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Verantwortungsvolles Weltverbessern

Foto: privat
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Philosophische Kolumne

„Ja, aber das willst Du nicht ernsthaft kaufen, oder? Du weißt schon, unter welchen Bedingungen das hergestellt wird?“ Ich nicke stumm und hänge das T-Shirt zurück an den Ständer, über dem in schreienden Farben das Wort „Sale“ prangt. Ja, meine Freundin hat Recht, hat sie wirklich. Doch ich bin langsam an meiner Grenze angelangt.

Zuvor hatten wir schon über Kerzen ohne Palmfett, Brötchen ohne Gluten, Gurken ohne Plastikverpackung und Weine ohne veganen Etikettenkleber gesprochen, während ich mit ihr einen Kaffee- bzw. einen Sojalatte im Bambusbecher (ist das eigentlich okay?) getrunken habe. Sie hat Recht, immer – und ich ständig ein schlechtes Gewissen. Aber wie gelingt es bloß, alles gut und richtig zu machen?

Ein verantwortungsvoller Konsument, selbstbestimmter Erwachsener, politisch denkender Bürger zu sein und das auf schriftlichem Weg jetzt lieber mit dem Gender_gap oder dem großen“ I“? Bei jeder dritten Entscheidung habe ich das Gefühl einen Fehler zu machen, gegen Prinzipien zu verstoßen, die ich mir eigentlich hätte setzen müssen, aufgeklärt und privilegiert wie ich bin.

Studien haben dieses und jenes bewiesen und eigentlich ist es dann aber doch auch wieder für alles schon zu spät – Europa geht den Bach runter, die Rechten erstarken, das Bildungssystem kollabiert, der demographische Wandel kommt und der Klimawandel ist schon da. Also – was tun, wenn nicht verzweifeln und in irgendeinen Winkel der Erde auswandern, in dem ich mein Obst und Gemüse selbst anbauen kann? Ein Ort, an dem ich kein Netz und schon gar keine Chance habe, meine ersten verschrumpelten Möhren mit den Prachtexemplaren der Urban Gardener aus der letzten Ausgabe der „Landlust“ zu vergleichen.

Also, kurz innehalten und bei all dem Lärm innen und außen doch einmal die stoische Frage ernst nehmen, was eigentlich wirklich in „meiner Macht“ steht: Welche Welt gilt es zu retten, zu verbessern oder zumindest zum Thema zu machen? Die ganze weite Welt da draußen, meine eigene, die politische, soziale oder geht es eher um das konkrete Projekt in der Nachbarstraße, in dem sie sich für die Beschaffung von Fahrrädern in Afrika einsetzen?

In all diesen Fragen dreht es sich letztlich um einen einzigen Begriff, der offenbar in sehr wandelbaren Gewändern sichtbar wird und jedes Mal eine neue Frage stellt: Es geht um Verantwortung. Wenn ich Verantwortung übernehme, bedeutet das zunächst einmal nicht mehr, als sich ernsthaft darum zu bemühen, eine Antwort zu geben oder eine Lösung zu finden.

Der Begriff der Verantwortung geht zurück auf das lateinische Wort „respondere“ – also „antworten“. In der Vorstellung, Verantwortung zu übernehmen, steckt damit die Annahme, dass wir auf uns gestellte Fragen eine Antwort geben können, und zwar nicht irgendeine, sondern eine, die wir begründen und verteidigen können.

Ein Richter sollte in der Lage sein, verantwortungsvoll Urteile zu treffen, weil er qua Ausbildung und Wissen dazu in der Lage ist, ein zehnjährige Junge aber wird diese Aufgabe nicht meistern können. Aber auf welche Fragen unseres täglichen Lebens können wir wahrhaft „gute Antworten“ geben und in welchen Bereichen bemühen wir uns überhaupt darum?

Unmöglich, sich gleichzeitig um das Fahrradprojekt in Afrika, die kommunale Bildungsmisere, die vegane Ernährung in der neugegründeten Kita und das tägliche Mittagsessen zuhause zu kümmern, was mich möglicherweise zu einer schlechten Mutter machen könnte. Wie also setze ich Prioritäten, um kompetent genug zu sein und zuständig zu werden, wie finde ich gute Gründe für meine Entscheidungen, an einigen Stellen verantwortlich zu handeln, um das an anderen auch anderen zu überlassen?

Um diese Fragen zu klären, hilft die Überlegung nach einer möglichen „Tatherrschaft“ des Menschen, die bis in die Antike zurückgeht: Wir können uns für oder gegen das Gute entscheiden, können wissen, was wir tun und wenn wir es nicht mehr wissen, sollten wir innehalten und uns überlegen, warum das so ist bzw. was wir daran ändern können. Was also kann ich vor mir selbst verantworten?

Verantwortung hat immer damit zu tun, das persönliche Bemühen ernst zu nehmen, im Rahmen des eigenen Möglichen das Beste zu tun – damit gehen wir in Vorlage, geben ein Versprechen, aber keine Garantie. Darin liegt kein Freifahrtschein, es ja letztlich ohnehin nicht alles schaffen zu können, und dann doch zum Billigfleisch im Discounter zu greifen, sondern im Gegenteil die Ernsthaftigkeit, den Rahmen des „Möglichen“ wirklich in den Blick zu nehmen.

„Verantwortung ist immer konkret“ hat Karl Jaspers gesagt, „sie hat eine Adresse und eine Hausnummer“, es heißt, sie ruft uns auf, hinzusehen und tätig zu werden – das ist aber etwas anderes als die eigene Empörung als negativ verdrehten Narzissmus (J. Kristeva) vor sich her zu tragen und eine Negativschlagzeile nach der anderen zum Besten zu geben: Denn das macht die Welt leider auch nicht besser.

Ina Schmidt, 4. Dezember 2018

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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