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Volodymyr Baleha/ shutterstock.com
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Wie eine junge Frau ihr Trauma heilte

Die Journalistin Agnes Polewka, 32, hatte einen traumatischen Unfall, der ihr unbeschwertes Leben jäh beendete. Hier schreibt sie über ihr Trauma und wie schreckliche Erlebnisse Urvertrauen vernichten. Und sie zeigt auf, was hilft, wieder ins Leben zu finden, zum Beispiel ein soziales Netz und den Glauben an das Gute.

Ein Trauma pirscht sich langsam heran und schlägt dann mit voller Wucht zu. Der menschliche Körper ächzt oft schon unter Schmerzen, wenn es vorbeischaut. Oft begleitet von einer Hintergrundmelodie: Bremsgeräusche eines Autos, ein dumpfer Knall, der schrille Ton eines Herzmonitors. Manchmal hat es auch Gerüche im Gepäck. Feuchte Erde, verkohltes Fleisch, Bierdunst. Und: Es erweitert den Blick, auf das Leben und die Menschen darin, bis in die tiefsten Ränder hinein.

Ich schreibe diesen Text, weil das Trauma auch in mein Leben getreten ist. Krachend. Gleich nachdem ich auf der Motorhaube eines weißen BMW X5 gelandet bin, durch die Luft flog, zurück auf die Straße geschleudert wurde, über den nassen Asphalt abrollte. Den Aufprall und die „Flugbahn“ habe ich vage rekonstruiert, anhand meiner Schrammen, den blauen Flecken, den tauben Stellen an meinen Körper. Und den schmerzenden, den gebrochenen. Meine Erinnerung an diese Sekunden ist getilgt. Diagnose: Teilamnesie – Trauma, 1. Akt.

Das nächste Mal begegnen wir einander auf dem Nachhauseweg vom Krankenhaus. Ein Auto biegt nach rechts ab, steuert auf uns zu. Ich sehe es aus dem Augenwinkel. Mein rechtes Knie, frisch operiert, fängt unkontrolliert an zu zucken. In meinem Kopf entspinnt sich ein Furchtnetzwerk. So nennen Wissenschaftler starke Reize – Gedanken, Erinnerungen und Empfindungen – die sich miteinander verbinden und strukturelle Spuren in unser Gehirn fräsen. Jedes weitere traumatische Erlebnis in meinem Leben wird das Furchtnetzwerk stärken. Mit ihm auch die Angst, die größer und zum alles beherrschenden Gefühl werden könnte.

Entkoppelt sich die Furcht von dem, was passiert ist, steigt mein Risiko für Traumafolgestörungen wie eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die sich wie ein Schleier über mein Denken und Fühlen legen könnte. Dann würde ich meinen Unfall wieder und wieder erleben. Das würde mich rasend machen, rastlos. So sehr, dass nur noch ein Ausweg bliebe: mich allem zu entziehen, was einen Gedanken daran auslösen könnte, Psychologen nennen das Vermeidung. Die Summe all dieser Symptome macht laut American Psychiatric Association die PTBS aus.

Ein Trauma kann unser Urvertrauen zerstören

Wie oft Traumata auftreten und wie heftig, lässt sich nicht pauschal sagen. Wie alt wir sind, in welcher Gesellschaft wir leben, welchen Job wir haben, wie zufrieden wir mit uns sind, spielt eine Rolle. Und wie viele Dinge wir schon erlebt haben, die unser Leben erbeben ließen.

„Neben der Art des Ereignisses und dem sozio-kulturellen Hintergrund beeinflussen viele biologische Faktoren, wie sich das traumatische Ereignis auswirkt. Wenn man das näher untersuchen will, muss man folgende Fragen stellen: Wie steht es um unser Immunsystem? Wie viele Entzündungen befinden sich in unserem Körper? Wie sind wir genetisch gepolt?“, sagt Iris-Tatjana Kolassa, Professorin für Klinische und Biologische Psychologie an der Universität Ulm.

Unsere DNA beeinflusst unmittelbar, wie wir auf traumatischen Stress reagieren, und sie reagiert ihrerseits auf den traumatischen Stress. Zellen und Botenstoffe des Immunsystems werden angegriffen und der Körper bekommt im Alltag Probleme, kleinere Schäden zu reparieren, zum Beispiel wenn UV- oder Röntgenstrahlung auf unsere Haut trifft. Wir werden anfälliger für Infektionen, Autoimmunerkrankungen und Herzleiden.

Ein Trauma strukturiert aber nicht nur unsere DNA neu, sondern auch unsere Umwelt. Und einen Teil unserer Identität. „In unserer Kindheit entwickeln wir ein Urvertrauen, das ist ganz maßgeblich dafür, wie wir als Mensch reifen“, sagt der Berliner Psychotherapeut und Autor Wolfgang Krüger. Dieses Urvertrauen sorgt für eine Verlässlichkeit in unserem Leben, für das Gefühl, dass alles in Ordnung ist. Dass wir in Ordnung sind.

Es spornt uns an, Dinge auszuprobieren, Fähigkeiten zu entwickeln, etwas zu lernen, talentiert zu sein. Ein Lebensgefühl zu spüren, und ein Selbstbild zu entwickeln. Fragen zu stellen wie: Was kann ich? Über was definiere ich mich? Wer will ich sein? „All das macht uns ebenso als Mensch aus wie die Frage nach unseren Werten, der Identität“, sagt Krüger. Eine traumatische Erfahrung sprengt alles auf, was unsere Persönlichkeit zusammenhält: Urvertrauen, Lebensgefühl, Identität.

Ein soziales Netz hilft durch schwierigen Phasen hindurch

„Die besten Chancen, ein traumatisches Ereignis gestärkt zu überstehen, hat man, wenn man sich nicht dem Selbstmitleid hingibt und sich auf die Dinge konzentriert, die noch möglich sind, nicht auf die Defizite“, ist Krüger überzeugt. Wenn man versuche, einen Sinn zu erkennen, in dem was passiert ist.

„Ganz wichtig ist in dieser Phase auch, ob man ein soziales Netz hat, das einen auffängt“, sagt Krüger. Es ist heilsam, wenn sich viele um einen kümmern. Bei mir war das eine Nachricht: „Wie gut, dass du noch da bist.“ Oder ein Teller Spagetti Bolognese. Mein Mann, der mich wieder und wieder zum Arzt fuhr. Und noch öfter zur Krankengymnastik, lächelnd und immer mit dummen Witzen im Gepäck. Oder der Ärmel der Jacke, die ich am Tag des Unfalls getragen habe – wieder angenäht, von meiner Mutter.

Die sozialen Beziehungen setzen sich neu zusammen, für den Moment oder für immer. Das Nähe-Distanz-Verhältnis verändert sich, Rollen werden anders besetzt: Wer ist der Stärkere, wer der Schwächere? Wer ist der Gebende, wer der Empfänger?

„Das ist ein Prozess, der für alle sehr anstrengend sein kann und hier zeigt sich, wie belastbar die Partner-, Familienbeziehungen und Freundschaften sind“, sagt Krüger. Er beobachte, dass sich in unserer Gesellschaft immer mehr familiäre Bindungen in Auflösung befänden. Auch sollten Menschen ihre Freundschaften besser pflegen, am besten schon dann, wenn sie gesund sind und es ihnen gut geht, meint er: „Warum feiern wir keine größeren Feste? Warum machen wir verschiedene Leute nicht miteinander bekannt? Vernetzen sie und verbringen Zeit miteinander?“

Die Schönheit des Alltags ist noch da

Was auch hilft: Humor. Wer einen Witz über sein Schicksal macht, erhebt sich darüber, kann es verarbeiten – und loslassen. „Ein guter Gag beruht ganz oft auf irgendeiner Art von Schmerz, zum Beispiel Liebeskummer oder einem heftigen Erlebnis“, sagt Drehbuchautorin und Regisseurin Anika Decker. Aus ihrer Feder stammen Drehbücher für Komödien wie „Keinohrhasen“ und „Rubbeldiekatz“.

Am Telefon sprechen wir über Deckers eigenes Trauma, vor zehn Jahren. Eine Nieren-Becken-Entzündung, ein Nierenstein, nicht richtig behandelt, multiples Organversagen, Koma. Heute ist Decker körperlich wieder gesund, sie hat eine Therapie gemacht, hat darüber nachgedacht und gesprochen, fast gestorben zu sein. Und es hat sich etwas verändert, in ihr: „Eine Krankheit oder Notsituation ist wie eine Lupe, die alles vergrößert. Da war auf einmal diese Schönheit des Alltags und die ist immer noch da. Wenn der Blick sich einmal geöffnet hat, bleibt er offen.“

Anika Decker erzählt von dem wunderschönen Gefühl, alleine durch die Straße zu laufen, sich in ein Café zu setzen. Dass unter ihrem Vergrößerungsglas nun öfter eine Frage aufblinkt, die mit bloßem Auge nicht sichtbar ist: „Wann, wenn nicht jetzt?“ Manchmal vermengt sie sich mit einer kreativen Idee, wie bei Deckers erstem Roman „Wir von der anderen Seite“, der sich aus ihrer Fantasie speist – und ihren eigenen Erlebnissen, ihrem Schmerz und ihrem Mut.

Ein bisschen so wie in diesem Text über das Trauma, das krachend und voller Schmerz in mein Leben trat und alles aufsprengte. Mit kathartischer Wirkung. Es reinigte mich von innen. Über Monate. Die blauen Flecken an meinem Körper verblassten. Die Schwellungen schrumpften, die Knochen wuchsen wieder zusammen.

Ich begann, die tauben Stellen wieder zu fühlen. Das Trauma zeigte mir, wie kostbar das Leben ist und die Menschen darin, die mein Herz springen lassen. Wie wertvoll mein Körper ist, meine Beine, die mich tragen, mich durchs Leben tragen. Es zeigte mir, wichtig ein Job ist, der die Zeit vergessen lässt und eine wohlige Wärme in meinem Innern hinterlässt. Es zeigte mir, wie wichtig es ist, ein guter Mensch zu sein und ein gutes Leben zu führen. Und das nie zu vergessen.

 

Agnes Polewka ist Journalistin in Mannheim mit den Themenschwerpunkten Gesundheit und Gesellschaft. Außerdem kümmert sie sich bei der Heidelberger Klaus Tschira Stiftung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation. Nach ihrem Studium volontierte sie beim “Mannheimer Morgen”, wo sie anschließend als Redakteurin für Gesundheits- und Medizinthemen arbeitete.

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