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Corona-Blues: Was hilft gegen Depression?

Kadiköy/ shutterstock.com
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Interview mit Dr. Martina Aßmann

Neue Situationen erfordern neue Routinen, sagt Therpeutin und Achtsamkeitslehrerin Dr. Martina Aßmann. Sie spricht im Interview über Depression, inneren Groll und Möglichkeiten, die Stimmung zu heben. Wir sollten trotz Corona-Lockdown Nähe und zwischenmenschliche Bande stärken und erfinderisch werden.

Das Gespräch führte Birgit Stratmann

Frage: Viele Menschen haben im Lockdown mit psychischen Symptomen , insbesondere depressiven Verstimmungen zu kämpfen. Sind das Episoden, die gesunde Menschen irgendwie überstehen, oder ist es aus Ihrer ärztlichen Sicht ein Alarmsignal?

Aßmann: Depression ist ein Symptomkomplex, bestehend aus Veränderungen im Antrieb, im Interesse, in der Gestimmtheit, im Schlaf, Ess- und Sozialverhalten plus einer Reihe psychosomatischer Beschwerden. Nicht alle Depressive haben alle Symptome. Auch bei jenen, die nicht depressiv im klinischen Sinn sind, können solche Symptome auftreten.

Wer einmal im Leben eine Depression mit einigen der genannten Symptome hatte, der oder die hat ein 50-prozentiges Risiko, noch einmal an einer Depression zu erkranken. Und mit jeder weiteren Depression erhöht sich das Risiko des Rückfalls wieder.

Foto: Felix Amsel

Wer einigermaßen gegen Depression resilient ist, kann kleinere Verstimmungen vielleicht einfach ignorieren oder sich ablenken. Wer aber zu Depression neigt, z.B. durch seine Vorgeschichte, den ziehen kleinere Belastungen eher herunter. Das Gehirn erinnert sich daran, wie es damals mal war, als meine Frau sich von mir trennte oder ich meinen Job verlor.

Eine Schwellenwerttheorie besagt: Je mehr depressive Episoden ich schon hatte, um so geringer ist der Anlass, der mich wieder hineinrutschen lässt. Wenn diese Menschen im Winter auch noch mit der Corona-Krise konfrontiert werden, dann wird das Gehirn geflutet mit negativen Gedanken, gefolgt von schwierigen Gefühlen.

Frage: Kann man Gesundheit und Krankheit in diesem Punkt scharf voneinander trennen?

Aßmann: Aus klinischer Sicht können wir beides deutlich voneinander trennen und so lässt es sich nicht vorhersagen, wer gut oder weniger gut mit den Belastungen im Corona-Winter zurecht kommt. Außerdem fallen im Lockdown unsere stabilisierenden Routinen weg, z.B. wenn wir nicht ins Büro gehen, wenn wir keinen Ausgleich haben. Wer nicht die Kraft hat, etwas entgegenzusetzen oder neue Routinen zu entwickeln, der oder die ist gefährdet.

Neue Routinen könnte heißen, auch bei Regen und Kälte rauszugehen, sich jeden Tag gut anziehen und zurechtmachen, mittags zu kochen, wenn man Homeoffice macht. Strukturen und Routinen geben uns Halt.

Achtsam zu sein bedeutet, jeden Moment den frischen Blick zu haben auf das, was ist.

Der Philosoph Wilhelm Schmid fordert im Amnesty Journal (6/2020) „ein Menschenrechte auf schlechte Laune“, statt immer gut drauf sein zu müssen. Wie denken Sie darüber?

Aßmann: Als Achtsamkeitslehrerin würde ich sagen: Es geht darum, möglichst häufig im Alltag mitzubekommen: Wie geht es mir jetzt? Wir wissen das meistens zwar oberflächlich, aber dann vergleichen und beurteilen wir das ständig: Ist es richtig, dass ich mich jetzt so fühle? Sollte es nicht anders sein? Darf es mir so schlecht oder so gut gehen? Wie war es gestern? Wie war es beim 1. Lockdown?

Wir sind selten in der Lage, einfach nur zu benennen: „Jetzt fühle ich mich gerade energielos. Es ist dunkel und ich habe keine Lust herauszugehen.“

Wie denken Sie über das „Menschenrechte auf schlechte Laune“?

Aßmann: Für mich klingt es so, als sollte ich immer schlechte Laune haben. Aber meistens habe ich einen Tag schlechte Laune und dann hellt sich die Stimmung hellt auf. Ich kann auch jetzt in diesem Moment niedrig gestimmt sein und mich im nächsten Moment über irgendwas freuen und das hebt dann vielleicht auch meine Stimmung.

Achtsam zu sein bedeutet, jeden Moment den frischen Blick zu haben auf das, was ist. Einfach wahrzunehmen, was ist, stärkt die Resilienz: „Ich hatte einen Tag im Home Office, das war nicht so prickelnd. Aber gleichzeitig habe ich eine schöne, warme Wohnung, der Tee ist köstlich, zwischen den Meetings kann ich eine Einheit Sport machen.“

Wenn Sie garantiert eine Depression haben wollen, sollten sie ständig Groll hegen.

Welchen Nährboden braucht eine Depression? Was muss ich als einigermaßen gesunder Mensch tun, um z.B. während des Corona-Winters garantiert eine Depression zu bekommen?

Aßmann: Sie stehen morgens auf und informieren sich erst mal über die neuesten Corona-Zahlen. Dann spinnen Sie die Zahlen weiter und machen sich klar, was Sie dieses und nächstes Jahr alles nicht werden machen können: Weihnachten unter Corona-Bedingungen, keine Silvesterparty, kein Tanzen, keine Winterferien.

Als nächstes suchen Sie Schuldige: Entweder geben Sie sich selbst die Verantwortung für die Misere, weil Sie z.B. im Sommer so gelebt haben, als gäbe es kein Corona; darüber grübeln Sie eingehend nach. Oder Sie beschuldigen in endlosen Selbstgesprächen andere, zum Beispiel die Politiker, die Landeschefin, die Virologen. Diese Vorwürfe und negativen Gedanken wiederholen Sie ständig im Geist oder sprechen darüber mit anderen.

Wenn Sie garantiert eine Depression haben wollen, sollten Sie ständig Groll hegen und dabei Ihren Ärger nicht bemerken. Und am besten nichts mehr tun, was Sie irgendwie aufbauen oder fröhlich stimmen könnte. Insbesondere sollten Sie keinen Kontakt zu anderen Menschen suchen. Und auf keinen Fall lachen.

Achtsamkeit reicht nicht aus, wir müssen positive Emotionen stärken.

Sie sind auch Achtsamkeitslehrerin. Wie kann Achtsamkeit helfen, im seelischen Gleichgewicht zu bleiben?

Aßmann: Achtsamkeit ist die Basis, d.h. immer wieder in den gegenwärtigen Moment kommen. Insbesondere die Körper-Wahrnehmung hilft uns, aus den Grübelschleifen auszusteigen. Hierfür ist auch Yoga sehr hilfreich und im Moment für manche besser als Sitzmeditation.

Grübeln ist der Versuch unseres Großhirns, Lösungen für emotionale Probleme zu finden. Wir fühlen uns nicht wohl und versuchen zu analysieren und Gründe zu finden, damit wir uns besser fühlen. Es fällt uns eher schwer, die Gefühle einfach nur wahrzunehmen, zu fühlen und so stehen zu lassen. Wir sagen dann: „Heute geht es mir nicht gut, weil ich übermüdet bin.“ Und dabei verlassen wir die Ebene des Spürens, die viel durchlässiger und flüchtiger ist als das Denken.

Wie sähe denn eine andere Reaktion aus?

Aßmann: Einfach anerkennen, was ist: „Ich fühle mich schlecht.“ Und dann Akzeptanz und den Gefühlen Raum gewähren, auch wenn das gegen unsere Intuition ist. In diesem Raum entstehen und verschwinden die Gefühle unaufhörlich und in Wellen.

Kommen wir allein mit Achtsamkeit durch die Krise?

Aßmann: Neuere Forschungen zufolge reicht Achtsamkeit nicht aus. Die Neurowissenschaftlerin Tania Singer hat belegt, dass wir uns vor allem durch positive Emotionen wie Selbstmitgefühl und Mitgefühl stärken. Das scheinen mir in diesen schweren Zeiten gute Praktiken zu sein.

Und das müssen auch nicht unbedingt formale Meditationssitzungen sein. Wir können unser Mitgefühl auch in alltägliche Dinge üben, wie jemandem wirklich zuhören, auch per Telefon. Wir sollten jetzt die zwischenmenschlichen Bande stärken, uns öffnen für andere. Und auch uns selbst Mitgefühl schenken. Ich frage mich beispielsweise gerade jeden Morgen: Wo kann ich es mir heute leicht machen?

Kann ich ein Meeting ein wenig kürzer halten? Kann ich einen Freiraum schaffen, um z.B. an die frische Luft zu gehen? Vielleicht mal ein Mittagsschläfchen halten. Und mehr geschehen lassen, den Druck rausnehmen. In Ausnahmefällen kann es auch heißen, sich von seinem Hausarzt eine antidepressive Medikation geben zu lassen.

Wichtig ist, dass wir als Mensch gesehen und gehört werden.

Kann es auch sein, dass Meditation depressive Verstimmung fördert, weil sie passiv macht?

Aßmann: Ja, das ist möglich, vor allem, wenn man wenig Übung hat und allein für sich sitzt. Es besteht die Gefahr, dass man nicht bemerkt, wenn der Geist abwandert sich in den Grübelspiralen verliert und diese noch verstärkt. Da wäre es viel besser, in der Gruppe, angeleitet von einem Lehrer oder einer Lehrerin, zu meditieren und sich über die Erfahrungen auszutauschen.

In Zeiten von Kontaktbeschränkungen fehlen uns auch einfach die zwischenmenschlichen Begegnungen. Was können wir da tun?

Aßmann: Ich denke, dass Kontakte über digitale Hilfsmittel hilfreich sind, auch wenn viele Menschen dem kritisch gegenüberstehen. Ich selber war anfangs total kritisch und habe inzwischen erfahren dürfen, wie gut das geht.

Das Wesentliche ist, dass wir als Menschen gesehen und gehört werden, das brauchen wir alle. Dies geht wunderbar auch über virtuelle Kleingruppen oder Zweier-Gespräche. Wenn man sich darauf einlassen kann, ist das stärkend.

Wir sollten Mitgefühlsnetzwerke im Gehirn stärken.

Menschen berichten auch, dass sie körperliche Nähe und Berührungen vermissen. Wie schaffen wir es trotz Abstandhalten Nähe herzustellen?

Aßmann: Das ist ein schwieriger Punkt in Corona-Zeiten. Allen, die Interesse an Achtsamkeit und Meditation haben, empfehle ich die Meditation der liebenden Güte. Sie kommt aus dem Buddhismus, hat aber keinerlei religiösen Überbau. Diese Meditation stärkt die Mitgefühlsnetzwerke im Gehirn, wir fühlen uns verbunden.

Man setzt sich zur Meditation hin und entwickelt gute Wünsche für die Menschen um einen herum, am besten startet man mit sich selbst: „Möge ich glücklich sein, möge ich frei sein von Gefahren, möge ich leicht durchs Leben gehen.“

Dann stellt man sich Personen aus seinem Umfeld vor und bringt auch ihnen diese guten Wünsche entgegen. Verstärkend wirkt auch, wenn man hier ein „wir“ formulieren kann: „Mögen wir glücklich sein“. Für den, der das täglich einige Minuten macht, ist das verbindend. Man merkt sofort, dass es einem besser geht. Und man schaut mit mehr Wohlwollen und Güte auf die Menschen.

Dies kann man auch in Dyaden üben, also Zwiegesprächen, die nach einer bestimmten Form ablaufen: Verabreden Sie sich fest, jede Woche, mit einer vertrauten Person, z.B. für 20 Minunten. Der Ablauf ist immer wie folgt:

Die Person schildert Ihnen für eine fest gelegte Zeit, z.B. sieben Minuten, ein Problem aus ihrem Alltag. Sie haben nichts anderes zu tun, als sich das anzuhören und in die Haut des anderen zu schlüpfen. Sie geben keine Ratschläge, keine Kommentare ab, sondern hören einfach nur zu. Danach wird gewechselt, und Sie berichten aus Ihrem Alltag, während die andere intensiv zuhört.

So entsteht ein gutes Gefühl füreinander. Wir werden gesehen und wahrgenommen. Wir fühlen uns dem anderen nah und es kommen von allein Wünsche auf, dass es dem anderen gut gehen möge. Nähe, Verbundenheit ist aufbauend und schützt uns vor innerem Stress.

Dr. Martina Aßmann ist Ärztin für Arbeitsmedizin und Psychotherapie, seit 2015 in eigener Privatpraxis für Psychotherapie tätig. Sie ist Achtsmkeitslehrerin und Vorstand im MBSR-Berufsverband. Mehr Infos: https://www.resilienz-zentrum.net/ www.mbct-Hamburg.de

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Depression ist eine sehr beängstigende Sache. Es tut mir sehr leid, dass im Jahr 2020 nicht alle Menschen verstehen, dass es nicht nur traurig ist, sondern dass es viel ernster und trauriger ist. Und jetzt, während einer Pandemie, fühlte sich auch einer meiner Freunde deprimiert. Ich habe ihn noch nie in einem so schlechten Zustand gesehen. Es ist wirklich sehr schwierig, ihn überhaupt anzusehen. Ich wünschte nur, sie hätten keine Angst, über Depressionen zu sprechen, denn es ist nichts Schreckliches und es ist keine Kleinigkeit. Die Leute sollten darüber Bescheid wissen und auch wissen, wohin sie sich bei Hilfe wenden müssen. Danke für den Artikel!

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