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Arbeiten wie im Wohnzimmer

Sabine Breit
Sabine Breit

Zufriedenheit als Gratmesser für den Erfolg

Anke und Rino Kasch haben es gewagt: Sie haben einen Laden eröffnet, in dem sie all das verkaufen, was sie selbst gut finden. Entstanden ist ein Ort, der Menschen verbindet, an dem sie selbst und andere sich zu Hause fühlen. Das ist der Gradmesser für ihren Erfolg.

 

 

Das Pfeffertörtchen in Buxtehude ist weder ein Bistro noch ein Café und auf keinen Fall eine Kneipe. Und doch von allem etwas. Weil es in keins der bekannten Kästchen passt, nenne ich es nur „mein zweites Wohnzimmer“. Ein Ort, an dem ich mich nicht verzieren oder aufrüschen muss, wo ich in Ruhe gelassen werde, zuweilen meinen Laptop aufklappe, mit Anke ein Gespräch zur politischen Lage führe oder Rezepte austausche. Ein Ort, an dem sich Freundschaften entwickeln und Kinder groß werden. An dem man Teil einer wohltuend gelassenen, losen Gemeinschaft sein kann.

Wie sind Menschen beschaffen, die einen Ort schaffen, der zum Wohlergehen von vielen beiträgt? Rino und Anke Kasch betreiben nicht nur das Pfeffertörtchen, sie sind das Pfeffertörtchen, und das Pfeffertörtchen ist wie sie. Das war auch die Idee. Wie ihr Zuhause sollte ihr „Laden“ werden. Ein Ort, an dem sie sich selbst wohlfühlen und an dem die Gäste sich fühlen sollen, als wären sie bei den beiden zuhause zum Essen eingeladen. „Heimelig“ sollte es sein.

Es begann als eine Art „Gemischtwarenladen“ für Schönes und Leckeres mit angeschlossenem Café. Über die Zeit wurden die Dekoartikel immer weniger, die Feinkost blieb. Dann wurde die Gastronomie Schritt für Schritt aus- und das Pfeffertörtchen komplett umgebaut.

Eine lebendige Gemeinschaft

Heute ist das Pfeffertörtchen zumeist von Stammgästen besiedelt. Die Gastgeber kennen jeden ihrer Stammgäste. Sie wissen was sie am liebsten essen und trinken, wann wer im Urlaub ist oder wer was weiß und kann (falls es mal ein anderer von uns braucht).

Sie sind aufmerksam. Und so sind wir es auch: Gäste bringen während der Renovierung Kuchen und Brötchen vorbei. Andere helfen mal schnell beim Spülmaschine ausräumen, wenn die Aushilfe an einem chaotischen Tag ausgefallen ist. Wieder andere fragen Anke und Rino angesichts eines Wasserschadens, ob sie finanzielle Hilfe brauchen. Oder sie bringen Pralinen oder Blumen mit, als Dankeschön dafür, dass die beiden immer so gut für sie kochen.

Was Anke auch nach acht Jahren noch verblüfft: „Ich denke mir manchmal: Sag mal, ich bin doch ein Laden. Ich muss doch für euch lecker kochen, damit verdiene ich mein Geld. Die Leute sind einfach zuckersüß. Es ist unglaublich, was du für ein Feedback kriegst. Und das ist für mich Erfolg. Wenn die Leute mit dieser unglaublichen Dankbarkeit das annehmen und lieben, was ich mir ausdenke.“

Aus der Not geboren, in Liebe gewachsen

Ein Erfolg, den Anke und Rino nie wirklich geplant hatten. Vielmehr kam Gastronomie als Broterwerb für Anke jahrzehntelang nicht in Frage, obwohl oder vielleicht auch weil sie aus einer Familie von Gastronomen kommt. Anke war eigentlich Großkundenbetreuerin in einer Medienagentur, Rino Beamter. Beide in führenden Positionen, mit einem stattlichen Gehalt und einer großen Jugendstilvilla mit ebenso großem Garten.

Sabine Breit

„Nie im Leben denkst du, dass du mal aus deinem Job rausgehst“, so Anke. „Selbst wenn du mal unzufrieden warst. Rino war Beamter, und ich konnte doch nur Media. Du ziehst gar nichts anderes in Betracht. Selbständig sein stand einfach nicht in meinem Register“. Und dann eben doch. Irgendwann fing es an, in Anke zu rumoren.

Ihre Arbeitswelt veränderte sich. „Ab 2004 wurde ich in meinem Job immer unzufriedener. Zum einen gab es auf einmal komplett realitätsferne Zielvorgaben aus der Zentrale in den USA. Dann konnte ich meine Kreativität immer weniger einbringen. Außerdem ging es zu dieser Zeit los, dass auf Kundenseite nur noch Einkäufer saßen. Da ging es nicht mehr um Qualität oder gute, langjährige Geschäftsbeziehungen, sondern nur noch um den Preis. Die haben Medialeistungen eingekauft wie Bleistifte. Irgendwann machst du dann halt deinen Job, du machst ihn immer noch gut, aber dein Herz ist nicht mehr dabei.“

Nachdem Mitte 2009 ein Großkunde wegbrach, rechnete Anke mit der kurzfristigen Kündigung. So wurde aus den Gedankenspielen, irgendwann mal einen Laden zu haben „in dem wir alles verkaufen, was wir selbst gut finden“, plötzlich Ernst. Anke fing an akribisch zu planen, machte Standortanalysen, sah sich nach einem Geschäftslokal um. Als dann drei Monate später doch nicht die Kündigung kam, war sie fast traurig – um die schöne Abfindung, die sie bekommen hätte. Denn der Entschluss für die Selbstständigkeit stand fest.

Wenn man Anke fragt, war es nicht wirklich ein Entschluss: „Das ist unterbewusst. Rino und ich sind ja so ein Power-Pärchen. Seit wir uns kennen, sind wir nur am Renovieren, Garten anlegen etc. Wir lassen permanent etwas entstehen. Weil wir Lust drauf haben.“

Stets vertraut und doch immer wieder anders

So entstand das Pfeffertörtchen. Was nicht heißt, dass der Schöpfungsakt damit abgeschlossen wäre. Vielmehr hat „der Laden“ in den acht Jahren seines Bestehens bereits mehrere Metamorphosen durchlaufen. Manche Dinge bleiben gleich, damit man etwa sein Lieblingsgericht immer findet: „Zuhause kochst de ja auch nicht an 365 Tagen im Jahr immer was anderes“, so Anke. Anderes wandelt sich.

Anke und Rino sind experimentierfreudig. Funktioniert eine Idee für alle – für die Gäste und für die beiden – bleibt sie. Wenn nicht, geht sie wieder. Wie kriegt man diese Leichtigkeit hin, frage ich Anke. Wie entscheiden die beiden, was sie ausprobieren?

„Eigentlich gar nicht“ fasst Anke lachend zusammen. „Das lebst du. Das entscheidest du nicht. Du trägst das so mit dir rum. Das fängt bei uns immer an mit: „Das wäre doch toll, oder?“ Dann trägt das jeder im Kopf rum, und plötzlich ist es da. Einer von uns sagt irgendwann: Komm, wir machen das mal. Mit dem Namen war das genauso. Ich wollte irgendwas, in dem süß und herzhaft drin ist, und irgendwann war der Name da.“

Hohes Maß an Gelassenheit

Diese Gelassenheit in den Dingen zeigt sich in jeder Hinsicht: „Mit Konkurrenz haben wir überhaupt kein Problem. Null! Und wir tragen hier drin auch keine Kriege aus. Das ist nicht unsere Persönlichkeitsstruktur. Das ist tiefenentspannt hier. Deshalb arbeiten wahrscheinlich auch unsere Mädels so gerne bei uns“, so Anke.

Zum Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen dürfte auch beitragen, dass sich das Gros der Gästeschar ebenfalls durch ein hohes Maß an Gelassenheit auszeichnet. Es wird viel gelacht, Kunden begrüßen Anke und Rino mit einem liebevollen „Moin, Freaks“. Man erlebt es kaum, dass irgendeiner drängelt oder rumnörgelt.

Das ist zum einen kaum verwunderlich, weil man eben das anzieht, was man ausstrahlt. Es ist aber auch der Tatsache geschuldet, dass Rino und Anke auch für sich und ihre Mitarbeiterinnen Respekt einfordern. Den eigenen Frust am Personal auszulassen ist nicht drin.

„Ich habe kein Problem damit, wenn ein Kunde mal schlecht drauf ist. Aber wenn mir jemand richtig blöd kommt, lass ich mir das nicht gefallen. Natürlich ist der Kunde König. Aber da ist halt noch jemand, und manchmal geht es darum, Grenzen aufzuzeigen. Aber dann vertragen wir uns auch immer ganz schnell wieder“.

Diese ganz besondere Freiheit

Also immer Friede, Freude, Eierkuchen im Pfeffertörtchen? Gibt es nichts, was Anke an den Nerven zerrt und damit auch ihren Laden vor Zerreißproben stellt? „Diese Gängelei durch den Staat“, stöhnt Anke. „Diese Bürokratie. Als Unternehmer stehst du unter Generalverdacht. Dabei kann der kleine Mittelstand zum einen alles ausbaden, was die Großkonzerne verbockt haben. Die treiben Schindluder mit Daten, kommt die DSGVO. Befürworte ich als Bürgerin sehr, aber als Kleinunternehmer treibt es dir den Schweiß auf die Stirn.

Und dann der tägliche Wahnsinn: Jeden Kaffee, den du verschenkst, wenn Kunden eine Zehnerkarte voll haben, musst du dem Finanzamt melden. Die Kühlschranktemperatur täglich dokumentieren, alles aufschreiben, was zu Bruch gegangen ist, dokumentieren, was jeder Mitarbeiter hier isst und trinkt. Dieser Aufwand ist kaum noch zu bewältigen. Und trotzdem hast du ständig Angst, dass du doch irgendwas übersehen hast. Was könnte ich alles noch machen, wenn ich nicht ständig damit beschäftigt wäre, irgendwelche Auflagen ohne Sinn und Verstand zu erfüllen.“

Trotz allem würde sie ihr heutiges Leben nicht mehr gegen ihr altes eintauschen wollen. Was sie an ihrem alten Job vermisst, sind sechs Wochen bezahlten Urlaub und bei Krankheit einfach im Bett liegen bleiben zu können. Aber die Freiheiten, die sie trotz all der Bürokratie gewinnt, zählen viel mehr. Gestalten zu können, wie es den beiden in den Sinn kommt. Ändern. Hübscher machen.

„Das man sich immer wieder neu erfindet, das ist ja das Schöne daran“, so Anke. „Wenn wir doch mal einen Durchhänger haben, machen wir Gulasch. Also wenn’s als Mittagstisch Gulasch gibt, is uns nix anderes eingefallen. Ansonsten ist der Laden mein Ruhepol. Ich gehe da rein, und meine Sorgen fallen ab. Egal, wie anstrengend es manchmal ist. Und wenn ein Tag vorbei ist, ein Monat oder ein Jahr und du Revue passieren lässt, was so war, denkst du Dir: Also Kinders, ich liebe euch alle.“

Sabine Breit

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