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Der Brexit und die Manipulation der Gefühle

Lightspring/ shutterstock.com
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Ein Gastbeitrag von Robert Jackson

Nicht Argumente brachten die Mehrheit für den Brexit, sondern Emotionen, so Prof. Robert Jackson. Der Brite kritisiert, wie rechte Parteien und Medien in Großbritannien Ängste und Fremdenhass schürten. Dabei blendeten sie aus, wie wichtig die Europäische Union ist, um Menschenrechte und Freiheit zu bewahren.
Die hauchdünne Mehrheit vom 23. Juni 2016 für einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union war nicht das Ergebnis von demokratischer Auseinandersetzung und Austausch auf der Basis korrekter Informationen über die Kernpunkte. Vielmehr war sie ein Produkt gut organisierter und wirkungsvoller Angst-Propaganda von weit rechts stehenden Politikern. Die Botschaften richteten sich direkt an ärmere Mitglieder der Gesellschaft. Die Politiker nutzten deren wirtschaftlichen Unsicherheiten und ihren Mangel an Vertrauen in die Regierung von Westminster schamlos aus.
Rechte Boulevard-Zeitungen verbreiteten tagtäglich die rassistischen und ausländerfeindlichen Botschaften, wie die Behauptung, dass eine weitere Mitgliedschaft in der EU gleichbedeutend damit wäre, von Migranten und Flüchtlingen überrannt zu werden. Verstärkt wurde das Ganze durch eine „Mann des Volkes“-Rhetorik und hoch emotionale Bilder, die insbesondere Nigel Farage und seine rechte Partei „United Kingdom Independence“ (UKIP) in Umlauf brachten.
Dagegen fielen die Gegendarstellungen des konservativen Premierministers David Cameron und des Vorsitzenden der Arbeiterpartei Jeremy Corbyn enttäuschend schwach aus und schlugen in den Medien kaum durch. Cameron ist nun zurückgetreten. Und immer mehr Forderungen werden laut, dass Corbyn sein Amt als Vorsitzender der Partei aufgibt. Seine Unterstützung der Kampagne für den Verbleib in der EU war halbherzig und seine Beiträge zur Diskussion während des Wahlkampfs waren mager.

Mit Angst-Propaganda Politik machen

Am 16 Juni, eine Woche vor dem Referendum, veröffentlichte Nigel Farage, Vorsitzender der UKIP, ein denkwürdiges Plakat: Es zeigt Tausende Flüchtlinge, die auf der Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Oktober 2015 die Grenze von Kroatien nach Slovenien überquerten. „Breaking Point“ („Sollbruchstelle“) war dort zu lesen. Eine Zeile unten auf dem Plakat lautete: „We must break free of the EU and take back control of our borders“ („Wir müssen uns von der EU befreien und die Kontrolle über unsere Grenzen zurückgewinnen“). Die einzige weiße Person auf dem Bild ist extra verdeckt von einem Banner, das heißt „Verlasst am 23. Juni die Europäische Union“.
Die Reduktion der Debatte um die Mitgliedschaft in der EU auf die Angst-Propganda – Angst vor „anderen“ im ethnischen und nationalen Sinne – ist eine Schande, aber es war ein mächtiges Instrument, um vor allem die nicht jungen Wähler einzuschüchtern. Boris Johnson und Michael Gove kollaborierten mit den Rassisten von UKIP, um ihre Ziele zu erreichen.
Zwei Tage nachdem das Ergebnis des Referendums kundgetan wurde, tauchten in der Umgebung einer Schule in Huntington Postkarten auf, die an die dort lebende polnische Bevölkerung geschickt wurden mit der Botschaft „Leave the EU: No more Polish Vermin“ („Verlasst die EU: Keine polnischen Parasisten mehr“). Es folgten viele weitere rassistische und extrem beleidigende Aktionen. Am 30. Juni berichtete die Polizei, dass sie seit dem Referendum über 300 Hass-Delikte registriert hätte – fünf Mal mehr als normal.
Der Einsatz rassistischer Propaganda und seine schrecklichen Folgen auf lokaler Ebene, einschließlich des Anstachelns von Angst und Hass, haben unsere polnischen Freunde, Nachbarn und Kollegen in arge Bedrängnis gebracht. Es erinnert an die Nazi-Propaganda gegen Juden und andere Minderheiten Der Nazi-Film „Der ewige Jude“ (1940) bezeichnete Juden ebenfalls als „Parasiten“. Das Plakat von UKIP und die Meinungsmache gegen Migranten unterminiert und leugnet bewusst das Konzept menschlicher Würde, das zentral ist für Menschenrechte und Würde.

Internationale Zusammenarbeit sichert Menschenrechte

Obwohl es beim Referendum um die Mitgliedschaft in der EU ging – eine im Wesentlichen wirtschaftliche und politische Institution – schwangen Fragen zu den Menschenrechten immer mit. Trotzdem hat die Kampagne für den Verbleib es versäumt, einen Bezug zu den Menschenrechten und den Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg herzustellen, die darin mündeten, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte abzufassen, den Europarat zu schaffen und die Europäische Konvention für Menschenrechte zu entwerfen.
Innenministerin Theresa May hatte dann auch ihre Absicht klar gemacht, Großbritannien zum Ausscheiden aus der Europäischen Konvention für Menschenrechte zu bewegen – dies würde automatisch dazu führen, dass das Vereinigte Königreich auch nicht mehr Mitglied im Europarat wäre. Dieser ist eine 1949 gegründete wichtige Menschenrechtsorganisation mit 47 Mitgliedsstaaten, u.a. von Winston Churchill mit inittiiert.
Bildungsprogramme und Materialien des Europarats beispielsweise werden gemeinsam von Mitglieder aus verschiedenen Teilen Europas produziert. Sie adressieren elementare Fragen über das Zusammenleben in einer modernen Gesellschaft, die von Globalisierung und Pluralismus bestimmt ist. May hat behauptet, der Europarat unternehme nichts, um die Menschenrechte in Großbritannien zu verbessern. Man bräuchte den Rest Europas nicht, so die Politikerin, um Menschenrechte zu garantieren.
Damit übersah sie Churchills Erkenntnis, dass gerade die internationale Zusammenarbeit lebensnotwendig ist, um die Menschenrechte auf dem Kontinent und darüber hinaus zu schützen. Am 30. Juni korrigierte sich Theresa May, die Ambitionen auf das Amt des Premierministers hat: Sie werde nicht für ihr Anliegen kämpfen, den Europarat zu verlassen, weil sie dafür keine parlamentarische Mehrheit erhalte.

Ist ein Referendum das richtige Instrument in Demokratien?

Rechte Zeitungen, insbesondere die Daily Mail, haben ihre ausländerfeindliche und anti-europäische Linie während der Kampagne beibehalten. Daily Mail titelte am Tag vor dem Referendum „Lies. Greedy elites. Or a great future outside a broken, dying Europe… If you believe in Britain vote Leave“. („Lügen. Gierige Eliten. Oder eine großartige Zukunft außerhalb des gebrochenen, sterbenden Europas…. Wenn du an Großbritannien glaubst, wähle Brexit“).
Die Situation ist zutiefst verstörend. Moderate Stimmen in allen großen politischen Parteien erkennen mittlerweile die große Gefahr, und viele haben ihren Ärger über das Ergebnis des Referendums ausgedrückt. Wir können nur hoffen, dass kompetente, moderate Politiker nach vorn kommen und unterstützt werden von einer breiten Bevölkerung, die politisch reifer und zugleich engagiert ist.
Viele Menschen sind geschockt über den Rassismus an der Basis, angeheizt durch die Propaganda von Medien und Politikern. Viele erheben jetzt ihre Stimme dafür, Vielfalt zu tolerieren und zu respektieren. Trotzdem zeigen die Erfahrungen mit dem Referendum die gewaltige Macht der Massenmedien. Diese haben die Auswahl und Qualität der Informationen kontrolliert und Panik geschürt. Sie haben mit diesem Verhalten auch die Frage aufgeworfen, ob das Referendum als politisches Entscheidungsmittel in Demokratien wirklich tauglich ist – wo eigentlich gewählte Parlamentsvertreter die Interessen ihrer Bürger vertreten.
Robert JacksonRobert Jackson ist emeritierter Professor für Religion in der Erziehung an der Universität Warwick, UK, und Gastprofessor in der Abteilung für Geisteswissenschaften und Erziehung in Sozialwissenschaften an der Universität Stockholm, Schweden. Er arbeitet seit 2002 für den Europarat und ist Autor von „Signposts: Policy and Practice for Teaching about Religions and Nonreligious Worldviews in Intercultural Education“, Strasbourg 2014, kostenlos in deutscher Sprache abrufbar.

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