Väter zeigen Präsenz
23 Schüler prügelten sich Ende Oktober 2021 in einer amerikanischen Schule. Spontan haben sich Väter zusammengeschlossen, um an der Schule präsent zu sein. „Es ist unser Ziel, den Kindern zu zeigen, wie eine gute Beziehung zu einer männlichen Figur aussehen sollte“, sagt einer von ihnen. Mona Kino erzählt die Geschichte.
Die fünf Männer, die im schwarzen T-Shirt mit weißer Aufschrift vor und im Schulgebäude stehen, sehen aus wie der wahrgewordene Song der Weather Girls „It´s raining men.“ Doch die Aufschrift verrät, dass sie nicht im Dienste der Weather Girls da sind, sondern für die Schülerinnen und Schüler der Southwood High School in Shreveport, Louisiana. „Dad’s on Duty“. Und des Schulpersonals natürlich auch.
Vor etwa zwei Monaten prügelten sich hier über drei Tage im Schulgebäude 23 Schülerinnen und Schüler. Nach und nach wurden sie von der Polizei verhaftet und von einer Polizeiwagenkolonne abtransportiert. Ein Livebericht wurde mehr als 50 Millionen Mal in den sozialen Medien aufgerufen nachdem er in den “CBS Evening News” ausgestrahlt wurde.
So auch von mir. Aber nicht wegen des Entsetzens über die Gewalt der Jugendlichen, sondern wegen der ungewöhnlich naheliegenden Lösung von diesen fünf engagierten Vätern aus Shreveport, damit umzugehen: „Dad´s on Duty“ eben. Ihre Mission erinnert an ein Happy End eines High School-Dramas wie in „Dangerous Minds“ von 1995.
Manche Konflikte, die in der Schule mit Handgreiflichkeiten ausgetragen werden, beruhen darauf, dass im Leben des Kindes ein positiver väterlicher Einfluss fehlt. Ist der Vater unzugänglich oder autoritär, wendet sich das Kind unbewusst an die nächste „männliche“ Institution wie die Schule, um auf sich und seine Bedürfnisse aufmerksam zu machen.
Gelingt auch hier keine positive „männliche“ Begegnung, besteht die Gefahr, dass Konflikte eskalieren, manchmal sind Polizei und Gerichte involviert. Und genau so sehen das auch die Väter von Dad´s on Duty:
„Nicht alle haben einen Vater oder eine so gute Beziehung zu ihrem Vater. Es ist unser Ziel, den Kindern zu zeigen, wie eine gute Beziehung zu einer männlichen Figur aussehen sollte. Es macht also einen großen Unterschied, einfach hier zu sein”, fügten die Väter gegenüber CBS News hinzu.
Die Väter sind einfach da
Mittlerweile haben sich ihnen 40 Väter angeschlossen, die in Schichten von sechs bis zehn Vätern pro Tag Zeit in der Schule verbringen. Und es werden immer mehr. Dabei haben sie „nur“ festgestellt, dass es keinen Abschluss in Psychologie oder eine Ausbildung im Umgang mit Kriminellen benötigt, sondern einfach „nur“ Vater sein.
Mit Erlaubnis der High School kamen die Väter, von denen die meisten einen Vollzeitjob haben, nach den Verhaftungen in die Schule. Seitdem grüßen sie die Kinder mit liebevoller Präsenz, wenn sie morgens die Schule betreten. Und sie machen blöde Witze, wie nur Väter blöde Witze machen können.
Nachmittags achten sie darauf, dass die Kinder die Schule sicher verlassen. Am wichtigsten: Sie sind dafür da, dass die Schülerinnen und Schüler jederzeit ein Ohr zum Reden haben, wenn es irgendwo mal hakt. Das Resultat: keine einzige Prügelei mehr.
Würden sich in Deutschland nur zwei prügeln, läge beim nächsten Elternabend der Fokus darauf, wie man diese Kinder los werden könnte. Die Elternschaft spaltet sich dann in die, deren Kinder die Störenfriede sind, und die, deren Kinder beim Lernen gestört werden.
Und man „prügelt“ dann verbal aufeinander ein. Anstatt sich gemeinsam zu überlegen, was die Wurzeln der überbordenden Aggressionen sind, wird das Symptom bekämpft. Als ob es sich an einer anderen Schule dann von selbst auflösen würde. Das nennt man Verantwortungsabgabe.
Aber Mobbing und Gewalt sind auch oft Ausdruck davon, dass die Schulleitung oder die Lehrkräfte nicht den Hut aufhaben. Die Schülerinnen und Schüler übernehmen dann sozusagen den Vorsitz und spiegeln die unausgesprochenen Konflikte im Lehrerzimmer mit ihren körperlichen Auseinandersetzungen auf dem Schulhof oder im Klassenzimmer.
Sieht man die Welt aus dieser Perspektive, wie es Wissenschaftler seit vielen Jahren tut, ist es verwunderlich, dass im Jahr 2021 so wenig Erwachsene diesen Zusammenhang wenigstens Ansatzweise in Betracht ziehen.
Den meisten Eltern und Kollegen ist immer noch lieber, es ist still im Klassenraum. Nach einem langen Arbeitstag mag keiner noch über Probleme in der Schule sprechen. Ob dabei unter Angst gelernt wird oder mit Freude, spielt keine Rolle. Obwohl diverse neuere Studien belegen, dass nur in einem freundlichen und empathischen Klima im Lernumfeld fundiertes Wissen angeeignet wird.
Dads on Duty macht Schule
Und genau deshalb finde ich „Dad´s on Duty“ so cool. Es ist die Verbundenheit, die den Unterschied macht. Und die Väter leben diese nicht nur den Schülerinnen und Schülern vor, sondern der ganzen USA. Und innerhalb weniger Wochen spiegeln die Kinder und Jugendlichen genau das: Miteinander anstatt gegeneinander.
Das Engagement der fünf Väter hat das Miteinander in den USA zum Gesprächsthema werden lassen: Mehr als zwei Dutzend Schulbezirke erkundigen sich mittlerweile, wie sie den Erfolg wiederholen können. Prominente, Sportler und Politiker nehmen Notiz davon und in Talkshows wird darüber gesprochen. Das Engagement der Gruppe hat alle auf den Plan gerufen – Liberale und Konservative gleichermaßen.
Und: In ihrem Namen wurde eine GoFundMe-Seite ins Leben gerufen, um sie finanziell zu unterstützen, weiterhin auf dem Schulgelände präsent zu sein. Denn sie möchten, dass es so etwas in jeder Schule, in jedem Bezirk gibt wie beispielsweise den Elternbeirat.
Lassen wir einmal der Phantasie freien Lauf: Selbst wenn sich in Deutschland die Väter verständlicherweise wegen ihres Vollzeitsjobs bei solchen Einsätzen nicht einbringen können, dann könnten es ja auch die Großväter sein? Oder ein von der Bundesagentur für Arbeit initiertes Programm für arbeitslose Väter oder Onkel?
Oder es findet sich eine vermögende Privatperson, am besten männlich, die Lust hat ein solches Kultur-Projekt zu unterstützen. Zu gern wäre ich auch dabei, aber das hier ist eindeutig Männersache.
Mehr zu den Dads of Duty auf ihrer Spendenseite
Mona Kino ist Autorin und Familientherapeutin. Sie ist in eigener Praxis tätig sowie als Referentin beim Berliner Modellprojekt Empathie macht Schule. Sie wurde unter anderem von Jesper Juul ausgebildet und ist Teil der aus Dänemark stammenden Empathie-Bewegung Training Empathy, die von Jesper Juul, Helle Jensen, Peter Høeg und anderen ausgeht und auch in den deutschsprachigen Ländern immer mehr Resonanz findet. Mona Kino ist Mutter von zwei Jugendlichen und schreibt neben Drehbüchern Artikel über Beziehungskompetenz und ein gelingendes Miteinander in Schule, Familie und Gesellschaft. Mit ihrer Familie lebt sie in Berlin.