfsleistungen mit regionalen Währungen, die mit einem Negativzins belegt sind und an Wert verlieren, werden sie nicht „innerhalb eines bestimmten Zeitraumes ausgegeben“.

Die Vorteile einer mehr regional ausgerichteten Ökonomie wären: mehr Nähe zu anderen Menschen durch eine regionale Wirtschaft, mehr Kommunikation, mehr Austausch und vor allem: mehr Zeit.

Letzteres gelänge dem Autor zufolge durch eine Reduktion der Arbeitswoche von 40 Stunden auf 20 Stunden. Die anderen 20 Stunden sollten für andere Tätigkeiten reserviert werden wie Gärten anzulegen, Kleidung zu nähen, die Kinder anderer Familien zu betreuen oder gemeinnützig die Wohnung eines Nachbarn zu renovieren.

Um die Arbeitswoche zu halbieren, müsste verstärkt auf Handwerk und weniger innovative Technik gesetzt werden, wie in früheren Zeiten. Keine leichte Kost für Leser, die auf wertvolle Erfindungen der letzten Jahrzehnte verzichten sollen, die doch gerade in krisengebeutelten Zeiten hilfreich wären.

Zu gut, um wahr zu sein?

Schließlich klingt all dies beinahe zu grün und zu romantisch, um wahr zu sein. Bei näherer Betrachtung könnte ein gravierendes Ungleichgewicht entstehen: die einen wähnen sich nach ihrer 20-Stunden-Werkwoche endlich im sogenannten „Wochenrest“, den sie mit ihren Rückenschmerzen auch bitter benötigen, um wieder zu genesen.

Die anderen bepflanzen emsig eine genossenschaftliche Obstplantage, ihren Garten oder ein gemeinschaftliches Gewächshaus.

Die Tätigkeitslücke dürfte bald in neuen Ungleichheiten resultieren. Während die einen ihre Zuverdienste in Regionalwährungen oder in geldwerte Gegenleistungen eintauschen können, blieben die anderen spärlicher ausgerüstet.

Angesicht der globalen Krise und dem Schwinden von Ressourcen wäre es vielleicht einen Versuch wert. Aus Sicht von Paech würden wir ohnehin entweder von den Tatsachen zum Umdenken gezwungen oder wir nehmen unser Schicksal selbst in die Hand.

Ohne den Zusammenbruch derzeitiger Wachstumsökonomien ist jedoch sehr fraglich, ob eine demokratische Mehrheit Paechs Ideen absegnen würde.

Ein horizonterweiterndes Leseerlebnis

Das Buch ist in großen Zügen phänomenal durchdacht, doch im Ganzen nimmt es einen mit auf eine abenteuerliche Reise zu einer tieferen Wahrheit, der sich viele nicht stellen wollen: dass jeder verdiente, wachstumsgetriebene Euro hierzulande zu drastischen Konsequenzen in anderen Ländern und letztlich auch bei uns, vor allem in der Natur, führt.

Nico Paech nennt als Beispiel viele Zusammenhänge – von Lebenszyklusanalysen über Additionseffekte und die Komplexität organisierter Verantwortlichkeit. Auch würden grüne Produkte nur verschleiern, dass erneut Ressourcen angegriffen werden müssen, um grünere Produkte zu erzeugen und global zu verschicken.

Eine Lektüre, die den Leserinnen und Lesern nicht weniger abverlangt als anzuerkennen, dass die Auswirkungen für globales Unrecht nicht im Außen, sondern im alltäglichen Klick auf digitale Bestellkörbe und Einkauf nicht-regionaler Produkte zu suchen sind.

Ein Wunsch für eine nächste Auflage: Szenarien, die das eigene innovative Denken durchspielen und Gegenproben liefern, wären wünschenswert gewesen. Etwa Auswege, wie die ersten Länder, die eine solche Postwachstumsökonomie ausprobieren, diesen neuen Wirtschaftskurs einschlagen können, während viele andere Staaten bei der Wachstumsgesellschaft blieben.

Wenn die Wirtschaft regional aufgestellt wird, also eben nicht mehr global, könnten Menschen sukzessive das ganze System ins Wanken bringen. Etwa indem sie ins Nachbarland flüchten, das noch die alte Wachstumsgesellschaft zeigt, ihre Verpflichtungen über Bord werfen und eine Lücke hinterlassen.

Nico Paech. Befreiung vom Überfluss – das Update: Eine Postwachstumsökonomie für das 21. Jahrhundert. Komplett überarbeitete Neuausgabe des Degrowth-Klassiker, oekom Verlag 2025

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