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Stolpernde Einsichten und Knitterfalten des Denkens

Foto: privat
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Philosophische Kolume

Es war nur eine Postkarte über einem Schreibtisch, eine Postkarte, die in einem Interview erwähnt wurde – selbst ohne jede Bedeutung, sondern eher um eine Geisteshaltung des Interviewten zu illustrieren, die den Interviewer offensichtlich irritierte. Wer diese beiden Gesprächspartner waren, habe ich vergessen. Es war und ist nicht wichtig: „Ich habe kein Recht auf die Konsequenzen meines Tuns“ – das stand auf dieser Karte.

Zunächst überlas ich diesen Satz und wollte mich auf den Weg in den nächsten Absatz machen, stockte dann aber, stolperte über meine eigenen Gedanken, die sich nicht mehr sicher waren, welchen Weg sie nehmen sollten. Was war passiert? Es gibt diese Momente, in denen uns eine Einsicht trifft, die nicht mühsam erarbeitet werden wollte, sondern sich uns mit einem fast lächelnden Zug um den Mund in den Weg stellt.

Zu dieser Einsicht gesellte sich in eben diesem Moment ein Gefühl, als wäre ich dabei erwischt worden, mich selbst als philosophierend zu rühmen und damit reflektierter und abstrahierender Denkweisen zumindest in Ansätzen für fähig zu erklären, um dann doch in Denkwelten unterwegs zu sein, die ich doch eigentlich so kunstvoll ablehnte. Denn – was genau bedeutet es, ein Recht auf die Konsequenzen meines Tuns anmelden zu wollen? Was ist in diesem Zusammenhang ein Recht, wo beginnt das, was wir als „Tun“ beschreiben wollen und wie steht es um die Kausalität, die wir darin stillschweigend zugrunde legen?

Natürlich arbeite ich wie selbstverständlich tagtäglich mit Erwartungen, die auf genau dieser Kausalität beruhen: Wenn ich dies tue, dann könntest Du doch wohl auch, oder? Ich mache das doch nur, damit dies oder jenes… Nun habe ich mich so angestrengt, da kann ich doch erwarten, dass…und so weiter. Was also wäre, wenn ich die Dinge, die ich tue, nicht oder zumindest weniger in Erwartung auf etwas anderes tue, auf eine Reaktion, eine Konsequenz, eine Wirkung, sondern aus anderen Gründen?

Welche Gründe könnten das sein oder müssten es sogar, damit die Vorstellung „im Recht“ zu sein, nicht auf ein messbares Ergebnis der Konsequenzen meines Tuns angewiesen sein muss? Aber meint dieses „Recht“ nicht wiederum ein anderes, als das, was auf der Postkarte geschrieben stand? Ich habe kein „Recht“ – was nicht bedeutet, dass ich nicht „Recht“ habe, sondern, dass ich kein Anrecht darauf habe, dass sich die Welt und all das, was sich darin bewegt, für meine Erwartungen interessiert geschweige denn sich bemühen sollte, diesen Erwartungen gerecht werden zu müssen.

Woran also messe ich das, was ich tue, wenn ich nicht weiß, was daraus wird? Es gibt Dinge, in denen diese Problematik nicht gravierend ist, weil die Folgen trotz aller Unbeständigkeit wahrscheinlich sind. Wenn ich eine Blume pflanze und sie gut pflege, wird sie im Sommer wahrscheinlich blühen, wenn ich mir jeden Tag die Zähne putze, dann wird sich das sicher auch auszahlen, aber auch wenn ich meinen Job gut mache, und gut für meine Kinder sorge, werde ich die Güte meiner Handlung nicht zwingend an den Folgen ablesen können.

Mit diesen Gedanken stecken wir mitten in Überlegungen zu dem, was wir als Unterscheidung einer gesinnungsethischen von einer verantwortungsethischen Position spätestens seit Max Weber zu unterscheiden wissen: Ist es der „gute Wille“, die Gesinnung oder das Streben nach dem Guten, was unser Handeln als wertvoll und tugendhaft auszeichnet oder misst sich ebendies an den Konsequenzen dessen, was ich tue und dadurch vielleicht an Gutem zu erreichen versuche?

Der Philosoph Robert Spaemann hat diese dualistische Gegenüberstellung bereits als schwer haltbar herausgearbeitet, weil es auch jedem Gesinnungsethiker um ein Tun geht, das über die Gegenwart hinaus Früchte trägt und Folgen hat, die seiner Gesinnung entsprechend ausfallen, und ein Verantwortungsethiker wohl kaum auf die Güte der Folgen seines Tuns referieren könnte, wenn er keine „gute Gesinnung“ vorzuweisen hätte.

Aber – im Fall unserer Postkarte kommt ein wichtiger Gedanke hinzu – nämlich der durchaus menschliche Anspruch, zu glauben, man könne seinem Handeln gewisse Konsequenzen zuweisen, die wir als Handelnde für uns in Anspruch nehmen dürfen – egal ob als Gesinnungs- oder als Verantwortungstethiker. Darin zeigt sich gewissermaßen eine dritte Komponente neben dem eigenen guten Willen, und der möglichen Folgenabschätzung. Nämlich die wichtige Frage, welchen Einfluss wir in diesem Zusammenspiel wirklich haben – bei allem notwendigen Bemühen um das richtige Handeln dann.

Das heißt nicht, dass wir nicht unser Menschenmögliches tun müssen, um dies oder jenes zum Besseren zu verändern, es heißt aber auch, dass dieses Menschenmögliche nicht allein von uns Menschen abhängt und unser kausales Denken darin oftmals nicht mehr beschreibt – wie Hannah Arendt es schon treffend auf den Punkt brachte – als „ein Spiel des Verstandes mit sich selbst“.

Diese Einsicht, dass wir den Versuch wagen müssen, gewünschte Konsequenzen auf den Weg zu bringen, darauf aber kein Recht haben können, weist uns ethisch auf existenzielle Weise in unsere Schranken, und hat mich an diesem ganz normalen Nachmittag in ein stolperndes Denken gebracht, das einmal mehr den eigentlichen Wert der Philosophie offenlegt.

Dieses Stolpern wahrzunehmen, es nicht zu übergehen, die knittrigen Falten des Denkens nicht einfach glattzustreichen, sondern sie selbst in den Blick zu nehmen, um mir darin klar zu machen, dass ich mich nach Kräften denkend bemühen, und mir dennoch dabei in die eigene Falle gehen kann.

Dankbar für diese Postkarte habe ich also beschlossen, den Rest des Interviews nicht zu lesen und mich mit ebendiesem Gedanken zurückzuziehen, auf die Kleinheit eines nichtkausalen Denkens, in dem sich gerade das zeigt, was seine eigentliche Größe ausmacht – indem es uns jedes Recht auf Konsequenzen entzieht.

Ina Schmidt, 1. Februar 2021

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