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Leonie Schopeman /Pixabay
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Achtsamkeit in der Natur

Wie wäre es, sich bei einem Herbst-Spaziergang auf den Wald einzulassen und einfach nur mit ihm zu sein, ihn zu riechen und zu spüren? Achtsamkeitslehrerin Julia Grösch lädt uns ein, dem Wald zu begegnen, ohne einen Zweck zu verfolgen. Und in das Wunder des Lebens einzutauchen.

Als Kind war ich mir, wenn ich in den Wald gegangen bin, ziemlich sicher: „Der Wald weiß jetzt, dass ich komme. Er hat schon gewartet. Und er denkt jetzt so bei sich: ‚Aha, da ist es ja wieder, das Kind!‘.“

Und als Kind war mir auch völlig klar: Im Wald sind nicht nur Vögel, Eichhörnchen, Wildschweine und Insekten, die bemerken, dass ein Kind in den Wald kommt, weil sie sehen und hören können. Da waren auch die Bäume mit ihren Augen aus Astlöchern, manchmal sogar mit ganzen Gesichtern, die dem Kind mal freundlich, mal staunend, mal grimmig entgegen schauten.

Es gab auch den Wind im Wald, der die Blätter in fröhlich winkende Hände verwandelte. Es gab das Sonnenlicht, das Tautropfen zu funkelnden Perlen werden ließ, damit das Kind etwas Schönes zu sehen bekam. Ja, es gab sogar Käfer, die sich schon frühzeitig auf den Weg gemacht hatten, nur um genau in dem Moment, in dem das Kind vorbeikam, seinen Weg zu kreuzen. Einfach um sich zu zeigen und „Hallo!“ zu sagen.

Der Wald war – das Kind hätte es so nicht benennen können, weil ihm die Worte fehlten – ein lebendiges Geschöpf, zusammengesetzt aus abertausend Teilen, ein Gewebe aus Wundern. Und ganz selbstverständlich sah sich das Kind als Teil und als Mittelpunkt, ja als Bezugspunkt für das, was es sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen konnte.

Ohne das Kind würden die Tiere nichts sehen, die Blätter würden nicht winken, die Brombeeren blieben ungepflückt und der Käfer würde sich nicht auf den Weg machen. Eigentlich ganz logisch, oder nicht?

Wir nutzen den Wald – und belassen es dabei

Erwachsenen geht das Wunder des Waldes sehr oft verloren. Das liegt nicht an den Wundern, die ja beständig geschehen. Meist fehlt es uns einfach an Zeit und an Muße, vielleicht an Präsenz, an Achtsamkeit. Vielleicht liegt es auch an Zweckdenken und einer allgemein grassierenden Phantasielosigkeit. Wir nutzen den Wald – und belassen es dabei.

Wir gehen hinein, um frische Luft zu atmen, zum Joggen und Fahrradfahren, um uns zu erholen, das Immunsystem zu stärken, den Hund auszuführen, um uns zu unterhalten oder einfach den eigenen Gedanken nachzuhängen. Wir nehmen, was der Wald zu bieten hat, atmen den Sauerstoff, sehen die Blätter, begehen die Wege – und sehr oft bemerken wir das gar nicht bewusst.

Alles das ist nicht falsch. Der Wald nimmt es hin, wie es ist. Er urteilt nicht, er will uns nicht ändern, er drängt sich nicht auf. Noch ist er einfach da, noch lebt das Gewebe, noch ist es möglich, ihn aufzusuchen.

Zugleich wissen wir aber, dass dem Wald an vielen Orten die Kraft ausgeht. Es fehlt ihm, obwohl viel über ihn gesprochen und geschrieben wird, an Aufmerksamkeit. Ich glaube, es fehlt ihm an Zuwendung.

Es fehlt ihm an kindlichen Gemütern, die bereit sind, zu schauen und zu staunen. Es fehlt ihm an Kontakt im Sinne der Achtsamkeit: an der offenen, präsenten, ja mitfühlenden Haltung, mit der Menschen in den Wald gehen, ohne ein eigenes Ziel zu verfolgen. An Menschen, die nicht nur über den Wald reden, sondern mit ihm sein können, die sich hinwenden. Die sich öffnen für Begegnungen, bereit zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken und zu spüren. Die bereit sind, sich in den Wald und in sein Netz hineinzubegeben und für eine Weile ein menschlicher Teil des Waldes zu sein.

Wir brauchen Zeit und Muße, um dem Wald zu begegnen. Foto: Aaron Burden/ unsplash

Die Rhythmen der Natur beobachten

Jene, die auf diese Weise in den Wald gehen, können – zumindest nicht gleichzeitig – Auto fahren oder um die Welt fliegen. Jene, die im Wald sind, würden, genährt von Eindrücken, weniger innere Leere empfinden, die durch „zu viel von allem“ gestopft werden muss. Sie bräuchten auch nicht so viel Wlan, weil sie mit der Natur verbunden wären. Sie bräuchten vielleicht auch nicht so viele Verbote, weil sie leichteren Herzens auf vieles gut verzichten könnten.

Sie könnten, die Rhythmen der Natur beobachtend, Atem und Herzrhythmus stabilisieren –und ihr Vertrauen ins Leben und ins Sterben. Und weil sie erlebten, dass alles seinen Platz und seine Zeit hat, müssten sie nicht mehr so viel kämpfen. So jedenfalls stelle ich mir das vor.

Nicht, dass jetzt alle zurück in den Wald müssen, das nicht. Nur ahne ich sehr wohl, dass Menschen bereitwillig auf manche Annehmlichkeit des modernen Lebens, die uns oft auch zur Last geworden ist, verzichten würden, wenn wir wieder Zugang zum Gewebe des Waldes und seinen Rhythmen, Weisheiten und vielleicht auch Wundern finden würden.

Mit dem Wald sein

Der Herbstwald lädt uns jetzt ein. Naheliegend wäre es, sich auf einem Waldspaziergang Gedanken zu machen, zum Beispiel über Fülle und Vergänglichkeit. Sich ein wenig der Melancholie des Abschiednehmens hinzugeben. Auch, den eigenen Gedanken zum ewigen Wandel nachzuhängen und sich daran zu erfreuen, wie klug sie doch manchmal sind, unsere eigenen Gedanken. Das ist eine Möglichkeit, wir können jederzeit so durch den Wald gehen.

Eine andere wäre: einmal gedankenlos, planlos, ohne Ziel im Wald zu sein – was einerseits fast nicht denkbar, andererseits doch erfahrbar ist. Indem wir einem Weg im Wald folgen, der noch nicht ausgetreten ist. Dorthin gehen, wo ein Vogel tschilpt, wo das Licht auf eine Stelle am Waldboden deutet. Dorthin gehen, wo ein Duft herkommt. Sich einmal ganz auf die Sinne verlassen, die Gedanken in den Hintergrund treten lassen.

Die Augen schließen und sich fragen: Wenn ich hier stehe, die Augen schließe und nichts sehe, woran bemerke ich, dass ich im Wald bin? Welche Empfindungen entstehen?

Stehen und nachspüren: zieht es mich in eine Richtung? Und dann dort hin gehen (vielleicht mit einer Wanderkarte im Gepäck, zur Sicherheit.) Was eigentlich lenkt meinen Schritt? Woher kommt der Impuls, einen Schritt vor den anderen zu setzen und zu gehen?

Einen Weg zweimal gehen, dabei schauen, riechen, lauschen, hin spüren. Begegnet mir beim zweiten Mal etwas, das mir beim ersten Mal gar nicht aufgefallen ist? Wie sieht ein Baum auf dem Hinweg und wie auf dem Rückweg aus?

Wie nehme ich Kontakt mit dem Wald auf – und hat der Wald die Möglichkeit, mit mir Kontakt aufzunehmen?

Und kann ich mich so im Wald bewegen, dass nichts darin gestört wird? Dies wäre ein Eintauchen in den Wald, ein „sich einfügen“, sich einordnen, das nur möglich ist, wenn wir vollkommen ruhig und friedfertig sind.

Es wäre ein Versuch, vielleicht ein kindliches Spiel. Eine Möglichkeit, mit dem Wald zu sein.

Foto: privat

Julia Grösch ist Achtsamkeitslehrerin und zertifizierte Trainerin für Mindful2Work (Vorbeugung von Stress und Erschöpfung in Alltag und Beruf). Sie unterrichtet diesen Kurs online für Einzelne und Gruppen. Mehr Artikel und Infos finden Sie auf ihrer Seite Achtsamkeit und Begegnung.

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Alle Kommentare

Ein toller Artikel!
Erst heute habe ich mir eine Auszeit im Wald erlaubt und die Natur genossen. Es ist wirklich erstaunlich, welch positive Wirkung die Natur nach nur bereits 10 Minuten auf unseren Geist und Körper haben kann.
Danke für die Tipps und eure Arbeit!

LG,
Flo von Lebensplanet

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