Alternative Betriebskindergärten

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Kinderbetreuung neu gedacht

Betriebliche Kitas helfen Mitarbeitenden in Unternehmen, Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Christina Ramgraber hat mit David Siekaczek einen Anbieter für betriebliche Kitas gegründet, die „sira Kinderbetreuung“. Mike Kauschke berichtet, wie sich das Start-up entwickelt hat und wie man Kitas neu denken kann.

Wie es dazu kam, dass Christina Ramberger als Betriebswirtin im Bereich Kinderbetreuung ein Start-up gegründet hat? „Mein Gründerkollege David und ich haben in einem Vertriebsjob zusammengearbeitet. Bei vielen gemeinsamen Projekten haben wir festgestellt, dass wir gut miteinander arbeiten können.“ Unabhängig voneinander sind beide zu dem Entschluss gekommen, das Unternehmen zu verlassen, weil sie diese Arbeit nicht mehr ausfüllte. Im Austausch überlegten sie gemeinsam, etwas zusammen zu machen.

In ihrer Studienzeit hatte sie bereits das Thema Fachkräftemangel beleuchtet. Ihre Abschlussarbeit untersuchte, was in verschiedenen europäischen Ländern den Fachkräftemangel verstärkt. Als ein Aspekt dabei zeigte sich, dass betriebliche Kinderbetreuung die Mitarbeiterenden unterstützt, nach einer Elternzeit schneller wieder in den Betrieb zurückzukehren und Beruf und Familie optimal zu vereinbaren.

Als Betriebs- und Volkswirte haben David Siekaczek und sie überlegt, ob sie ein Geschäftsmodell für das Angebot solcher betrieblichen Kinderbetreuung erarbeiten können. „Wir haben gemerkt, dass Unternehmen davor zurückschrecken, selbst eine Kinderbetreuung einzurichten, weil dieser Bereich sehr stark reguliert ist.“ Sie begannen, Ferienbetreuungen zu organisieren und für ein großes Banken den Träger für eine Kinderkrippe zu finden, den sie dann im Projektmanagement begleitet haben.

„Zunehmend haben wir verstanden, dass es gut wäre, wenn sich nicht nur große Unternehmen dieses Themas annehmen würden, sondern auch die Zulieferer dieser Unternehmen, die nicht über die gleichen Mittel verfügen.“ Sie überlegten, was man Unternehmen anbieten könnte, die ihren Belegschaften Kinderbetreuung bieten wollten, aber nicht über so viele Mitarbeitende und finanzielle Mittel verfügten, um es innerbetrieblich zu organisieren.

Mini-Kitas: Bewusste Gestaltung der Kultur

So sind sie auf die Betreuungsform der Mini-Kitas gekommen, haben eine gemeinnützige Trägergesellschaft gegründet und sind seit 2017 sehr stark gewachsen. Viele kleine Unternehmen mit 100 bis 500 Mitarbeitern haben gesehen, dass sie sich auf dieser Ebene beteiligen können, und so ist die Nachfrage immens. Sie haben Clusterprojekte gegründet, wo sich mehrere Unternehmen zusammentun, um eine Mini-Kita zu finanzieren.

Christina Ramberger, Foto: sira

In diesem Prozess erarbeitete das Team ein innovatives inhaltliches Konzept für Kinderbetreuung. Ramgraber: „Im Gründungsprozess haben wir gemerkt, dass die Arbeitsbedingungen in der Kinderbetreuung oftmals nicht optimal sind, z. B., dass eine pädagogische Fachkraft den ganzen Tag allein mit 15 Kindern bestreiten muss. So entstand die Idee, auch die Form der Kinderbetreuung neu zu gestalten, so dass Erzieherinnen und Erzieher eine entspannte, kreative, stressfreie Umgebung erfahren. „Deshalb haben wir die Kultur unserer Einrichtungen ganz bewusst gestaltet.“

Zunächst befragten sie alle Pädagogen, die sie kannten, was ihnen wichtig ist. Dabei zeigten sich drei Hauptthemen. Das erste war das Bedürfnis, mit Menschen zusammenzuarbeiten, denen man vertrauen kann. Aus diesem Grund wurden Teambewerbungen eingeführt für zwei bis drei Pädagogen, die gern zusammenarbeiten möchten.

Ein zweites Bedürfnis war, dass Pädagoginnen die Umgebung und die Arbeitsmaterialien gern selbst aussuchen würden. Im laufenden Betrieb gibt es dementsprechend Monatsbudgets, die für die Beschaffung von pädagogischem Material frei zur Verfügung stehen.

Der dritte Punkt, der vielen wichtig war, bestand darin, eine kleine stabile Gruppe von Menschen zu haben, die für sie Ansprechpartner sind. Sie wollten nicht so viel Zeit damit verbringen, um komplizierte Absprachen zu treffen.

„Die ganze Stadt ist unser Garten“

Wie muss man sich so eine Mini-Kita vorstellen? Ramgraber: „Das sind Räume um die 100 Quadratmeter, die wir in ehemaligen Laden- oder Büroflächen im Erdgeschoss anmieten. Dort betreuen zwei bis drei Pädagogen zwischen 9 und 12 Kinder.“

Die Standorte haben meist keine Außenfläche direkt am Gebäude, genutzt werden die Möglichkeiten vor Ort wie Parks und Spielplätze nach dem Motto: Die ganze Stadt ist unser Garten. So möchte sira den Kindern beibringen, dass sie den Lebensraum Stadt für sich nutzen können und dürfen.

Die Wiesen, die Bäume, die Spielmöglichkeiten in der Stadt können die Kinder als Gestaltungsraum erleben. Dazu gehört auch der Weg zum Spielplatz. Der Tagesablauf wird dabei den Bedürfnissen der Kinder stets angepasst, was durch die kleinen Gruppen gut umsetzbar ist.

Mehr Gestaltungsfreiheit für Pädagogen

Die Pädagoginnen und Pädagogen haben viel Gestaltungsfreiheit vor Ort bei der Kinderbetreuung. Die Bildungspläne der Länder sehen vor, dass Kinder z. B. Resilienz erlernen, ihre motorischen Fähigkeiten ausbilden können. Das Wissen darüber bringen die Erzieherinnen schon aus ihren sehr umfangreichen Ausbildungen mit, so Ramberger.

Foto: sira

Sie wissen auch, welchen pädagogischen Ansatz sie bevorzugen und haben häufig entsprechende Fortbildungen besucht. So bietet sira u.a. zwei Standorte mit tiergestützter Pädagogik an, die mit speziell trainierten Hunden arbeiten. Wenn die Teams beginnen, schreiben sie ein Hauskonzept, in dem sich sira als Träger widerspiegeln muss, aber eben vor allem die Umsetzung der Bildungsziele im Team vor Ort.

Bei der tiergestützten Pädagogik gibt es z. B. Hundezeiten. Wenn sich der Ansatz an der Montessori-Pädagogik orientiert, wird auf viel Freispielzeit geachtet. So werden die Kinder in ihrer Selbständigkeit gefördert. Bei allen Ansätzen sollen die Kinder erfahren, dass sie Entscheidungen treffen können, aber gleichzeitig nicht allein sind und sie unterstützt werden, wenn sie Hilfe brauchen.

Für die Umsetzung des jeweiligen Ansatzes ist das Betreuungsteam selbst zuständig. Wenn ein Team Fragen zur Pädagogik oder zur Organisation hat, gibt es Unterstützer als erste Ansprechpartner. Das sind meist ehemalige Leitungen von großen Kitas, die die Teams in der Umsetzung ihres Betreuungsansatzes unterstützen.

Unternehmenskultur fördert Eigenverantwortung

„Das Wichtigste für uns ist, dass sich die Kinder, die Eltern und die Betreuungsteams in einem achtsamen und glücklichen Umfeld entfalten können“, so Ramberger. Wenn sich die Kollegen mit ihrer Idee von Pädagogik entfalten können, dann überträgt sich das ihrer Ansicht nach auch auf die Kinder und Eltern.

In ihrer Rolle als Geschäftsführerin erforscht sie in einem Coachingprozess, welche Möglichkeiten es gibt, mit weniger Hierarchie und mehr Selbstführung zu arbeiten. Mit zehn Leuten ist das gut möglich. Aber wir haben mittlerweile 90 Mitarbeitende und da ist es nicht ganz so einfach. “Wir als Team möchten zeigen, dass es auch mit vielen Mitarbeitenden möglich ist, ein Unternehmen anders, als wir das bisher gewohnt sind, zu führen und zu organisieren.“

Wenn die Unternehmenskultur von den Mitarbeitenden verinnerlicht wird, hängt das nicht von der Unternehmensgröße ab. „Wir leben ja nur etwas, was die Menschen in ihrem privaten Leben eh schon machen: Jeder trägt Verantwortung für sich selbst, für seine Familie. Warum sollte es nicht möglich sein, diese Verantwortung auch in der Arbeit zu übernehmen.“

Sie freut sich, dass sie gemeinsam mit ihrem Partner David Siekaczek als Fachfremde neue Akzente setzen kann. „Vielleicht können wir gerade mit dem frischen Blick junger Start-up-Gründer Althergebrachtes hinterfragen und Impulse für neue Formen der Kinderbetreuung geben.“

Mike Kauschke, Alle Fotos: sira

Foto: sira

sira wurde 2012 von Christina Ramgraber und David Siekaczek in München gegründet. sira Projekte GmbH übernimmt den Aufbau der Mini-Kitas für die Kooperationspartner, die sira Kinderbetreuung gemeinnützigeGmbH verantwortet als Träger den laufenden Betrieb der Mini-Kitas. Die Vision von sira ist Vereinbarkeit von Familie und Beruf die Förderung von Bildungsgerechtigkeit durch den Ausbau der frühkindlichen Betreuung. Mehr: www.sira-kinderbetreuung.de

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