Darf man faul sein?

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Ethische Alltagsfragen

In der Rubrik “Ethische Alltagsfragen” greift der Philosoph Jay Garfield eine Frage zur Faulheit auf: Faulheit gilt in unserer Gesellschaft als moralischer Fehler. In der Generation Z ändert sich das: Wir wollen weniger arbeiten und mehr Freiraum. Ist faul sein moralisch verwerflich?”

Frage: Faulheit gilt in unserer Gesellschaft als moralischer Fehler. Menschen, die weniger leisten können oder wollen, werden abgewertet. In meiner Generation, der Generation Z, ändert sich das. Viele von uns glauben nicht, dass sich der Mythos, hart zu arbeiten, auszahlt. Wir wollen weniger arbeiten und mehr Freiraum. Ist es moralisch verwerflich, das Leben anders auszurichten, weniger auf Arbeit und Leistung? Ist es vielleicht sogar unmoralisch, Menschen zu verurteilen, die nicht der Norm entsprechen?

Jay Garfield: Eine gute Frage, und ironischerweise habe ich lange gebraucht, um sie zu beantworten. War das Faulheit meinerseits?

Ich glaube, diese Frage verwechselt zwei Einstellungen: Die erste Einstellung besteht in dem Wunsch, nicht so hart zu arbeiten, nur um Karriere zu machen oder Geld zu verdienen; man wünscht sich Zeit für erfüllendere Beschäftigungen. Die zweite Einstellung ist der Unwille, etwas zu tun, was getan werden muss. Die erste Form könnte man als Zufriedenheit bezeichnen, die zweite als echte Faulheit.

Ich würde den Wunsch nach Zufriedenheit nicht als moralisches Versagen bezeichnen. Diejenigen, die danach streben, immer mehr zu haben, zu erreichen oder einen höheren Status zu erlangen, könnten jemanden, der mit dem zufrieden ist, was er hat, und der nicht nach mehr strebt, als Versager, ja sogar als moralischen Versager ansehen.

Doch wir sollten uns gegen dieses Urteil wehren. Nicht jeder hat die gleichen Werte oder Ziele im Leben. Es gibt mehrere moralisch akzeptable Visionen des guten Lebens. So ist es durchaus akzeptabel, die materiellen Vorteile harter Arbeit abzulehnen und dafür auf die psychologischen und sozialen Vorteile von mehr Freizeit zu setzen. Ein solches Leben ist verbunden mit geringem Stress und der Möglichkeit, sich Freunden, der Familie und nicht einträglichen Beschäftigungen zu widmen.

Das Leben vom Ende her betrachten

Auf der anderen Seite haben wir auch Verpflichtungen. Oft handelt es sich dabei um soziale oder staatsbürgerliche Verpflichtungen, es können auch berufliche Aufgaben sein.

Wir sollten uns überlegen, was unser Leben lebenswert macht. Schließlich wollen wir unser Leben vor uns selbst rechtfertigen können. Wir möchten am Ende unseres Lebens mit dem zufrieden sein, was wir erreicht haben – und zwar auch auf der nicht-materiellen Seite.

Was diese Art von Zufriedenheit hervorruft, ist nicht finanzieller Erfolg oder das Erreichen einer einflussreichen Position, sondern etwas getan zu haben, was die Welt ein bisschen besser macht, was anderen geholfen hat.

Echte Faulheit – in dem Sinne, dass es sich um ein moralisches Versagen handelt – ist die mangelnde Bereitschaft, zum Wohle anderer und der Welt zu handeln, wenn wir die Gelegenheit dazu haben. Es würde bedeuten, unsere Gaben und Talente brachliegen zu lassen, zurückzuhalten.

In dem Maße, in ein Leben in Zufriedenheit die Zeit und Ressourcen freisetzt, um sich in Aktivitäten zu engagieren, die nützlich sind und ein positives Vermächtnis hinterlassen, ist Zufriedenheit also kein Laster, sondern eine Tugend.

Wenn wir die Zeit jedoch untätig verstreichen lassen und Gelegenheiten verpassen, anderen zu nutzen, ist diese Zufriedenheit vergeudet. Diese Faulheit kann unser Leben trivial erscheinen lassen. Das wäre ein moralisches Versagen.

Wenn Sie eine Frage haben, eine ethische Zwickmühle, schreiben Sie uns: redaktion@ethik-heute.org

 

Jay Garfield ist Professor für Philosophie am Smith College, Northhampten, USA, und Dozent für westliche Philosophie an der tibetischen Universität in Sarnath, Indien. Ein Schwerpunkt seiner Lehrtätigkeit ist die interkulturelle Philosophie. Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher. Alle Beiträge von Jay Garfield in der Rubrik „Ethische Alltagsfragen“ im Überblick
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