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Heini Staudinger: „Besitz bedeutet mir nichts“

Dem Unternehmer Staudinger (Mitte) geht es um den Menschen.
Dem Unternehmer Staudinger (Mitte) geht es um den Menschen.

Ein Unternehmer mit Prinzipien

Der österreichische Unternehmer Heini Staudinger hat viele Talente. Er könnte auch Philosoph oder Dichter sein. Im östterreichischen Schrems hat er eine florierende Schuhfabrik aufgebaut, die den Vertrieb selbst macht. Ausbeuten will Staudinger niemanden, daher zahlt er sich selbst ein geringeres Gehalt als seinen Mitarbeitern.

Heini Staudinger ist ein philosophisches Füllhorn. Das merkt man sofort, wenn man sich mit ihm unterhält. Auf die Frage, ob er angesichts der Krisen der Welt optimistisch in die Zukunft blicke, antwortet er, frei nach Nietzsche: „Wer ein Wofür zu leben hat, erträgt fast jedes Wie. Gebt den Menschen einen Sinn in ihrem Tun, in ihrer Arbeit, dann werden wir eine Welt frei von destruktiven Kräften erleben.“

Heini Staudinger, 1953 in Österreich geboren, ist Gründer der Waldviertler Schuhwertstatt GEA in Niederösterreich, in der mittlerweile auch Möbel produziert werden. 1991 hat er die Fabrik übernommen, die schlecht lief und nur noch 12 Mitarbeiter zählte. Der damalige Firmeninhaber war der Lieferant für Staudingers eigenes Schuhgeschäft in Wien. Er sprach ihn an, und Staudinger übernahm kurzerhand die Fabrik.

Schuhe herstellen und am Verkauf verdienen

24 Jahre später hat GEA 170 Mitarbeiter in Schrems und betreibt 36 eigene Geschäfte in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der wirtschaftliche Erfolg ist das Ergebnis einer wohl durchdachten und konsequenten Strategie.

"Es gibt im Leben nichts Wichtigeres als das Leben", sagt Staudinger. Foto: Rainer Friedl

“Es gibt im Leben nichts Wichtigeres als das Leben”, sagt Staudinger Foto: Rainer Friedl

Heini Staudinger hatte früh erkannt, woran die europäische Schuhproduktion krankte. Doch während andere die Produktion ins Ausland verlagerten und mit billiger Arbeitskraft Rendite schrieben, schlug der unkonventionelle Unternehmer einen eigenen Weg ein. Er hatte kein Interesse, des Profits wegen sinnentleerte Arbeitsverhältnisse zu schaffen.

Seine Idee war, sich ein eigenes Vertriebsnetz für seine Schuhe aufzubauen. Und sie ging auf. Um weniger vom Zwischenhandel abhängig zu sein, verkauft GEA die meisten Schuhe heute in den eigenen Läden bzw. über die Webseite, auf der man alle Artikel findet und auch telefonisch bestellen kann. Dieses Modell funktioniert so gut, dass die Belegschaft in Schrems weiter wächst.

Überhaupt Schrems, das Waldviertel, wo Staudinger lebt und arbeitet. „Ich kann das Glück, das Leben nicht zwingen, aber ich möchte den Boden pflegen, mich um meinen Lebensraum kümmern, das gibt mir Genugtuung“, sinniert er. Das empfiehlt er auch anderen, um dem Leben einen Sinn zu geben.

„Für das Gemeinwohl gibt es so viel zu tun. Das ist alle Anstrengungen wert.“ Andere würden es vielleicht nachhaltiges Wirtschaften oder Verbundenheit mit der Natur nennen. In Schrems hat er aus einer im Niedergang befindlichen Fabrik in einer strukturschwachen Region einen vitalen Ort geschaffen, der mehr ist als eine Schuhfabrik.

Der 62-Jährige ist einer, der sich von globalen Grundsätzen leiten lässt und diese ohne zu zaudern in sein Handeln überträgt. Kein Theoretiker, sondern einer, der das, was er erkannt hat, gleich umsetzt.

Typisch, dass der Chef, der er ist, sich selbst ein geringeres Gehalt gibt als seinen Mitarbeitern. „Das mache ich nicht, um Askese zu üben, sondern weil mir der materielle Reichtum einfach nicht wichtig ist. Ich lege keinen Wert auf persönlichen Besitz “ so der umtriebige Unternehmer.

Eine Firma mit Akademie und Magazin

Die Fabrik ist anders als andere. Die Arbeit lässt sich vor Ort erlernen, eine Ausbildung benötigt man dafür nicht. Das Einstiegsgehalt ist für alle gleich. Und man nimmt zum Beispiel bei den Arbeitsabläufen Rücksicht auf Leistungsschwächere. Die Arbeit wird selbst eingeteilt, je nach Fähigkeiten und Vorlieben. Ein Stück weit trägt die Gemeinschaft bei GEA alle Arbeiter im Unternehmen. Noch mehr Eigenverantwortung zu übernehmen und in kleineren Organisationseinheiten Entscheidungen zu treffen, dahin geht die Zukunft in Schrems.

Just fertig gestellt: das "Besucherzentrum" der Fabrik in zwei mongolischen Vollholzjurten. Foto: Santl

Just fertig gestellt: das “Besucherzentrum” der Fabrik in zwei mongolischen Vollholzjurten. Foto: Santl

Teure Designer gibt es dort nicht, die Schuhe werden stattdessen im eigenen Haus entwickelt. Um der Monotonie entgegenzuwirken erlernt jeder mehrere Arbeitsvorgänge in der Schuhproduktion und führt diese auch abwechselnd aus. Das hält das Gehirn fit, stärkt die Verantwortung für das Gesamtprodukt und gibt der Arbeit Sinn.

So hat das Endprodukt auch seinen Preis, zwischen 150 und 200 Euro pro Schuhpaar. Doch für Heini Staudinger hat auch das mit Verantwortung zu tun: „Ich bin stolz, dass es bei uns keine ausbeuterischen Arbeitsbedingungen gibt und wir den Menschen eine sinnvolle Arbeit geben können. Dafür müssen wir gute Preise erzielen, und das verstehen unsere Kunden.“

Neben der Firma betreibt Staudinger noch die „GEA-Akademie“ mit einem breiten Angebot an Seminaren von praktisch bis esoterisch. Und dann gibt es noch das Magazin der Firma „Brennstoff“. Das alternativ gemachte Blatt, das vier Mal pro Jahr auf Umweltschutzpapier gedruckt wird, ist Marketing, ohne Marketing sein zu wollen.

1999, lange bevor die Welle der Kundenmagazine rollte, hatte Staudinger schon die Idee. Natürlich hatte er kein Interesse an einer Hochglanzbroschüre, sondern wollte hier das, was ihn antreibt, ausdrücken. Die Redaktion macht er selbst. Im Mittelpunkt stehen politische Texte und Kommentare zu Nachhaltigkeitsthemen. Jede Ausgabe enthält eine Staudinger eigene Mischung aus Poesie, Zitaten und Songtexten zum Thema. Am Rande findet man noch Infos zu den Produkten von GEA.

„Scheiß di ned an!”

Heini Staudinger ist nicht gerade der Prototyp eines Unternehmers heute. Als die Kreditwürdigkeit seiner Fabrik im Jahr 1999 von heute auf morgen von seiner Hausbank herabgestuft wurde, musste er wieder nach neuen Lösungen suchen. Als Unternehmer wollte er investieren und brauchte dafür Geld. Auch dafür hatte er eine Lösung parat. Er lieh sich Geld bei Freunden, Bekannten, Leuten, die ihm vertrauten. So kamen sage und schreibe drei Millionen Euro zusammen, die er für den Erwerb und Ausbau einer Lagerhalle einsetzte. Im Gegenzug versprach er prompte Rückzahlung plus vier Prozent.

So gut lief die Kampagne, die man heute Crowdfunding nennen würde, dass er am Ende Geld ablehnen musste, weil immer mehr Menschen auf ihn zukamen. „Scheiß di ned an!” – das ist eines der drei Lebensmottos Staudingers. Mutig sein, Vertrauen haben – dann kann man sich auch mit dem Staat anlegen.

Denn sein Finanzierungsmodell wurde zum Streitfall mit der österreichischen Finanzaufsicht. Diese warf Staudinger vor, als Bank zu handeln, weil er Zinsen versprach. Hohe Bußgelder wurden gegen ihn erlassen. Doch klein beigeben ist nicht die Sache von Staudinger. Er kämpfte und reduzierte die Forderungen auf 2000 Euro. Und auch die ist er nicht bereit zu zahlen, er sieht sich weiter im Recht. Dabei hat er die breite Öffentlichkeit auf seiner Seite. Denn nach der Bankenkrise fragten sich viele, warum die kreative Schaffung alternativer Finanzierungsmöglichkeiten bestraft wird.

Im Mai 2015 stand der Gerichtsvollzieher im GEA-Geschäft in Wien vor der Tür, um einige Betten und Möbel im Wert von 14.000 Euro zu pfänden und so die Strafe einzutreiben. Staudinger erwartete den Gerichtsvollzieher für einen Folgetermin medienwirksam in einem der gepfändeten Betten liegend. Doch am Ende wurden die Gegenstände nie abgeholt. Das sog. illegale Finanzierungsmodell hatte Staudinger da schon auf legale Nachrangdarlehen umgestellt. Aus dem illegalen GEA-Sparverein machte er den „Apfelbäumchen-Club“.

Staudingers Streit mit der österreichischen Finanzmarktaufsicht war auch ein Anlass, dass in Österreich das Alternativfinanzierungs-Gesetz auf den Weg gebracht wurde, das 2015 in Kraft trat und Aktivitäten im Zusammenhang mit Crowdfunding regelt. Damit können nun Firmenprojekte rechtlich sicher über viele kleine Anleger finanziert werden – heute hat sich dieses Modell des Crowdfunding auch in Deutschland etabliert.

GEA ist Heini Staudinger und Heini Staudinger ist GEA. Es gibt wohl wenige Unternehmer, die sich auf positive Art so mit ihrem Unternehmen verbinden wie er. Heini Staudinger ist sicherlich das, was man ein Vorbild nennen könnte. Das er das für viele ist, ist für ihn aber nicht wichtig. Ihm geht es nicht um seine Person, sondern seine Überzeugung, dass die wirklichen Prinzipien des Lebens das Leben selbst schreiben muss: „Es ist in unserem Leben ganz wesentlich, ob wir von Angst getrieben oder mutige Gestalter sind, ob wir klug oder blöd sind, ob wir uns von der Liebe leiten lassen oder vom Geld.“

Diese wesentlichen Entscheidungen hat er zu den Firmenprinzipien von GEA gemacht. Von deren erstem Motto „Scheiß di ned an“ war schon die Rede. Das zweite Motto hat mit Klugheit zu tun: „Bitte, sei ned so deppat!“

Die Prinzipien sind auch die Leitlinen Hein Staudingers Leben und Handeln. Er redet gern mit Kindern und hört auf ihre Ratschläge. Im Gespräch mit seinen Nichten und Neffen im Alter von drei bis 14 Jahren hat er ein weiteres seiner Mottos entwickelt, über das er gern spricht: „Orientier dich an der Liebe. Das ist der Wegweiser, wenn du nicht mehr weiter weist.“

Das Leben bejahen, dieser Grundsatz zieht sich wie ein roter Faden durch Staudingers Leben und Handeln. Dass das gelingende Leben eine immerwährende Aufgabe ist, ist für ihn alle Anstrengungen wert. „Mach es so wie Gott, werde Mensch“, das sei das wichtigste im Leben so Staudinger im Gespräch mit Ethik heute.

Stefan Ringstorff

Der Artikel wurde im April 2019 aktualisiert

Infos über GEA gibt es hier

Das Firmenmagazin Brennstoff, das Staudinger selbst macht, zum Herunterladen

Zum Angebot der GEA-Akademie

 

 

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